Knecht Ruprecht trägt heute Blau. Ein schicker Mantel dieser Farbe, mit dem ich auch in "Fluch der Karibik" als Statist durchgegangen wäre, ist der Grundstock meiner Verwandlung vom Reporter zum Knecht. Keiner, der den Stall ausmistet, sondern einer, der den Sack trägt und bei Bedarf die Rute schwingt, weshalb er als Assistent des Nikolauses oder wahlweise Weihnachtsmannes in die Geschichte eingegangen ist. Die Wipfelder Weihnachtsmänner, seit gut 30 Jahren im Dienst der guten Sache unterwegs, haben mich für den Vorabend des Nikolaustages in ihren erlauchten Kreis aufgenommen.
Auch für Weihnachtsmänner gilt, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, weswegen ich ganz froh bin, als Knecht von Tür zu Tür der vorher ausgemachten Adressen mitziehen zu dürfen. Doch auch so ein Ruprecht ist mehr als optisches Beiwerk, wenn der Weihnachtsmann den Kindern ins Gewissen redet, lobt, tadelt und – man muss es so sagen – immer Eindruck hinterlässt. Hildegard Gais, seit Jahrzehnten "Mutter" und gleichzeitig Dreh- und Angelpunkt für alle Nikoläuse und Weihnachtsmänner in und um Wipfeld, zupft mir noch den wilden Zottelbart zurecht und prüft mit Kennerblick, ob die Kappe richtig sitzt. Ein bisserl grimmig darf er schon ausschauen, der raue Geselle aus dem Winterwald. Zur Rute kommt noch eine lange Kette, mit der er theatralisch rasselt, bevor er im Gefolge des Mannes in Rot die guten Stuben betritt.
Nicht nur die Kinder sollten für den Nikolausabend ihr Verslein gelernt haben, um beim himmlischen Gast Eindruck zu schinden. Auch Knecht Ruprecht hat eine Sprechrolle, wenn ihn der Weihnachtsmann fragt, was er denn in seinem Sack mitgebracht hat. "Äpfel, Mandeln und Rosinen und auch schöne Zuckerrosen, Pfeffernüsse für die braven Kinder", hat er dann nicht ganz wahrheitsgemäß zu antworten, denn im Sack ist genau das, was die Eltern zuvor abgeliefert haben. Auch den zweiten Teil, "den anderen, die nicht artig sind, denen hau' ich auf die Hosen", sollte man nicht wörtlich nehmen. Den lasse ich lieber weg, wenn kleine Kinder im Raum sind, denen nicht nur die Vorfreunde, sondern auch gehöriger Respekt vor dem Mann mit dem dicken Buch, in dem alle Missetaten stehen, anzumerken ist.
Von Ohr zu Ohr mit dem Nikolaus
Mein Chef ist heute Michael Halbig, ein erfahrener Weihnachtsmann-Nikolaus mit Fingerspitzengefühl, der sekundenschnell erfasst, wie die Kinder drauf sind und was auf der weiten Klaviatur von Tadel bis Ermutigung geht. Man könnte meinen, dass er ein par Semester Kinderpsychologie für dieses Ehrenamt mitbringt. Aber nein, er ist einfach gerne und einfühlsam derjenige, der Kinder vom Schnulleralter bis zur Vorpupertät mit ihren kleinen Schwächen konfrontiert und ihnen Tipps gibt, wie man die aus der Welt schaffen kann. "Kleine Peinlichkeiten" und kindliche Missgeschicke werden auch mal im Flüsterton von Ohr zu Ohr mit dem Nikolaus besprochen. Muss ja nicht gleich die ganze Familie wissen, was die Engelchen da so alles herausgefunden haben wollen.
So bekommt er sie alle an diesem Abend. Mit großen Augen geloben sie Besserung, wenn es darum geht, im Kinderzimmer Ordnung zu halten oder die Hausaufgaben besser zu erledigen. Richtig stolz sind die Kleinen, wenn sie vor versammelter Familie und laufender Handykamera für ihre Erfolge und Vorzüge gelobt werden. Da bekommen die Hilfe beim Ausräumen der Spülmaschine oder die Leistungen in Schule oder Verein gleich doppelt so viel Gewicht, und die Augen leuchten heller als die LED-Adventssterne in den Vorgärten. Kleine "Trotzköpfchen" sind sich in diesen magischen Momenten völlig sicher, dass sie nie mehr mit der Schwester streiten oder von nun an die besten Spielzeugaufräumer der Welt werden.
