
Weil der Vorsitzende Richter auf den letzten Drücker nicht doch noch einen Geistlichen als Zeugen geladen hat, bei dem sich das mutmaßliche Opfer vielfachen sexuellen Kindesmissbrauchs vor einigen Jahren in ihrer Absicht, ihren Vater und die Familie zu verlassen, religiösen Rat geholt hatte, stellte die Verteidigung umgehend einen Befangenheitsantrag gegen den Richter. Der wies ihn zurück, weil die beweiserheblichen Tatsachen, um die es ging, "als wahr unterstellt" werden könnten. Und: Der Antrag sei zum Teil auch unzulässig.
Weitere Zeit kostete der Vorgang am sechsten Verhandlungstag im Missbrauchsprozess gegen den 56-jährigen Angeklagten aus Schweinfurt vor dem Landgericht gleichwohl. Der Antrag habe "offensichtlich überwiegend der Verschleppung" gedient, sagte der Vorsitzende. Seine ablehnende Entscheidung könne "zusammen mit dem Urteil überprüft werden". So kam es am späten Nachmittag endlich zu den Plädoyers.
Authentisch und ohne Belastungseifer
Die Staatsanwältin sah in dem Prozess keineswegs eine reine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Zwar stehe die Aussage der heute 28-Jährigen gegen die ihres Vaters, der jeden Missbrauch bestreite. Doch die junge Frau habe ihre Erlebnisse von den Vorfällen, die lange zurückliegen, authentisch und detailreich geschildert. Darunter etwa, dass es, nachdem sich ihr Vater nachts in ihr Bett gelegt hatte, zweimal zu Zungenküssen gekommen sei, oder dass sie manchmal Krämpfe vorgetäuscht oder sich schlafend gestellt habe. Sie habe keinen Belastungseifer gezeigt, nie übertrieben, sondern immer gesagt, ihr Vater habe eine bestimmte Grenze nie überschritten.
Laut Anklage legte sich der heute 56-Jährige von Juni 2008 bis Juni 2011, als seine Tochter zwischen 12 und 14 Jahre alt war, 36 Mal nachts zu ihr ins Bett, um sie zu berühren und sich sexuell zu erregen – bis eines Nachts die Mutter dies mitbekam. Sie habe ihren Mann auf dem Kind liegen sehen wie beim Liebesakt und er habe geatmet wie bei sexuellem Genuss, so die Anklagevertreterin über die Aussage der Mutter. Es bestehe auch kein Beweisverwertungsverbot bezüglich der Tonaufnahme, die die Tochter später heimlich von einem Gespräch mit ihrem Vater aufgenommen habe, bei der sie ihn nach den Gründen für die Missbrauchstaten fragte.
"Abschlachten"-Drohung sehr ernst genommen
Seinem Sohn gegenüber habe der Angeklagte im Übrigen eingeräumt, dass die Aussagen der Tochter richtig seien. Und: Das vom Angeklagten bei Telefonaten geäußerte "Abschlachten" der 28-Jährigen und ihres kleinen Sohnes sowie des Bruders des Angeklagten, der für den Schutz der Tochter sorgen wollte, hätten diese sehr ernst genommen. Die Staatsanwältin beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten. Dem schloss sich der Nebenklagevertreter an. Dass der 56-Jährige keinerlei Reue zeige, sei für seine Mandantin, als ob nachträglich noch einmal auf ihr herumgetrampelt würde.
Die beiden Verteidiger sahen keine objektiven Beweise für die Anklage. Einer der Anwälte kritisierte "die Weise, wie hier mit dem Despoten, der er sicherlich war in seiner Familie, regelrecht abgerechnet wurde" von den Familienmitgliedern und Verwandten, die als Zeugen auftraten. Doch an seiner Schuld bestünden zu viele Zweifel – deshalb: Freispruch. Dem folgte das Gericht nicht. Drei Jahre und fünf Monate Haft verkündete der Vorsitzende Richter im Urteilsspruch um 19.15 Uhr. Er folgte komplett der Staatsanwältin. In wenigen Missbrauchsverfahren sei die Beweislage so gut wie in diesem. Der Haftbefehl bleibt bestehen. Gegen das Urteil ist Revision möglich.