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Schweinfurt
OB Remelé zur Coronakrise: "Wir glauben an die Zukunft der Stadt"
Im Exklusiv-Interview spricht Oberbürgermeister Sebastian Remelé über das Corona-Jahr 2020, welche Herausforderungen es gab, wie sich seine Arbeit verändert und worauf er hofft.
Oberbürgermeister Sebastian Remelé am Schreibtisch in seinem Amtszimmer im Rathaus, im Hintergrund eine Büste von Friedrich Rückert.
Foto: Stefan Pfister | Oberbürgermeister Sebastian Remelé am Schreibtisch in seinem Amtszimmer im Rathaus, im Hintergrund eine Büste von Friedrich Rückert.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 09.02.2024 03:52 Uhr

Am 10. Januar hätte Oberbürgermeister Sebastian Remelé zum traditionellen Neujahrsempfang in der Rathausdiele geladen. Es hätte Häppchen gegeben, ein Glas Sekt, nette Gespräche und seine Neujahrsrede. Die Corona-Pandemie ließ das nicht zu. Im Exklusiv-Interview erklärt der OB, was er gesagt hätte und warum er die Stadt gut gerüstet für die Zukunft sieht.

Bei der Neujahrsansprache 2020 warnten Sie vor Realitätsverweigerern und Apokalyptikern. Sie meinten es anders, aber irgendwie ist es doch wahr geworden, oder?

Sebastian Remelé: Das war damals auf den Klimawandel bezogen, fußend auf einer Veranstaltung mit dem früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell und seiner Bitte, den Notstand auszurufen. Mit diesem Begriff gehen wir Juristen sehr sensibel um, insbesondere in Deutschland. Damals war in der Gesellschaft eine gewisse Polarisierung beim Thema Klimawandel festzustellen. Es gab extreme Pole zwischen denen, die den Klimawandel als Hirngespinst von Forschern sahen und ihn, wenn nicht leugneten, so doch verharmlosten, und denjenigen, die ich als Apokalyptiker bezeichnete, die vom Weltuntergang sprachen, wenn man nicht sofort handele. Diese Art der Polarisierung ist wohl in einer heterogenen Gesellschaft unvermeidbar, um durch die Meinungsvielfalt zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen. Wir erleben sie jetzt auch wieder. Sie reicht von denjenigen, die Corona als einen Akt der Verschwörung sehen, bis zu denen, denen vielleicht die nötige Gelassenheit fehlt. Ich sehe nicht, dass man im Moment in Panik geraten sollte. Am Ende werden wir die Pandemie überstehen und aus der Krise auch gestärkt hervorgehen.

Ist das auch Ihre Bilanz für 2020 und Botschaft für 2021?

Remelé: Ja, ganz klar. Man muss das Virus sehr ernst nehmen, ihm aber nicht den gesamten Raum des politischen Handelns überlassen. Wir müssen weiter planen und entsprechend handeln. Wir halten in Schweinfurt an unseren Projekten fest. Meine Neujahrsbotschaft wäre gewesen: Wir glauben an die Zukunft der Stadt.

Wie haben Sie in der Familie die Pandemie erlebt?

Remelé: Sie hat uns zunächst räumlich wieder zusammengeführt. Mein großer Sohn studiert von zu Hause aus online, was sehr gut funktioniert. Meine Tochter absolviert ein Praktikum in Würzburg, kam aber am Wochenende gerne nach Hause, weil in Würzburg nichts los ist.

"Am Ende werden wir die Pandemie überstehen und aus der Krise auch gestärkt hervorgehen."
Sebastian Remelé über die Corona-Krise.
Im Gegensatz zu Schweinfurt …

Remelé: (schmunzelt) Hier ist zumindest das Hotel Mama. Es hat uns Silvester wieder an einen Tisch gebracht, was wir seit Jahren nicht mehr hatten. Ich konnte wieder die häusliche Atmosphäre spüren, ich war ja die letzten zehn Jahre fast kein Wochenende zu Hause. Wir haben viel gespielt, gelesen, den Garten auf Vordermann gebracht, den Dachboden entrümpelt und ich habe seit Jahren mal wieder den Pinsel geschwungen und Zimmer gestrichen. Es war eine sehr heimelige Atmosphäre, der ich persönlich viele positive Aspekte abgewinnen kann.

