Oft dient der Paukenschlag der Ouvertüre. In der jüngsten Stadtratssitzung bestimmte der Paukenschlag das Finale, ein Finale furioso besonderer Art. Der Paukenschlag dazu kam ohne große Vorankündigung und fast lautlos wie der Blitz aus heiterem Himmel. Die getroffene Entscheidung könnte eine gut laufende städtische Einrichtung in ihren mittelalterlichen Grundfesten erschüttern und ins Mark treffen. In letzter Konsequenz droht die Schließung der Stadtbibliothek.
Was war geschehen. Mit 8:5-Stimmen lehnte der Stadtrat die vorgeschlagene Variante für die stählerne Flucht- und Rettungstreppe am Bürgerspital ab. Sie sollte den Brandschutz im Gebäude bis unters Dach gewährleisten.
Bürgermeister Thorsten Wozniak, sonst eher der Moderator, reagierte schmallippig wie sonst selten mit den Worten: „Am 1. Juli kommt die neue Bibliotheksleiterin. Dann werden wir uns überlegen, wann wir die Einrichtung abschließen.“ Es fehlte nur noch das majestätische laute Bumm-bumm-bumm-bumm-bumm-bumm der Orchestertrommeln, um allen die Tragweite der Entscheidung bewusst zu machen.
Am Ratstisch herrschte zunächst einmal betretenes Schweigen und eine gewisse Ratlosigkeit. Nur Burkhard Wächter, der möglicherweise mit seinem vorherigen Redebeitrag die Initialzündung zur Ablehnung der Treppe gegeben hatte, wagte es, die Stille zu durchbrechen. Er forderte dazu auf, „noch einmal das Gespräch zu suchen, um Alternativen zu realisieren“, beschränkte sich aber auch hier wie schon zuvor auf vage Andeutungen. Doch da hatte er die Rechnung ohne den offenbar bedienten Bürgermeister gemacht, obwohl der sich äußerlich nichts anmerken ließ.
Wozniak war des weiteren Diskutierens leid
Wozniak war nun des Diskutierens leid. Er stellte nur kurz und bündig fest: „Die Fachleute haben uns gesagt, dass es keine andere Lösung gibt. Wir haben den Antrag nun abgelehnt und damit werden wir umgehen“. Um den Worten Nachdruck zu verleihen, schob er umgehend den Antrag zur Geschäftsordnung auf Schluss der Debatte nach. Immerhin folgte ihm der Stadtrat in diesem Fall einstimmig.
Dabei hatte die Auswahl der Rettungs- und Fluchttreppe als Voraussetzung für die Einreichung eines offiziellen Bauantrags wegen noch offener Fragen ursprünglich auf der Tagesordnung des nicht öffentlichen Teils gestanden. Wozniak hatte den Punkt erst zu Beginn der Sitzung mit Zustimmung des Gremiums in den öffentlichen Teil übernommen, da sich kein zwingender Grund für eine Geheimhaltung ergeben hatte. Er konnte da allerdings nicht ahnen, welches Beben die spätere Abstimmung auslösen sollte, mit allen nun drohenden Konsequenzen für die Stadtbücherei.
Ohne einen zweiten Flucht- und Rettungsweg kann deren Betrieb in diesen historischen Gemäuern auf Dauer definitiv nicht weitergeführt werden. Als Knackpunkt erweist sich vor allem die Young World-Abteilung. Ist der Fluchtweg nach innen versperrt, kann der Weg nur noch übers Außenfenster an der Südseite nach draußen führen.
Stadtbaumeisterin Maria Hoffmann hatte dem Stadtrat zunächst die drei vom Planer unterbreiteten Entwürfe samt Kostenschätzung präsentiert. Schnell war klar, dass sich die Variante 1 klar durchsetzen würde. Die reine Stahltreppe sollte zur Grabenstraße zu die Fenster im Dach- und Obergeschoss an der Südseite erschließen und bei einer Evakuierung die Personen übers süd-westliche Gebäudeeck auf der Westfassade nach unten in den Spitalgarten führen. Die Fenster wären als Notausstiege innenseitig mit Ausstiegshilfen versehen worden. Die Kostenschätzung für die Stahltreppe lag bei knapp 100 000 Euro, inklusive einer Sicherheitseinzäunung des Zugangsbereiches im Spitalgarten.
