
Seit zwei Wochen ist Matthias Miersch Generalsekretär der SPD. Der 55-Jährige folgte auf Kevin Kühnert, der sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte. Im Interview am Rande des kleinen Landesparteitages der Bayern-SPD in Schweinfurt sprach Miersch über das Bündnis Sarah Wagenknecht als Koalitionspartner und die Chancen auf eine Fortsetzung der Ampel-Regierung.
Matthias Miersch: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat sich hier schon eindeutig und, wie ich finde, richtig positioniert. Der Ältestenrat hat sich damit beschäftigt. Frau Özoguz hat sich entschuldigt. Nun hoffe ich, sie zieht ihre Lehren daraus.
Miersch: Hier geht es um eine Frage von grundsätzlicher Art. Sahra Wagenknecht lebt ja eigentlich davon, nie Verantwortung zu übernehmen. Jetzt ist ihre Bewegung aber kurz davor. Was ich wahrnehme, ist, dass die Politikerinnen und Politiker vor Ort durchaus bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Jetzt geht es darum, wie wir das hinkriegen.
Miersch: Ich würde mir sehr wünschen, dass in den genannten ostdeutschen Ländern Stabilität einkehrt und dass es Koalitionen gibt. Wir können aber nicht auf Gedeih und Verderb in so etwas reingehen. Wir werden Politik nicht betreiben, indem man sich erpressen lässt. Außerdem wird über die Ukraine nicht in den Bundesländern entschieden, insofern wird man dort Brücken finden, wenn man das will. Die Kernfrage für das BSW bleibt: Ist man bereit, Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse zu schmieden? Da kommt es jetzt zum Lackmustest.
Miersch: Wir sehen es ja in der Ampel, dass es für uns in einem Dreierbündnis mit zwei sehr unterschiedlichen Partnern nicht einfach ist. Da muss man sehr aufpassen, dass man nicht nur in der Moderatorenrolle bleibt. Das ist zwar die entscheidende Rolle, aber nach außen hin kann dann teilweise das Profil etwas leiden.
Miersch: Wir sehen in anderen Ländern, dass es bei einer Vielzahl von Parteien gar nicht mehr möglich ist, Koalitionen zu schmieden. Da braucht es dann andere Modelle, beispielsweise eine Minderheitsregierung, bei der man sich natürlich immer Mehrheiten suchen muss und die letztlich am seidenen Faden hängt. Ich fordere das nicht, aber wenigstens mal den Horizont etwas zu erweitern – das, glaube ich, täte uns gut.
Miersch: Ich würde nie etwas ausschließen, weil die Zeiten sehr volatil sind. Dass aber der Großteil der Gemeinsamkeiten aufgebraucht ist, das sieht jeder. Obwohl wir richtig viel geschafft haben: Denken Sie daran, dass wir nach dem russischen Angriff die Herausforderung hatten, die Energieversorgung sicherzustellen, die Energiepreise in den Griff zu kriegen. Wir sind beim Ausbau der Erneuerbaren wahnsinnig weit gekommen. Wir haben den Mindestlohn angehoben, das modernste Einwanderungsrecht geschaffen, haben gerade die Krankenhausreform beschlossen. Das alles hätten wir in einer großen Koalition nie geschafft. Und trotzdem überlagert der Streit leider alles. Deswegen glaube ich nicht, dass da die Neigung bei den Beteiligten groß ist, die Ampel fortzusetzen.
Miersch: Jede Koalitionsbildung wird wahnsinnig schwer in diesen Zeiten. Auch deswegen ist mein primäres Ziel, mir jetzt nicht über irgendwelche Koalitionen den Kopf zu zerbrechen, sondern dafür zu sorgen, dass die SPD als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgeht.
Miersch: Wir haben schon Wahlen gehabt, etwa 2005 und 2021, wo wir einen großen Abstand am Ende aufgeholt haben. Mit einer sehr klaren Positionierung im Wahlkampf kann man in den nächsten Monaten noch sehr, sehr viel erreichen. Wir wollen deutlich machen, dass es um eine Richtungsentscheidung geht: auf der einen Seite die Merz-CDU, die unseren Staat kaputtsparen und Reiche einseitig entlasten will. Oder die Sozialdemokratie, die für einen handlungsfähigen Staat steht, der in Zukunft investiert und die arbeitende Mitte entlastet.
Miersch: Wir sind in einer Situation, wo wir sehen, dass die Industrie unter Druck ist. Und deswegen finde ich es gut, dass Olaf Scholz jetzt in seiner Regierungserklärung am Mittwoch sehr deutlich gesagt hat, das mache ich zur Chefsache. Ende Oktober lädt er zu einem Gipfel ins Kanzleramt ein, wo er einen Pakt für Industriearbeitsplätze schmieden will, was ja nicht nur die Industrie betrifft, sondern auch nachgelagerte Wertschöpfungsketten.
Miersch: Das Rentenpaket ist verabredet in der Koalition. Da gibt es nur noch Debatten innerhalb der FDP. Ich erwarte aber, dass das Wort von Christian Lindner, das Gesetz sei ausverhandelt und zustimmungsfähig, gilt. Und auch das Tariftreuegesetz muss kommen. Gut bezahlte, tarifliche Arbeitsplätze haben viele positive Effekte - sie stabilisieren etwa unser Rentensystem. Insofern sind das noch Themen, die wir in der Ampel lösen müssen und die dazu führen werden, dass man sagen wird: Das ist eine SPD-geführte Bundesregierung mit klar erkennbarer Handschrift.
Miersch: Ich wurde in einer Talkshow gefragt, ob Boris Pistorius ein guter Kanzler wäre. Und ich durfte nur mit "Ja" oder "Nein" antworten. Natürlich habe ich wahrheitsgemäß mit Ja geantwortet. Aber wir haben einen Kanzler, hinter dem ich wirklich hundertprozentig stehe. Insofern stellt sich diese Frage nicht.
Miersch: Ich hoffe, dass es ein Wahlkampf wird, in dem es um den inhaltlichen Austausch geht. Der muss aber auch hart geführt werden, damit die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass es in unterschiedliche Richtungen geht, wenn man etwa auf die Programmatik der Merz-CDU schaut. Ich benutze diesen Begriff sehr deutlich, weil ich glaube, dass es viele Bereiche gibt, wo Merz auch auf Widerstand innerhalb der CDU stößt. Denken Sie etwa an die Weiterentwicklung der Schuldenbremse, die viele CDU-Ministerpräsidenten reformieren wollen. Und vor allem bei Fragen von sozialer Gerechtigkeit hat die SPD ein klares Gegenmodell.
Miersch: Ich glaube, dass Söder, dessen politische Grundhaltungen in der Regel kaum länger als 24 Stunden halten, auch ein Mitbewerber gewesen wäre, mit dem wir es hätten aufnehmen können. Im Übrigen finde ich, hat er schon als Ministerpräsident - ich denke an das Thema Atomkraft - so viele Irrungen und Wirrungen erzeugt, die symbolisch sind, dass man die Frage stellen kann, ob so jemand tatsächlich ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland leiten sollte.