War 2020 für Sie als OB anstrengender und fordernder als andere Jahre?

Remelé: Es war ambivalent, denn ich hatte auf einmal nur noch 60 bis 70 Prozent des Arbeitsaufkommens, da sämtliche gesellschaftliche Verpflichtungen wegfielen. Auf der anderen Seite gab es Krisenstäbe, Videokonferenzen mit Gesundheitsministerium oder Städtetag und neue Themen, die viel elementarer waren. Plötzlich hatten wir den Katastrophenfall und eine Notstandssituation, in der es darum ging, Leben zu retten. Eine Situation, die wir so vielleicht nur in den ersten Nachkriegsjahren hatten. Es brachte eine neue Qualität des Arbeitens: Wenn Sie in einem Krisenstab mit dem Gesundheitsamt sitzen und überlegen, wohin sie Menschen verlegen können, wenn die Intensivstationen zumachen, dann hat es eine andere Qualität, als wenn ich mich über das bayerische Turnfest unterhalte.

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Wie zufrieden sind Sie mit dem Start des Impfzentrums?

Remelé: Natürlich hätte ich es mir schneller gewünscht. Aber ich habe großes Verständnis für die EU und den Bund, der gebetsmühlenhaft darauf hinweist, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Um einen Impfstoff zu produzieren, muss er erst zugelassen werden und dann muss eine Produktion anlaufen, die den Auftrag hat, die Weltbevölkerung zu versorgen. Wir erregen uns über Dinge, über die man sich bei genauerem Nachdenken nicht erregen müsste. Wir haben ganz schnell die Impfzentren aus dem Boden gestampft und Personal akquiriert. Langsam kommt der Impfstoff in der Fläche an. In den nächsten Wochen werden wir die Pflegeheime durchgeimpft haben, danach die über 80-Jährigen. Es läuft in der Geschwindigkeit, in der es laufen kann. Wir sollten aufhören, uns über mögliche Pannen ständig zu ereifern. Wir können uns große Impffrustration nicht leisten.

"Wir erregen uns über Dinge, über die man sich bei genauerem Nachdenken nicht erregen müsste."
Sebastian Remelé über die Probleme der Auslieferung bei den Corona-Impfungen.
Was entgegnen Sie Corona-Leugnern und Querdenkern? Gab es Angriffe gegen die Verwaltung von dieser Seite?

Remelé: Die meisten haben geschrieben, Mails, Pamphlete, Flugzettel. Zugenommen haben seit Herbst anonyme Briefe. Das ging bis zu Beleidigungen, die ich in einem Fall auch angezeigt habe. Die Wortwahl hat sich verschärft.

Oberbürgermeister Sebastian Remelé bei einem Rundgang durch das Impfzentrum am Volksfestplatz, das in den nächsten Wochen in Betrieb genommen werden soll.
Foto: Josef Lamber | Oberbürgermeister Sebastian Remelé bei einem Rundgang durch das Impfzentrum am Volksfestplatz, das in den nächsten Wochen in Betrieb genommen werden soll.
Wie gehen Sie damit um?

Remelé: Wenn man es persönlich nimmt, kann man dieses Amt nicht ausführen. Man muss es an sich abprallen lassen. Natürlich ernst nehmen und reagieren, aber auch einen kleinen Panzer anlegen. Es tut auch gut, sich mit Kollegen auszutauschen, denn man merkt, dass man nicht alleine ist.

Wie sieht es in den Schulen aus, ist die Stadt in Sachen Digitalisierung gut aufgestellt?

