
Es ist der gleiche Grund, der auch heute Menschen noch dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen und ihr Glück in der Ferne zu suchen: wirtschaftliche Not. Vor 300 Jahren verließen 66 Menschen Gerolzhofen und wanderten nach Ungarn aus.
Annähernd 1100 Kilometer von ihrer fränkischen Heimat entfernt, gründeten sie den Ort Elek neu. Die Verbindung zu Gerolzhofen war lange Zeit abgerissen. Erst seit 40 Jahren wird diese auf beiden Seiten wieder gepflegt, wie die diesjährige Jubiläumsfeier zeigt.
Im Gerolzhöfer Stadtarchiv ist ein auf den 22. April 1724 datiertes Ratsprotokoll erhalten, das die Namen der 13 Familien und des Junggesellen enthält, denen die Stadtoberen – entgegen einem Verbot des Landesherrn, des Würzburger Fürstbischofs – erlaubt hatte, Gerolzhofen zu verlassen. Vorausgegangen war dem ein Jahr der Missernten, Unwetter und Viehseuchen. In ganz Unterfranken hatten die Menschen kaum genug zu essen.
Kaiser Karl sucht händeringend nach Untertanen
Im Königreich Ungarn dagegen waren Anfang des 18. Jahrhunderts weite Teile des Landes fast menschenleer. Kaiser Karl VI., ein Habsburger, zu dessen Reich Ungarn gehörte, ließ händeringend Menschen anwerben, die die nach der Vertreibung der Türken verödeten Landschaften und Orte wiederbesiedelten. Auf diese Weise gelangten die Gerolzhöfer vor 300 Jahren zunächst nach Gyula. Dort wurden sie wenig später angewiesen, die wenige Kilometer entfernten Orte Elek und St. Martin neu zu besiedeln.
Der Gerolzhöfer Stadtarchivar Otto Weigand hat großen Anteil an der Aufarbeitung der historischen Beziehungen zwischen Gerolzhofen und Elek und der Annäherung beider Orte. In einer Mitte der 1980er-Jahre veröffentlichten Artikel-Serie über die Beziehungen zwischen beiden Kommunen berichtet er, dass Elek vor Ankunft der Neusiedler fast 160 Jahre unbewohnt gewesen sei. Die fränkischen Siedler, die die ihnen bekannte Bauweise der Häuser, ihre Sprache und Bräuche beibehielten, bauten im Südosten von Ungarn rasch ein Dorf auf. Dieses wurde jedoch bereits im Jahr 1735 von serbischen Aufständischen geplündert und weitgehend zerstört.

Die rechtzeitig geflohenen Bewohner kehrten zurück und bauten ihr Bauerndorf in der fruchtbaren Gegend erneut auf. Dann folgte der nächste Schlag: Im Jahr 1738 brach in der Gegend die Pest aus. Innerhalb eines halben Jahres starben in Elek Weigand zufolge 148 Menschen, ungefähr die Hälfte der Bevölkerung.
20 Jahre später kommt es zur zweiten Auswanderung
Trotz der Rückschläge, die die Aussiedler in ihrer neuen Heimat verkraften mussten, ist in Gerolzhofen in den Stadtbüchern kein einziger Fall eines Heimkehrers vermerkt. Im Gegenteil: Bereits im Jahr 1744 reiste eine weitere, größere Gruppe aus Gerolzhofen und Umgebung nach Elek aus. Zwölf der aufgebrochenen Familien stammten aus Gerolzhofen, 13 aus dem Bereich der heutigen Verwaltungsgemeinschaft, etwa aus Dingolshausen, Frankenwinheim, Donnersdorf, Oberschwarzach und Lülsfeld. Zählt man die Auswanderer aus der weiteren Umgebung mit, waren es laut Weigand 60 fränkische Familien, die 20 Jahre nach den ersten Auswanderern zusätzlich nach Elek kamen.
Die erfolgreich betriebene Landwirtschaft, insbesondere die Viehzucht (Schweinemast) ließ Elek bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918) wirtschaftlich aufblühen. Ein Ortsverzeichnis führt bereits für das Jahr 1840 in Elek 3090 Einwohner – mehr als doppelt so viele wie seinerzeit in Gerolzhofen lebten.
Erste Annäherungsversuche bleiben ohne Folgen
Während zwischen Gerolzhofen und Elek Mitte des 19. Jahrhunderts keinerlei Beziehungen mehr gepflegt wurden, wurden die in Franken liegenden Wurzeln in Elek nach wie vor verehrt. Im Jahr 1924 wurde in Elek das Jubiläum der 200 Jahre zurückliegenden Ansiedlung gefeiert. Eine Delegation kam hierzu nach Gerolzhofen.

