Die Rückkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Russland jährt sich heuer zum 60. Mal. Fest eingeprägt haben sich die damaligen Fernsehbilder aus dem Lager Friedland: das Läuten der Lagerglocke, die abgezehrten Gesichter der Rückkehrer, die tränenreichen Begrüßungen und die leeren Gesichter derjenigen Frauen und Mütter, deren Angehörige nicht unter den Heimkehrern waren.
Es war in der Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung die wohl größte Tat von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Als die ersten der mehr als 10 000 Russland-Kriegsgefangenen und weiterer Heimkehrer am 8. Oktober 1955 in Friedland ankamen, konnte der grippekranke Patriarch zwar nicht dabei sein. Doch wenige Wochen zuvor hatten die Bilder von seiner Russlandreise die Deutschen aufgerüttelt.
Heimkehr der letzten Gefangenen
Die Frage nach dem Schicksal der Gefangenen gehörte zu den drängendsten Problemen der Nachkriegsjahre. Schätzungsweise drei Millionen deutsche und österreichische Soldaten und Mitglieder der SS waren von 1941 bis 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten. 1947 einigten sich die Alliierten darauf, alle Gefangenen freizulassen. Die Sowjets verzögerten dies. Bis 1950 kehrten rund 1,25 Millionen Deutsche aus dem Osten zurück. Wie viele genau sich noch in der Sowjetunion befanden, war unklar.
Die Regierung Adenauer hatte lange gezögert, mit Moskau zu verhandeln. Der Nato-Beitritt des Weststaates verschlechterte das Klima gegenüber der Sowjetunion weiter. Als Adenauer dann im Juni 1955 die Einladung der Sowjets zu Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen erhielt, verfolgte er drei Maximen: nicht an den Westverträgen rütteln lassen, die Wiedervereinigung zur Sprache bringen, keine diplomatischen Beziehungen ohne Vereinbarung über die Rückkehr der Kriegsgefangenen.
Am 8. September 1955 flog der Kanzler nach Moskau. Die Verhandlungen standen mehrfach vor dem Abbruch. Parteichef Nikita Chruschtschow und Ministerpräsident Nikolai Bulganin drängten auf eine „Normalisierung“ der Beziehungen und eine Aufwertung der DDR, was Adenauer zu verhindern suchte. In der Kriegsgefangenenfrage blockierten die Sowjets. Die gefangenen Deutschen seien allesamt Kriegsverbrecher, behauptete Bulganin. Adenauer hingegen kritisierte die Massenvergewaltigungen und Morde der Sowjets in Deutschland. Die Deutschen drohten mit Rückflug.
Schwierige Gespräche
Zeugen berichten, Adenauer habe in der Nacht vor den entscheidenden Gesprächen vor einer Statue der Fatima-Madonna gebetet, die sich in der französischen Botschaft befand. Ein Zusammenhang mit der Statue könnte seine Freundschaft mit dem Kölner Kardinal Frings oder die Mitgliedschaft in der „Blauen Armee Mariens“ sein, einer weltweiten Gebetsgemeinschaft im Ringen um den Frieden. Diese marianische Gemeinschaft hatte in den 50er Jahren über 20 Millionen Mitglieder in 120 Ländern. Es war schließlich der SPD-Politiker Carlo Schmid, der die Atmosphäre wieder verbesserte. Er sprach von den Verbrechen, die von Deutschen begangen worden waren, von Scham und Verantwortung.
Ergebnis war ein Paket, das die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Dokumentation außenpolitischer Grundpositionen Deutschlands in getrennten Papieren dokumentierte. Entgegen aller Warnungen war der Kanzler bereit, bei der Freilassung der 9626 Kriegsgefangenen auf das sowjetische Ehrenwort zu vertrauen. Nach der Wiedervereinigung aufgetauchte DDR-Dokumente zeigen allerdings, dass die Sowjets die Kriegsgefangenen von vorne herein freigeben wollten.