Remelé: Nein, das sind wir nicht, können es aber auch nicht sein. Diese Krise mit der neuen Form der Beschulung hat uns wie alle deutschen Schulen aus heiterem Himmel getroffen. Es ist ein hochkomplexer Prozess, der vorgesehen war bis 2022/23 umgesetzt zu werden. Es ist eine Mammutaufgabe, die in zwei, drei Jahren, nicht aber in drei, vier Monaten zu bewältigen ist. Hätten wir das Ausmaß der Krise geahnt, hätten wir das Thema „digitales Klassenzimmer“ sicher mehr forciert. Allerdings funktioniert es dafür ganz gut, wie ich an meinen beiden schulpflichtigen Kindern beobachte.

Im Frühjahr schien es, als würden die finanziellen Auswirkungen für die Stadt katastrophal. Ist man mit einem blauen Auge davon gekommen?

Remelé: Die Gewerbesteuer ist zunächst massiv eingebrochen, so dass die Finanzreferentin gezwungen war, zu reagieren. Dass es dieses großzügige Unterstützungsprogramm von Bund und Freistaat gab, war nicht vorauszusehen. Jetzt hängt alles davon ab, ob die Weltwirtschaft, die Maschinenbau- und Autoindustrie, anspringt und das Niveau von 2019 wieder erreicht. Wir haben von allen großen Firmen positive Signale, dass die Auftragsbücher sich füllen. Wir wissen aber nicht, wann sich das in Gewerbesteuerzahlungen niederschlägt. Wir müssen auch wieder lernen, dass unser Wohlstand und unser Sozialwesen von einer florierenden Wirtschaft abhängen. Dazu gehört auch ein florierender Automarkt. Deswegen warne ich davor, allzu eifrig an dem Ast zu sägen, auf dem unser Wohlstand beruht. Das Coronajahr hat zu unserer Überraschung den Individualverkehr gestärkt. Das Auto ist eben auch Ausdruck individueller Freiheit, natürlich vor dem Hintergrund des Klimawandels mit all den Möglichkeiten, die es technisch gibt, um es schadstofffrei zu machen.

Wie sieht es mit den Großprojekten aus? Kritiker befürchten, die schlimmen Jahre kommen erst?

Remelé: Auch ich habe die Sorge, dass wir nicht so schnell wieder das Niveau wie vor der Krise erreichen werden. Aber ich kann diese Sorge nicht zum bestimmenden Element der Stadtpolitik machen. Ich bin fest überzeugt, dass wir diese Krise überwinden. Das heißt planen und organisieren, aber auch möglicherweise Projekte verschieben, abspecken oder aufgeben. Wir haben bei der Landesgartenschau zum Beispiel ein Ausstiegsszenario vereinbart, dass es uns ermöglicht, bis kurz vor knapp noch die Notbremse zu ziehen.

Sie haben kürzlich die Unterschrift unter den LGS-Vertrag verkündet und die Carus-Allee eröffnet. Zeichen der Hoffnung?

Remelé: Natürlich. Es ist wichtig, solche Signale zu senden. Wir wollen der Bevölkerung zeigen, dass es weitergeht. Es wird weiter gebaut, investiert. Die Stadt hat eine Zukunft, die Antworten auf die Fragen der Zeit gibt. Stichwort Klimawandel oder Durchgrünung des urbanen Raumes.

Bei der geplanten Sanierung des Theaters wird auch das Thema Brandschutz unter die Lupe genommen.
Foto: Josef Lamber | Bei der geplanten Sanierung des Theaters wird auch das Thema Brandschutz unter die Lupe genommen.
Das Theater soll saniert werden, im Sommer entscheidet der Stadtrat endgültig. Gerüchte besagen, es bleibe nach dem Lockdown zu und werde bis zum Ende der Sanierung 2024 nicht geöffnet. Stimmt das?

Remelé: Das kann ich jetzt nicht bestätigen. Wir müssen weitere Untersuchungen zum Thema Brandschutz durchführen. Das Theater wurde 1966 in einer Zeit gebaut, als man mit dem Brandschutz noch anders umging als heute. Wir müssen prüfen, ob wir das Problem bis zur Sanierung durch Maßnahmen abfedern können. Wir werden das geklärt haben bis es eine Perspektive zur Wiedereröffnung nach dem Lockdown gibt.

Der Winter 2019/2020 war geprägt von Wahlkampf und Wahlversprechen. Was davon wurde umgesetzt, was kommt noch?

