Nein, das wird kein "normaler" Tag im Leben eines Reporters, der zwar gewohnt ist, dass es abends mal später wird, aber wenn früh um 4 Uhr der Wecker klingelt, dann ist das gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Geimpft und aktuell getestet, mache ich mich auf den Weg ins Krankenhaus St. Josef, wo ich heute Teil der Frühschicht sein darf.
Station 4.2, die "Chirurgische" ist meine Adresse, wo ich erfahren werde, wie sich Krankenhaus-Alltag bei knapper Personaldecke und in Zeiten von Corona anfühlt. Wie geht es den Pflegekräften, für die zu Beginn der Pandemie alle geklatscht haben und denen nun schon wieder eine Verlängerung des Belastungs-Marathons abverlangt wird?, frage ich mich, während ich mir meinen blauen Kasack überstreife. Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, immerhin ist es schlappe 40 Jahre her, seit ich als Zivi letztmals in "Weißzeug", das für mich als "Praktikant" heute blau ist, geschlüpft bin.
Mit Stationsleiter Martin Selinka habe ich mich schon am Vortag bekannt gemacht. Gut so, denn für große Vorreden bleibt keine Zeit. Nachtschwester Corinna berichtet nach ihrer 10-Stunden-Schicht früh um 6 Uhr bei der Übergabe im Aufenthaltsraum, was über Nacht so passiert ist, ob "alle brav" waren und was heute ansteht. 28 Betten hat die chirurgische Station, bis auf eins sind alle belegt. Darunter reichlich Patientinnen und Patienten jenseits der 80 mit teils schweren Erkrankungen und hohem Pflegebedarf.
Konzentriert und detailliert wird der Übergabezettel ausgefüllt. Dieses Papier wird für die nächsten Stunden zur unentbehrlichen Arbeitsgrundlage für die Frühschicht, denn von der Frage der Mobilität über den Allgemeinzustand, Essen und Medikation bis zu an diesem Tag geplanten Untersuchungen oder medizinischen Eingriffen wird alles besprochen und stichpunktartig festgehalten.
"Es wird knackig", verkündet Martin, denn eine Kollegin hat sich krank gemeldet, "aber wir schaffen alles". Gut, dass neben den zwei "Examinierten" noch eine "Bufdi" (Bundesfreiwilligendienst), eine Lernschwester und zwei Praktikanten mit an Bord sind. Einer davon bin ich.
"Guten Morgen die Herren, gut geschlafen?", mit diesen Worten eröffnet Martin, Tür und Tag im ersten Patientenzimmer. Und damit ist auch für mich der "theoretische Teil" dieser Schicht beendet. Ab jetzt heißt es Zimmer für Zimmer und je nachdem was gebraucht wird, beim Waschen helfen und beim Gang zur Toilette oder auf den Toilettenstuhl. Windeln wechseln, Betten machen, hier wird noch etwas Zellstoff und dort eine Spuckschale gebraucht. "Kannst mir in meine Stützstrümpfe rein helfen?", bittet eine Patientin, ein anderer fragt, ob ich ihn rasieren kann. Klar doch, nach wenigen Minuten ist der "Zivi in mir" wieder wach. Auch wenn es lange her ist, ein Bart ist immer noch ein Bart, und das "Dankschön, des haste prima gemacht" des fast 90-Jährigen beim Blick in den Spiegel fühlt sich besser an als ein Lob für einen Zeitungsartikel.
Hände desinfizieren und neue Handschuhe am laufenden Band
Ich weiß nicht, wie oft ich an diesem Vormittag die Handschuhe gewechselt und die Hände desinfiziert habe. Lieber zu oft als zu wenig, hat mir Martin eingeschärft, denn Hygiene wird ganz großgeschrieben, um zu vermeiden, dass Keime von einem Zimmer ins andere geschleppt werden. "Stell dir vor, du hättest schwarze Farbe an den Handschuhen, wenn du einen Raum verlässt", hat er mir mit auf den Weg gegeben. Das Beispiel passt und ich achte genau darauf, nicht mit "schwarzen Händen" von Raum zu Raum zu gehen, sondern mir neue Handschuhe überzustreifen.
Die nächsten Stunden vergehen wie im Flug, denn kaum sind die Patientinnen und Patienten versorgt und in den Tag gestartet, sind die Container mit dem Frühstück da, das verteilt werden muss. Dass dabei Praktikanten zur Hand gehen, hält den beiden Pflegekräften Martin und Regina zumindest ein wenig den Rücken frei für die wichtigen Eingriffe wie Zugänge legen, Urinbeutel und Infusionen wechseln oder frische OP-Narben versorgen. Dazwischen klingelt alle paar Minuten Martins Mobiltelefon, ein Patient für die Station wird angekündigt, eine Operation wird verschoben, mit der Apotheke muss wegen der Arzneimittel gesprochen werden und eine Kollegin will wissen, warum eine für die Dialyse angekündigte Patientin heute doch nicht kommt, und, und, und...