Arnulf Koch: "Schön ist anders"
CSU-Fraktionschef Arnulf Koch machte in der Diskussion deutlich: „Schön ist anders und keine einzige der drei Varianten ist es wirklich. Aber wenn wir es so machen müssen, machen wir es.“ Fraktionskollege Burkhard Wächter ging einen Schritt weiter. Er sagte: „Ich tue mir mit der Entscheidung sehr schwer. Meines Erachtens sind Alternativen nicht ausreichend gewürdigt worden. Deshalb werde ich dagegen stimmen.“
Bei den anderen sieben Stadtratsmitgliedern, die es ihm gleich taten, blieb unklar, warum sie grundsätzlich gegen die Treppe stimmten – aus ästhetischen Gründen, weil es möglicherweise entgegen des klaren Dementis des Bürgermeisters doch eine wie auch immer geartete Alternative gegeben hätte, oder weil man vielleicht schon an den allmählich beginnenden Kommunalwahlkampf dachte?
Soviel ist klar: Bleibt es bei dieser Entscheidung, ohne zeitnah eine Alternative anbieten zu können, wird sich die neue Bibliotheksleiterin Julia Rehder bei ihrem Dienstantritt am 1. Juli statt mit ihrer Einarbeitung und neuen Visionen für die Zukunft der städtischen Einrichtung dem Krisenmanagement widmen müssen.
Das der Bibliothek drohende Szenario
Das Szenario, das der Bibliothek nun mangels eines hinreichenden Brandschutzes droht, ist hinlänglich bekannt. Im Februar hatte der Rat einem Interimsweiterbetrieb der Bibliothek zugestimmt. Als Sofortmaßnahme mussten weitere funkvernetzte Rauchmelder eingebaut werden. Und: Es durften sich seitdem inklusive Personal nicht mehr als 29 Menschen gleichzeitig in den beiden Obergeschossen aufhalten. Seitdem werden vom Personal Strichlisten geführt, um bei Erreichung der Höchstzahl an Personen weiteren Besuchern den Zutritt zu verwehren.
Diese strikte Maßnahme war notwendig, um zu verhindern, dass die Bibliothek sofort hätte geschlossen werden müssen, außer die Stadt hätte das Risiko bei einem Brandfall getragen. Diese Regelung war mit der Gerolzhöfer Feuerwehr, dem Kreisbrandrat und dem Landratsamt abgesprochen worden. Es handelte sich um ein jederzeit widerrufbares, wohlwollendes Entgegenkommen der beteiligten Stellen.
Wie war man aber auf das Limit von 29 Besuchern gekommen? Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Brandschutztür in der Bibliothek. Sie würde Hitze und Flammen 30 Minuten standhalten. In dieser Zeit könnte die Feuerwehr bis zu 29 Menschen über die Drehleiter retten. Dazu hätten aber vier Parkplätze entlang des Botanischen Gartens in der Grabenstraße aufgegeben und die Fläche um 2,50 Meter Richtung Botanischem Garten verbreitert werden müssen, um einen stabilen Standort für das Drehleiterfahrzeug zu schaffen. Aber selbst dann, hätten dauerhaft nicht mehr als 29 Menschen in die Obergeschosse der Bibliothek gedurft.
Menschen- vor Denkmalschutz
Wegen der Mängel beim Brandschutz hatte die Stadt ein Brandschutzkonzept bei einem Planungsbüro in Auftrag gegeben. Daraus war hervorgegangen, dass eine Außentreppe an der südlichen Giebelwand die beste Lösung mit dem geringsten Eingriff in die historische Bausubstanz darstelle. Da es keine vernünftige Alternative gab, hatte der Stadtrat seinerzeit mehrheitlich für den zweiten Flucht- und Rettungsweg in Form der Außentreppe votiert, indem er den Menschenschutz über die optische Beeinträchtigung des historischen Gebäudes stellte.
Klar war, dass es aber auch nach dem nun am Montag dennoch mehrheitlich abgelehnten Bau der Fluchttreppe keine unbegrenzte Besucherzahl in der Stadtbibliothek geben werde. Die Grenze wäre dann allerdings auf 99 Besucher gestiegen. Mehr halten sich im Normalfall auch bei Veranstaltungen nicht hier auf.
Nach der Ablehnung der Außentreppe sind nun sind aber Krisenmanagement und Schadensbegrenzung angesagt und der Urlaub des Bürgermeisters ist endgültig vorbei.