Remelé: Fast mit dem Wahltag kam das gesellschaftliche Leben wegen Corona zum Erliegen. Wir mussten als Verwaltung auf Krisenmanagement umschalten. Mitarbeiter des Theaters halfen im Gesundheitsamt, Mitarbeiter des Servicebetriebs machten Eingangskontrollen im Rathaus. Gleichwohl funktionierte es, und die Verwaltung hat bewiesen, dass sie neben diesen neuen Herausforderungen auch ihre Kernaufgaben nicht vernachlässigt. Bellevue entwickelt sich zum Beispiel sehr gut, wir haben die Carus Allee umgesetzt, die LGS-GmbH gegründet, die Planung für das Theater geht gut voran. Es ist vieles hinter den Kulissen passiert, wurde aber bisher nicht sichtbar. Es laufen sehr viele Vorbereitungen, zum Beispiel beim Kulturforum. Corona bremst nicht nur, sondern beschleunigt auch wie bei der Digitalisierung der Schulen. Wir haben allerdings auch Pläne aufgegeben wie das neue Bürgerrathaus anstelle des Kassengebäudes oder den Neubau des Friederike-Schäfer-Heimes.

"Es ist eine Vernunftehe und keine Liebesheirat."
Sebastian Remelé über die schwarz-grüne Koalition im Stadtrat.
Wie sind Sie mit der schwarz-grünen Koalition zufrieden?

Remelé: Es ist eine Vernunftehe und keine Liebesheirat. Grüne- und CSU-Fraktion nehme ich in Schweinfurt als bürgerlich geprägte Parteien wahr. Sie haben unterschiedliche Ausrichtungen, die Grünen bekanntlich auf den Umweltschutz, die CSU auf die Wirtschaft. Das bietet sich aber für eine Ehe sehr gut an, denn wir müssen Ökologie und Ökonomie in Schweinfurt stärker zusammen führen. Dass es da mal in der einen oder anderen politischen Frage hakt, ist nicht zu verhindern. In den großen kommunalpolitischen Fragen gab es einen klaren Konsens, als Schwarz-Grün bei den Haushaltsberatungen den Kurs der Verwaltung auch unter eigenen Schmerzen mitgetragen hat. Politik ist immer Kompromiss. Die LGS ist ein gutes Beispiel: Hier sind beide Parteien unseren Weg – angereichert durch eigene Forderungen und Wünsche, die wir zu einem Gutteil umgesetzt haben – mitgegangen. Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit der Initiative „Bezahlbares Wohnen“. Hier merkte man in den Gesprächen mit den Vertretern des Bürgerbegehrens, dass es zwischen Schwarz und Grün eine gemeinsame Basis gibt. Es haben zwei bürgerliche Gruppierungen zusammen gefunden, die im Grunde gut harmonieren.

"Wir werden aber die Krise nur überwinden, wenn sich die Mehrheit der Bürger impfen lässt und damit Verantwortung für sich und die Gesellschaft übernimmt."
Sebastian Remelé über die Bedeutung der Impfungen.
Haben sich Ihre Wünsche für die Zukunft durch Corona geändert?

Remelé: Ich wünsche mir, dass diese Gesellschaft im Kern zusammenhält. Schweinfurt verfügt über eine sehr heterogene Bürgerschaft, die sich in ihrer ethnischen Zusammensetzung weiter stark verändern wird. Bisher konnte immer ein "Common Sense" gefunden werden. Wir werden aber die Krise nur überwinden, wenn sich die Mehrheit der Bürger impfen lässt und damit Verantwortung für sich und die Gesellschaft übernimmt. In der Krise kommt es auf jeden Einzelnen an. Wir werden das Virus nicht aus der Welt schaffen, wenn wir uns nicht zu 70 oder 80 Prozent impfen lassen. Mein Wunsch: Bitte zusammenhalten, Verantwortung übernehmen, Disziplin und Ruhe bewahren und den Empfehlungen von Regierung und Verwaltung folgen, anstatt kruden Heilslehrern nachzurennen.

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