„Ein Schiff wird kommen“, dieser alte Gassenhauer geht mir durch den Kopf, als die „Erik Walther“ auf dem Main sichtbar wird und galant auf den Mainarm „abbiegt“, der sie zu ihrem Heimathafen und damit zur Anlegestelle der Firma
„Walther“ im Schweinfurter Hafen bringt.
Dafür, dass sich der alte Schlager in meinem Kopf zum Ohrwurm mausert, bleibt glücklicherweise keine Zeit, denn Schiffsführer Frank Krüger und seine beiden Steuermänner Maik Reuß und Hans Pulfer brauchen nur wenige Minuten, um die „Erik Walther“, das neueste Schiff der Walther-Flotte, dahin zu manövrieren, wo sie es haben wollen.
Da sitzt jeder Handgriff, wenn es gilt, die knapp 110 Meter Länge und beinahe zwölf Meter Breite des erst in diesem Jahr in Dienst gestellten und nach dem Firmengründer benannten Tankmotorschiffes, an Ort und Stelle zu bringen. Hans Pulfer schwingt sich wie ein Seebär aus dem Bilderbuch auf dem Löscharm von der Reling ans nahe Ufer, fixiert die Taue – geschafft.
Im Tank: 1750 Kubikmeter Heizöl
Aus Flörsheim kommen sie, in Aschaffenburg haben sie schon einmal „geleichtert“, also etwas von ihrer Ladung gelöscht, aber im Bauch des modernen Schiffes befinden sich immer noch 1750 Kubikmeter Heizöl. Und das muss raus und zwar in einen der zwölf mächtigen Tanks, die das Gelände der Firma Walther so unverkennbar machen. Anschlüsse öffnen, Ventile aufdrehen, 30er-Muttern nach Anweisung lösen, Beilagscheiben dazwischen und dann den Absaugstutzen wieder fixieren. Noch vor dem ersten „Hallo“ sind die Vorbereitungen zum Löschen der Ladung in vollem Gange. Für Worte ist immer noch Zeit, wenn der Laden läuft, denn es dauert sowieso Stunden, bis das Schiff leergepumpt ist.
Niedrigwasser: Wenn die Handbreit Wasser unter dem Kiel fehlt
Das Niedrigwasser infolge der Trockenheit macht den Binnenschiffern zu schaffen. Auf dem Rhein geht gar nichts mehr, weshalb man im Augenblick nicht bis nach Rotterdam fahren kann, auf dem Main ist – dank der vielen Schleusen – die Situation noch entspannter. Die Wasserstraßen sind die Lebensadern für Unternehmen wie die Firma Walther. 1934 meldete Erik Walther die erste „Freie Tankstelle“ am Bärenweg in Gera an, heute sind es 84 eigene Tankstellen, die mit Diesel, Super E5, E-10 oder Super Plus versorgt werden. Dazu kommen zahlreiche weitere Kunden, die Treibstoff, Heizöl oder – seit 2013 – Holzpellets brauchen. 182 Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Region mit Energie versorgt wird – ob als Mitarbeiter in den Büros oder als Fahrer eines der vielen Walther-Tanklastzüge.
Alles andere als ein Acht-Stunden-Tag
Auf dem Schiff ist inzwischen „Lösch-Routine“ eingekehrt. Die Pumpen laufen. Nun ist Zeit, die Vorräte der Besatzung aufzufüllen oder mit Philipp Bohnengel, dem Bereichsleiter Binnenschifffahrt, über all das zu reden, was für die nächste Fahrt gebraucht wird und was man im täglichen Umgang mit dem neuen Schiff noch optimieren könnte. Von Seefahrer-Romantik, falls es die je gegeben hat, ist wenig zu spüren. Wer auf den Flüssen unterwegs ist, geht „Just in Time-Geschäften“ nach. Zwei Wochen arbeiten die Steuermänner am Stück, haben dann in der Regel genauso lange frei.
