Wer beim Haus- oder Facharzt einen Termin will, muss oft warten, schon am Telefon. Denn der Fachkräftemangel in den Praxen betrifft nicht nur die Mediziner, sondern auch die Arzthelferinnen, die Medizinischen Fachangestellten (MFA). Weil diese überall fehlen, haben Praxen ihre Sprechstunden reduziert oder nehmen keine Patienten mehr auf.
"Ich würde ja gerne die Sprechstunden ausweiten, aber mir fehlen die Helferinnen." Dr. Jürgen Schott, Hausarzt aus Grafenrheinfeld, hat gerade seinen Praxisverbund "Das Hausarzt-Zentrum" erweitert. Als sechste Niederlassung wurde in Sennfeld die Einzelpraxis von Barbara Fritsch am Schwimmbad eingegliedert. Allerdings müssen derzeit die Öffnungszeiten dort auf Dienstag und Donnerstag beschränkt werden.
"Ärzte haben wir, die Situation hat sich bei uns etwas gebessert", verweist Dr. Schott auf den anhaltenden Mangel an Landärzten. "Aber zwei bis drei MFAs könnten wir noch brauchen." Elf Ärzte beschäftigt "Das Hausarzt-Zentrum" derzeit, dazu 16 Assistentinnen, drei Auszubildende und sieben Bürofachkräfte. Obwohl er auf allen Kanälen MFAs suche, bleibe er erfolglos. "Bei der Arbeitsagentur in Schweinfurt sagten sie, auf 100 Nachfragen gebe es eine Bewerbung. Die kann natürlich 'goldene Löffel' verlangen."
Auch übertarifliche Leistungen beheben Probleme nicht
Auch die große Mainbogenpraxis in Sennfeld, die ein Versorgungsgebiet bis Grettstadt umfasst, hat die Öffnungszeiten reduziert, erklärt der ärztliche Leiter Dr. Philipp van Gelder. Samstags ist seit vergangenem Jahr geschlossen, freitags ab 13 Uhr. Und: Neue Patienten werden nicht mehr aufgenommen, auf einer Warteliste werden Patienten aus dem Versorgungsbereich priorisiert.
Der Mangel hat mehrere Gründe. Meist wird zuerst eine schlechte Bezahlung in diesem Beruf angeführt. "Wir zahlen bereits übertariflich und es gibt weitere Vergünstigungen", sagt Dr. Schott. Laut aktuellem Gehaltstarifvertrag erhalten Arzthelferinnen je nach Tätigkeitsgruppe vom ersten bis vierten Berufsjahr zwischen 2206 und 3200 Euro. In den Berufsjahren neun bis zwölf sind es beispielsweise zwischen 2548 und 3695 Euro.
Dr. Schott: Planwirtschaft trifft auf Marktwirtschaft
"Viele MFAs gehen in die Krankenhäuser oder in die Industrie, beispielsweise zu Betriebsärzten. Die bieten mehr Geld", so der Mediziner. Dort gebe es zudem geregelte Arbeitszeiten von 8 bis 16 Uhr. "Bei uns geht die Sprechstunde aber bis 18 Uhr, da müssen immer ein paar Helferinnen da sein".
Könnten die niedergelassenen Ärzte denn nicht mehr zahlen? "Schwierig", meint Dr. Schott, zumal die Politik aktuell eine Nullrunde bei den Arzthonoraren fordert. "Hier stößt Planwirtschaft auf Marktwirtschaft", formuliert es Dr. van Gelder. "Was wir an Umsätzen generieren, ist Planwirtschaft, nach dem Willen der Politik. Die Vergütung der MFAs aber ist Marktwirtschaft."
Der Kostendruck für die Praxen steige, der Spielraum werde immer enger. "Wenn wir ein Handwerksbetrieb wären, würden wir die Preise erhöhen, also an den Kunden weitergeben. Oder das Angebot erweitern", sagt er. "Aber bei dem Praxisumsatz ist kein Geld dafür da".