Vier Jahre später besuchte eine Gruppe von 21 ungarischen Landwirten, darunter neun Eleker, Gerolzhofen. Landwirt Adam Zielbauer aus Elek und der Gerolzhöfer Bürgermeister Philipp Weigand vereinbarten eine engere Kontaktaufnahme. Der plötzliche Tod von Zielbauer vereitelte dies jedoch. Der geschlossene "Freundschaftsbund", wie Weigand in seinem Beileidsbrief nach Elek schrieb, blieb seinerzeit ohne Folgen.
Das Gleiche gilt für eine Veröffentlichung des Gerolzhöfer Stadtarchivars Georg Görres, der im Jahr 1959 – und nochmals 1964 – im "Bote vom Steigerwald" über die von ihm entdeckte Eintragung zur Auswanderung der Gerolzhöfer Familien nach Ungarn im Ratsprotokoll aus dem Jahr 1724 berichtete.
Erstes Heimattreffen bringt Hunderte nach Gerolzhofen
Erst im Jahr 1983 löst Franz Ament, ein gebürtiger Eleker, der in Gerolzhofen nach seinen Ahnen forschte, Aktivitäten seitens der Stadt aus. Im Mai 1984 kam eine große Gruppe von Menschen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Deutschstämmige aus Elek und Ungarn vertrieben wurden, in die Stadt, aus der ihre Vorfahren stammten. 700 ehemalige Eleker reisten an. Es wurde das erste größere Eleker Heimattreffen. In dessen Rahmen wurde im Treppenhaus des Alten Rathauses in Gerolzhofen auch eine Bronze-Tafel angebracht, die an die Auswanderung erinnert. Sie hängt immer noch dort.

Noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs war es im Zuge der politischen Annäherung zwischen West- und Osteuropa möglich, einen Freundschaftsvertrag zwischen Gerolzhofen und Elek zu schließen. Bevor die Bürgermeister Franz Stephan (Gerolzhofen) und Istvan Szánto (Elek) diesen im Juni 1988 unterzeichneten, hat es ab 1984 mehrere Besuche und Gegenbesuche von Menschen aus beiden Kommunen gegeben. Dazu zählte sehr früh auch der Austausch von Schülerinnen und Schülern des Gerolzhöfer Gymnasiums, den dessen Leiter, Heinrich Schipper, in die Wege geleitet hat.

Städtepartnerschaft existiert erst seit 16 Jahren
Bis zum Abschluss einer offiziellen Städtepartnerschaft verstrichen dann nochmals 20 Jahre. Das entsprechende Dokument unterschrieben die Gerolzhöfer Bürgermeisterin Irmgard Krammer und ihr Eleker Amtskollege Laszló Pluhár Anfang August 2008 während des neunten Weltfreundschaftstreffens in Elek.

Heute leben in Elek nur noch wenige deutschstämmige Menschen. Doch die Verbindung zwischen Gerolzhofen und dem ungarischen Ort sind gefestigter, als sie es über weite Teile der 300-jährigen Geschichte, die beide Kommunen verbindet, war.