Die bundesweiten Warnstreiks im öffentlichen Dienst treffen derzeit vor allem den öffentlichen Nahverkehr. Von nun an muss auch das unterfränkische Gesundheitswesen mit Verdi-Aktionen rechnen. Schon bald könnten demnach auch Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern oder Pflegeheimen ihre Arbeit niederlegen, um damit bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Auch in Schweinfurt. "Der Gesundheitsbereich selbst ist krank", sagt Marietta Eder, Gewerkschaftssekretärin und stellvertretende Geschäftsführerin für Gesundheit und Soziales bei Verdi in Schweinfurt.
Ob mit oder ohne Corona, ob im Krankenhaus, im Altenheim oder in der Behindertenhilfe – für Eder ist eines seit langem klar: "Wir brauchen mehr Personal." Dies zeige sich etwa an viel zu dünnen Schichtbesetzungen und unzuverlässigen Dienstplänen. "Aus unserer Sicht hilft hier nur eine gesetzliche Personalbemessung", so Eder. Ein Schlüssel also, der vorschreibt, wie viele Kräfte je nach Bereich erforderlich sind. In Krankenhäusern gebe es immerhin sogenannte "Untergrenzen", insgesamt würden aber viel zu wenige Pflegekräfte eingesetzt, erklärt Eder.
Streit mit Arbeitgebern um "harte Fakten"
Der Pflegeberuf an sich mache allen Beteiligten Spaß, da ist sich die Gewerkschaftssekretärin sicher. Problematisch sei jedoch die immense Belastung. Permanentes Einspringen etwa mache den Beruf nicht attraktiver. Und dass im Gesundheitsbereich etwas falsch laufe, zeigten nicht zuletzt Untersuchungen: "Die Anzahl der Dauererkrankten in allen Pflegebereichen ist höher als im Durchschnitt aller Beschäftigten", so die 42-Jährige.
Daran habe auch der Beifall aus der Bevölkerung in der Coronakrise nichts geändert. Ohnehin habe es laut Eder nie gänzlich an Wertschätzung gemangelt. "Ich habe immer Solidarität der Menschen wahrgenommen, auch schon vor Jahren, auch wenn es jetzt keine Balkonbilder mehr gibt." Den entscheidenden Unterschied machten aber die Arbeitgeber. Zwar bemühten sich einige um etwas mehr Wertschätzung. "Bei den harten Fakts, um die wir als Gewerkschaft seit Jahren streiten, hört es aber dann leider immer auf." Bezahlung, Arbeitszeit, Zuschläge.
Nahezu jede Pflegekraft im Krankenhausbereich arbeitet in Schweinfurt tarifgebunden, sie ist also von den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst betroffen. In der Altenpflege sehe es laut Eder hingegen "desaströs" aus. Hier würden die Pflegekräfte fernab des Tarifvertrages meist unter noch deutlich schlechteren Bedingungen arbeiten. Das Problem: "Viele private Anbieter haben weder einen Betriebsrat, noch einen Tarifvertrag", so Eder. Auch kirchliche Träger wie Caritas oder Diakonie hätten sich dem Tarifvertrag noch nicht umfassend angeschlossen.
Einstiegsgehalt 2830 Euro: Verdi sieht "große Lücke" zu anderen Berufen
Doch die Verhandlungen im öffentlichen Dienst zeigten, dass auch der Tarifvertrag ausbaufähig sei. Derzeit verdient eine Pflegekraft nach Tarifvertrag zum Einstieg knapp 2830 Euro brutto. Nach 16 Jahren kommt die examinierte Kraft dann auf 3539 Euro. Hier klaffe eine Große Lücke zu anderen Berufsgruppen, gerade was die Bezahlung von weiterführenden Qualifizierungen angeht. Verdi fordert nun 4,8 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 150 Euro mehr pro Monat. Im vergangenen Jahr, so Eder, hätten Umfragen zudem ergeben, dass viele Beschäftigte auch mit einer Lohnerhöhung in Form eines zusätzlichen freien Tages einverstanden wären. Daneben seien Verlässlichkeit und Gleitzeitregelungen wichtige Punkte für Beschäftigte.
Bislang habe es in den Verhandlungen von Seiten der Arbeitgeber aber noch kein entsprechendes Angebot, sprich kein Entgegenkommen, gegeben. Doch auch wenn eine Einigung zustande käme, befürchtet Eder, dass dann wiederum diverse Pflegeberufsgruppen eine Gehaltsstufe heruntergestuft werden könnten, womit der Arbeitgeber die Lohnerhöhungen ausgleichen könnte. Eder appelliert deshalb an alle Beschäftigten: "Wir müssen aktiv werden und auch das Streikrecht wahrnehmen." Deshalb werde es auch in Schweinfurt in Kürze Streiks im Pflegebereich geben. "Ohne zu viel zu verraten: bis zum 22. Oktober wird sich hier in der Region einiges tun."
Im Oktober soll ein dritter Pflegebonus kommen
Für Eder ist allerdings nicht nur wichtig, wie sich der Arbeitgeberverband verhält. Unabhängig von den Tarifverhandlungen habe auch der Staat eine Pflicht, sich für den Gesundheitsbereich einzusetzen. Nicht zuletzt durch besagte Personalbemessungen, die laut Eder gesetzlich geregelt werden sollten. Die Pflegeboni, die während der Coronakrise sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene an Pflegekräfte als Anerkennung ausgezahlt wurden, sieht Eder zwiegespalten. "Ein finanzielles Gutsle findet jeder toll. Wir hatten aber den Eindruck, dass man es nach der Einmalzahlung auch wieder gut sein lassen wollte." Zudem hätten nicht alle in der Pflege Beschäftigten gleichermaßen profitiert.
Derzeit sei ein dritter bundesweiter Pflegebonus geplant, von dem 100 000 Pflegekräfte von deutschlandweit insgesamt 400 000 profitieren sollen. "Prinzipiell gut", findet Eder, bedauert aber erneut die unzähligen Menschen, die nichts davon bekommen werden. Für sie wäre deshalb eine kontinuierliche Lohnsteigerung viel wirksamer als ein einmaliger Bonus.