Unsere Weihnachtsmänner-Tour ist straff getaktet. Uns bleiben nur wenige Minuten bis zum nächsten Termin. Dabei muss oft die Ortschaft gewechselt werden. Deshalb ist unser "Motorschlitten" ganz wichtig. Den fährt heute Jasmin Heinrich. Die 36-Jährige chauffiert die Wipfelder Weihnachtsmänner-Teams seit sie den Führerschein hat, also ihr halbes Leben lang. Dem Himmel sei Dank – unser Schlitten hat "Navi". Wenn in den warmen Stuben Lieder gesungen, Gedichte aufgesagt und Geschenke ausgepackt werden, macht sie schon das nächste Ziel auf der Liste klar. Während Weihnachtsmann und Knecht auf der Rückbank ihre Erlebnisse verarbeiten und sich ein von ihr vorbereitetes Häppchen unter den Bart schieben, muss sie aufpassen, dass ihrem Rentier im dichten Nebel nicht etwa ein echtes Reh in die Quere kommt.
Die Zeit vergeht wie im Flug bei unserer Tour im dicken Frack durch gut geheizte Wohnstuben. Ein aufwendiges Bischof-Nikolaus-Kostüm hätte wahrscheinlich längst schlapp gemacht, angesichts des vielen "rein ins Auto, raus aus dem Auto, Treppen hoch und welche runter". Auch das ist ein Grund, warum der schnelle Nikolaus besser im praktischen Weihnachtsmann-Outfit kommt, weiß Michael Halbig. Der Nikolaus mit Mitra und Bischofsstab, den gibt es in Wipfeld auch. Der kommt zum Beispiel in die umliegenden Kindergärten oder in die Kirche. Rainer Kleedörfer hat als solcher im Wipfelder Gotteshaus einen Auftritt. Die Kinder des Gemeindekindergartens singen und musizieren für den Heiligen Mann. Eifrig haben sie sich auf den großen Tag vorbereitet, berichtet Kindergartenleiterin Barbara Bielefeldt.
Mein Jutesack ist inzwischen wieder leer. Die Rute wurde nicht gebraucht. Weihnachtsmann und Knecht Ruprecht haben nur artige Kinder mit hin und wieder "etwas Besserungspotential" getroffen. Selbst Melodien wie "Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä", wohlgemerkt nicht aus Kindermund angestimmt, gingen bei uns wohlwollend als Weihnachtslied durch. Gab es denn nicht auch Ochs und Schaf und himmlische Posaunen an der Krippe? Nein, solange man uns nicht "Heute haun' wir auf die Pauke" serviert, bleibt die Rute ruhig und wird niemand in den Sack gesteckt.
Bilanz bei Bier und Bockwurst
Zurück bei Hildegard Gais in ihrer Pension "Weinlaube" wird Bilanz gezogen. Die Weihnachtsmänner-Teams des Abends treffen sich dort nach getaner Arbeit bei Feierabend-Bier und Bockwurst. Auf dem Nebentisch liegen schon wieder die handgeschriebenen Tourneepläne für den nächsten Tag. Mehr als 50 Termine, alleine in den Familien, werden es am Ende gewesen sein. Dazu kommen reichlich himmlische Dates in Kindergärten, Seniorenheimen oder bei Firmen-Weihnachtsfeiern. Seit gut 30 Jahren geht das so. Beim örtlichen Junggesellenclub wurde einst die Idee geboren. Zwischen 15 und 20 Leute machen pro Saison mit, teilweise schon seit vielen Jahren, nehmen mitunter sogar Urlaub, um diese Tradition am Leben zu erhalten.
Doch es geht nicht nur um Brauchtum, sondern auch um die gute Sache. Überall wo die Botschafter der Weihnacht auftauchen, bekommen sie nicht nur ihren "Spickzettel" und die Geschenke für die Kinder, sondern auch eine Spende. Und diese Gelder gehen an die Station Regenbogen, der Elterninitiative leukämie- und tumorkranker Kinder in Würzburg. 85 000 Euro sind es in all den Jahren geworden, weiß Hildegard Gais, die nicht nur über den Kostümfundus wacht und Einsatzpläne schreibt, sondern auch über jeden gespendeten Euro Buch führt.
Nikolaus oder Weihnachtsmann, das ist vielleicht Glaubenssache, aber am Ende nicht so wichtig. Hauptsache es steckt jemand hinter dem Bart, der Kinderaugen zum Leuchten bringen kann. Auf diesem Gebiet macht den Wipfeldern so schnell keiner was vor, denn die kennen sich nicht nur mit Wein, sondern auch mit dem Geschäft des Weihnachtsmannes bestens aus.