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Ebertshausen
Neuanfang auf dem Land: Wie sich eine ukrainische Familie in Ebertshausen integrieren möchte
Artem, Daria und Töchterchen Iva sind im Landkreis Schweinfurt untergekommen. Wie der Einzug der Familie verlief und mit welchen Herausforderungen sie heute kämpfen.
Vom Krieg geflüchtet und in Ebertshausen gelandet: Artem, Töchterchen Iva und Daria.
Foto: Steffen Krapf | Vom Krieg geflüchtet und in Ebertshausen gelandet: Artem, Töchterchen Iva und Daria.
Steffen Krapf
 |  aktualisiert: 17.05.2024 06:48 Uhr

Ein Mitarbeiter des Landratsamtes läuft in einen Raum, in dem zwei gemütlich aussehende Sofas stehen. Ein Bild von Phil Collins hängt großformatig gerahmt an der Wand. "Dobre Jutro", sagt er zu der kleinen Familie, die dort auf ihn wartet. Dem "Guten Morgen" auf ihrer Landessprache entgegnet das ukrainische Ehepaar Daria und Artem freundlich. Gemeinsam mit ihrer fünfeinhalb Jahre alten Tochter Iva beziehen sie an diesem Tag, Ende März, im Üchtelhäuser Gemeindeteil Ebertshausen ihr neues Zuhause. Im Stockwerk darüber zieht noch eine ukrainische Familie ein – ein Ehepaar mit zwei Kindern.

Mit dabei am Einzugstag ist auch Michael Scheuring, der sein Haus in der Ortschaft dem Landratsamt als dezentrale Flüchtlingsunterkunft zu Vermietung bereitstellt. Der Vereinsvorsitzende des örtlichen Sportclubs kündigte schon einige Wochen zuvor in einer Bürgerversammlung an, dass das 350-Einwohner-Dorf neue Bewohner bekommt.

Den Dorfbewohnern die Ängste nehmen

Er musste vieles im Haus herrichten, um den Anforderungen des Landratsamtes nachzukommen, erklärt er. Auf 250 Quadratmetern wäre hier Platz für zehn Menschen. Er sei ganz sicher niemand, der seine Immobilie des Geldes wegen für diesen Zweck anbietet. Alles ist liebevoll hergerichtet, etwas fränkisch-urig kommen die Räume auch daher. "Ich finde es schrecklich, was aktuell auf der Welt passiert", erklärt Scheuring seine Beweggründe. "Und ich finde es ganz schrecklich, wie die Rechten hier Stimmung machen."

Gemeinsam mit Gemeinde-Bürgermeister Johannes Grebner versuchte er damals bei der Bürgerversammlung den Dorfbewohnern die Ängste zu nehmen. Scheuring möchte in seinem Haus Geflüchteten, egal welcher Nationalität, wie er betont, die Möglichkeit geben, zur Ruhe zu kommen und ihren Frieden zu finden. Das Verständnis der Dorfgemeinschaft war letztlich überwiegend groß, nun müsse man schauen, wie die neuen Bürger Ebertshausens sich integrieren, berichtet Scheuring.

"Es ist schon so, dass die Bürger auf dem Land immer etwas besorgter sind", teilt ein Mitarbeiter des Landratsamt-Unterkunftsmanagements seine Erfahrungen zu dezentralen Unterbringungen. Allerdings lege sich das in der Regel stets schnell. Im Kreis Schweinfurt gebe es mit allen Unterkünften quasi keine Probleme. "Das Härteste ist da schon, dass mal eine Kippe in den Nachbargarten geschnippt wurde."

Landratsamt-Mitarbeiter: Bedenken müssen begründet sein

Das Unterkunftsmanagement tritt in solchen Fällen als Vermittler auf. "Die Leute merken schnell, dass weiterhin alles ganz normal ist." Es gehe darum, offen und transparent mit der Situation umzugehen. "Bedenken darf man ja haben", sagt einer der Landratsamt-Mitarbeiter. "Solange sie nicht unbegründet sind. Wenn jemand irrationale Probleme mit Menschen hat, dann können wir nichts dagegen tun."

Fünf Wochen nach dem Einzug kommt diesmal der Reporter in Begleitung einer Dolmetscherin ins Wohnzimmer von Daria und Artem und sagt "Dobre Jutro". Phil Collins blickt noch immer von der Wand in den Raum. "Die Leute sind alle freundlich", erklärt Daria. Die 39-Jährige arbeitete in der alten Heimat als Office Managerin. Ihr ein Jahr jüngerer Partner Artem war im Digital Marketing tätig. Gemeinsam mit ihrem Kind lebten sie ein zufriedenes Leben in der Millionenstadt Charkiw. Bis zum 24. Februar 2022 als russische Truppen in die Ukraine einmarschierten.

Anfangs dachten sie, wie viele Ukrainer, das alles würde nach wenigen Tagen wieder ein Ende nehmen. Sie mussten dann die ganze Härte des Krieges miterleben, Schüsse und Bomben. Daria floh einige Wochen nach dem Kriegsausbruch mit Töchterchen Iva nach Polen. Seit drei Monaten sind die drei in Deutschland wieder vereinigt. Artem kümmerte sich zwischenzeitlich um eine schwerkranke Angehörige im russisch besetzten Teil der Ukraine in Cherson. Er verließ das Land dort dann über die litauische Grenze.

Noch fehlen der Familie die Bezüge

Nach der Zeit in zwei verschiedenen Ankerzentren freut sich die Familie grundsätzlich über die Unterbringung in Ebertshausen. Allerdings stockt die Integration noch. Die Bürokratie macht der Familie zu schaffen. Es hakt an grundlegenden Dingen: Noch erhielten sie keinerlei Bezüge. Die eigenen Ersparnisse sind aufgebraucht.

Tochter Iva, die noch keinen Kindergartenplatz in Aussicht hat, gehe es nicht gut. Das Mädchen ist Allergikerin, zuletzt kratzt sie ihre Haut immer mehr auf und leidet unter Schlafproblemen. "Es wäre maximal wichtig, dass sie mit anderen Kindern in Kontakt kommt", sagt die Mutter. Auch Daria und Artem wirken erschöpft und ratlos. Es gehe gerade nichts vorwärts, berichten sie. "Die Situation spitzt sich zu", sagt Daria.

Gerade fehle aufgrund der Probleme im Bürokratie-Dschungel die Basis, um ihr neues Leben angehen zu können. Die beiden wollen Sprachkurse machen und in ihren Berufen arbeiten. Der Optimismus ist seit einigen Wochen verloren gegangen, erklärt Artem: "Aber an den Dauerstress haben wir uns in den letzten zwei Jahren auch irgendwie gewöhnt."

 
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