Das Programm ist sehr straff. Nicht mehr lange, und Stationsarzt Peter Lippert wird seine Visite antreten. Doch Stationsleiter Martin Selinka (52), seit beinahe 30 Jahren in diesem Job, hält alle Fäden in der Hand, hat den Überblick, wer wann von intensiv auf "normal" oder umgekehrt verlegt wird, oder wo stationsintern eine Verlegung Sinn macht, weil zum Beispiel die Patienten vom Alter oder der Schwere der Erkrankung her besser zusammenpassen.
Ein bisschen Humor und ganz ganz viel Teamgeist
Es ist ein großes Puzzle, dessen Einzelteile sich zum Bild "Patientenwohl" zusammenfügen. Dazu gehört auch die persönliche Ansprache, die parallel zur Betreuung einfach sein muss. Viele der vor allem älteren Patientinnen und Patienten leben alleine, leiden zusätzlich unter den pandemiebedingten Einschränkungen der Besuche. Mindestens genauso wichtig, so Martin Selinka, ist das Verhältnis der Kolleginnen und Kollegen untereinander. "Alles wird gut, solange wir unseren Humor nicht verlieren", meint er. Eine Späßle bei der Begegnung auf dem Flur, ein Lächeln im Vorübergehen kostet keine extra Zeit, hilft aber aus Menschen ein Team zu machen. Team ist alles, Alle sind das Team – Dieser Funke springt schnell über, auch ich habe – es ist noch nicht mal Mittag – schon ein wenig das Gefühl dazuzugehören.
Dabei sein darf ich auch bei der Visite. Stationsarzt Dr. Lippert erklärt verständlich jedem seinen Sachstand und was als Nächstes ansteht, um wieder auf die Beine zu kommen. Gute und wertvolle Ratschläge wie "keine Belastung der Hüfte in den nächsten zwei Wochen" oder "Aufpassen mit dem Alkohol" gibt es obendrein.
Viel zu tun, was wohl in keiner Fallpauschale steht
In der Zeit zwischen Visite und Mittagessen kann das Pflegepersonal einen halben Gang zurückschalten, dennoch ist ständig was zu tun, leuchtet eine rote Lampe an einem der Zimmer. Die Fernbedienung für den Fernseher ist heruntergefallen, "bitte noch einen Tee" oder das "große Geschäft", das am Morgen nicht so recht geklappt hat, soll erneut angegangen werden. Dazwischen auch immer wieder Situationen, die erneut die Anwesenheit eines Arztes erfordern, wenn zum Beispiel die Bauchdecke, die vor einer Stunde noch schön weich war, langsam wieder bretthart wird.
Martin erledigt seinen Schreibkram, von dem es mehr als genug gibt, und wenig später rollen auch schon die Container mit dem Mittagessen an. "Hähnchen Karibik", "Lachsforelle" und die "Schonkost" müssen verteilt werden. Dazu gibt es – mitunter sind es pro Patient ein gutes Dutzend – die Tabletten. Und wieder sind es vor allem die älteren Patienten, die Hilfe beim Essen brauchen. Wie soll eine 90-Jährige, die kaum noch etwas sieht, alleine essen können? Ich weiß nicht, ob solche Leistungen in irgendeiner Fallpauschale abgebildet sind, aber ich weiß, dass sie es sein müssen, wenn diese Gesellschaft weiterhin ein menschliches Gesicht behalten soll.
Die Pflegekräfte, die ich bei dieser Frühschicht kennenlernen durfte, sind alle mit Herzblut dabei. "Dennoch wäre es schön, wenn die in der Fabrik nicht über uns lachen, weil sie in zwei Wochen so viel verdienen, wie wir im ganzen Monat", so die Einschätzung von Stationsleiter Martin Selinka.
Endlich wieder einmal ohne Maske durchschnaufen
Luft, nicht nach oben, sondern vor der Nase, habe ich endlich wieder, als ich nach Schichtende, es ist inzwischen 14.15 Uhr, außerhalb des Krankenhauses ohne Maske durchatmen kann. Ich blicke zurück auf dieses Haus, in dem ich zur Welt kam, und in dem ich als Teenager wochenlang mit gebrochenem Bein lag. Damals musste ich lange liegen, jetzt durfte ich viel Laufen, denn beim Auf und Ab auf den Krankenhausfluren sind einige Kilometer zusammen gekommen – irgendwann gleicht sich eben alles aus. "Und wie schaut es aus, morgen früh um 6 Uhr, bist du wieder da?", hat mich Stationsleiter Martin Selinka lächelnd zum Abschied gefragt. Wäre ich wirklich ein Praktikant – Ich hätte ohne zu zögern "Ja" gesagt.
Anmerkung des Autors: Die Schicht in St. Josef fand Anfang November, also noch vor der Anordnung des bayernweiten Katastrophenfalls, statt.