Schuhe aus im Steuerhaus
Frank Krüger, dessen Vater schon Schiffsführer war, hat mit 21 das Schiffsführer-Patent gemacht. Kapitän wird keiner genannt, der auf den Flüssen unterwegs ist. Er zeigt mir seinen Arbeitsplatz. Da ist vor allem das Steuerhaus – das Herz des Schiffes. Kein Steuerrad, kein großer Kompass – Nein, eher ein High-Tech-Büro mit majestätischem Sessel in der Mitte. Wer es betritt – und das gilt genauso für die Bordküche – muss wie in der guten Stube zuhause vorher die Schuhe ausziehen. Von dort hat er ein Dutzend Monitore im Blick, die ihm zeigen was vor, hinter und neben dem Schiff so vor sich geht. Technik vom Feinsten, die das Schiff in der Regel auf Kurs hält. Und doch sind es die beiden Kollegen, die bei Nebel, Dunkelheit oder in den engen Schleusen mit ihren geschulten Augen das Tüpfelchen auf dem I sind. Vor allem in den Schleusen bleibt meist links und rechts nur eine Handbreit „Luft“ zwischen Schiffs- und Schleusenwand, weshalb die Kollegen mit „Reibhölzern“ eingreifen müssen, um Schäden zu vermeiden. „Auf dem Main lernst du das Schleusenfahren“, so Maik Reuß, der genauso wie seine Kollegen schon seit Jahrzehnten die Flüsse befährt.
Man muss zusammenpassen, wenn man gemeinsam die Flüsse befährt
„Die Crew muss zueinander passen“, da sind sich alle drei einig. Schließlich verbringt man rund zwei Wochen auf engstem Raum an Bord miteinander. Eine moderne Bordküche, Fernsehen, Internet, Gemeinschaftsraum und eigene Unterkünfte bieten erstaunlich viel Komfort, aber ein Schiff bleibt ein Schiff. Der Ton ist bisweilen herzhaft, aber herzlich, immer wertschätzend kameradschaftlich und es wird viel gelacht. Man kennt und schätzt sich und seine kleinen Eigenarten.
Udo Fischer, Leiter Mineralölumschlag bei Walther, zeigt mir unterdessen wie es weiter geht, wenn Heizöl, Diesel & Co den Schiffsbauch verlassen haben und in den für sie vorgesehenen Großtank gepumpt sind. In zwölf Tanks, der größte fasst 12 003 Kubikmeter, ist alles vorsortiert, was die Region an Energie braucht. Gemeinsam erklettern wir den Größten. Aus einer Höhe von 16 Metern ergeben sich ungeahnte Ausblicke auf zum Beispiel die Hahnenhügelbrücke oder den firmeneigenen, immerhin 660 Meter langen Gleisanschluss der Firma, die auch über eigene Kesselwagen verfügt, um zum Beispiel auf dem Schienenweg die Raffinerie in Leuna zu erreichen. Udo Fischer, gelernter Großhandelskaufmann, ist auch Eisenbahnbetriebsleiter bei Walther. Zwar verfügt man über keine eigene Lok, aber über ein Zweikomponenten-Fahrzeug, mit dem auf dem eigenen Gelände auch Waggons bewegt werden können.
Geschlossenes System und viel Routine
Unten geht derweil alles seinen gewohnten Gang. Mineralölumschlag geht erstaunlich leise, sauber und völlig routiniert, so mein Eindruck. Möglichst unabhängig sein will man bei der Firma, weshalb man zum Beispiel auch eine eigene Kfz-Werkstatt hat. Eventuell entstehende Dämpfe werden zurück verflüssigt, so entsteht ein geschlossenes System, das auch für die Umwelt gut ist.
Frank Krüger und sein Team haben es inzwischen fast geschafft. Die „Erik Walter“ hat schon deutlich weniger Tiefgang, ein Zeichen dafür, dass sie fast leer gepumpt ist. Der Tankschubleichter „Marie Luise“, gekoppelt mit dem Tankmotorschiff „Thüringen“, fährt ein, als es fast schon zu dämmern anfängt. Gemeinsam hat der Schubverband rund 4000 Tonnen Treibstoff an Bord.
Auf der „Erik Walther“ rüstet man sich unterdessen für die Nacht. „Abendessen, ein bisschen die Füße hochlegen und ein wenig Fernsehen“, skizziert Hans Pulfer das Abendprogramm an Bord. Wahrscheinlich gibt es noch ein Stück Kuchen, das die Gattin bei ihrem Besuch mitgebracht hat. Am nächsten Morgen geht es wieder los, denn eins ist sicher – „ein Schiff wird kommen“, die Region braucht Treibstoff und Energie.