Die Bezahlung alleine werde den Mangel nicht beheben, meint Dr. van Gelder. Viel Arbeitszeit der Helferinnen gehe durch administrative Verwaltung verloren, Ressourcen würden gebunden. Und die Politik bürde immer mehr auf, beklagt er. Die Digitalisierung werde zudem schlecht umgesetzt.
Jedes Jahr bildet sowohl "Das Hausarzt-Zentrum" als auch die Mainbogenpraxis selbst junge Leute aus. Die Ausbildungsvergütung beträgt laut Tarifvertrag im ersten Jahr monatlich 920 Euro und steigt über 995 Euro auf 1075 Euro. "Früher haben wir mindestens einen Realschulabschluss bei den Bewerberinnen und Bewerbern gefordert. Heute nehmen wir jeden, mit einem Quali oder weniger", erklärt Dr. Schott. Aber nicht alle Azubis würden die Anforderungen schaffen, hat der Allgemeinmediziner schon erfahren: sowohl im Umgang mit den Patienten als auch mit der Technik, der EDV oder einem EKG.
340 Schülerinnen und Schüler wollen derzeit MFA werden
In der Ludwig-Erhard-Berufsschule in Schweinfurt werden derzeit in drei Jahrgängen zu je vier Klassen insgesamt etwa 340 Schülerinnen und Schüler als Medizinische Fachangestellte unterrichtet. Der Schulsprengel umfasst die Stadt Schweinfurt und die Landkreise Schweinfurt, Bad Kissingen, Bad Neustadt, Haßberge, Teile von Kitzingen und Main-Spessart.
"In den neunziger Jahren waren wir durchaus mehr mit fünf Klassen pro Jahrgang", erklärt Studiendirektor Albrecht Meyer. Wesentlich mehr Schulabgänger als früher würden heute in Kliniken angestellt, da sie für diese günstiger als Krankenhelferinnen seien. Den niedergelassenen Ärzten stünden sie daher nicht zur Verfügung.
Pampige und aggressive Patienten setzen dem Personal zu
Zu schaffen macht dem MFA-Beruf auch eine mangelnde Wertschätzung in der Gesellschaft. "Ja, es stimmt, dass Arzthelferinnen viel aushalten müssen, weil Patienten ihnen gegenüber teilweise unverschämt sind", hat Hausarzt Dr. Schott erfahren. "Viele meinen, deren Arbeit sei nichts wert. Dabei kann ich nicht ohne sie arbeiten". Die Corona-Pandemie habe den Stress in den Praxen noch einmal verschärft. "Wenn sich Patienten anders verhalten würden, wäre schon viel geholfen". Auch Dr. van Gelder registriert pampige Patienten, teilweise sogar aggressive. "Das ist eine enorme psychische Belastung für die MFAs."
Was für den Allgemeinmediziner Dr. Schott aber vor allem ausschlaggebend ist: "Es liegt nicht nur am Beruf selbst, es gibt insgesamt zu wenig Leute, die ihn ausüben könnten." Denn die Babyboomer der 1960er Jahre gehen in den Ruhestand und es kommen nicht gleich viele Menschen nach.
Sind Flüchtlinge die Lösung?
Hier sieht Berufsschullehrer Meyer eine Chance für Flüchtlinge. Allerdings kämpfen diese nach wie vor mit Sprachproblemen, aber auch einer falschen Einschätzung des vermeintlich einfachen Berufes. "Die Klassen der MFA sind leider trotz gestiegener Zahlen bei uns in der Größe nicht angepasst worden. Was den Flüchtlingen nicht sehr förderlich war", resümiert er.
Um bundesweit auf die Misere der MFAs aufmerksam zu machen, organisierte der Verband medizinischer Fachberufe am 8. September in Berlin eine Protestaktion. Der Gesundheitspolitik sollte dabei die rote Karte gezeigt werden.