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Gerolzhofen
Kein Grund zur Sorge: "Bücher werden Hauptbestandteil bleiben"
Zum 40. Geburtstag der Stadtbibliothek Gerolzhofen erklärt Leiterin Julia Rehder, weshalb Escape-Room und Maker-Space wichtig sind – und redet über fränkische Beschwerdekultur.
Diplom-Bibliothekarin Julia Rehder leitet seit Juli 2019 die Stadtbibliothek Gerolzhofen, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiert. Pünktlich zum Jubiläumsjahr präsentiert sich die Bibliothek frisch saniert. Auch der Bereich für Kinder, in dem dieses Foto entstand, wurde umgestaltet.
Foto: Michael Mößlein | Diplom-Bibliothekarin Julia Rehder leitet seit Juli 2019 die Stadtbibliothek Gerolzhofen, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiert. Pünktlich zum Jubiläumsjahr präsentiert sich die Bibliothek frisch saniert.
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 27.04.2023 11:41 Uhr

Eine Bibliothek – nicht zuletzt seit Umberto Ecos Erfolgsroman "Der Name der Rose" verbinden sich mit diesem Ort diffuse Vorstellungen eines großen, düsteren Raums voller Bücherregale, in denen alte, staubige Schinken stehen. Die Stadtbibliothek Gerolzhofen, die ihr Domizil seit 40 Jahren im Bürgerspital hat, zeigt sich zu ihrem runden Geburtstag ganz anders: frisch renoviert, in modernem Ambiente, breit gefächertem Medienbestand und durchdachtem Konzept.

Diplom-Bibliothekarin Julia Rehder leitet die Einrichtung mit zwei Mitarbeiterinnen, einem Mitarbeiter und ab September mit einer Auszubildenden. Die 36-Jährige, die aus Hamburg stammt und dort vor ihrem Start in Gerolzhofen zwölf Jahre in einer Bibliothek gearbeitet hat, erzählt im Interview, welches Buch am meisten ausgeliehen wird, was in der Bibliothek noch original anno 1981 ist und wie wichtig Veränderungen sind.

Frage: Sie leiten die Stadtbibliothek seit zwei Jahren. Konnten Sie dieser schon Ihre "Handschrift" geben?

Julia Rehder: Man kann nur von Anstoßen sprechen. Ich bin hier länger mit Corona als ohne. Wir konnten zwar umbauen, da ist definitiv meine Handschrift erkennbar, aber es ist immer eine Teamleistung. Wir haben jetzt ganz viele Möglichkeiten, doch wir sind noch nicht dort, wo wir gerne sein möchten. Es ist diese Situation, die frustriert. Wir warten ab, bis wirklich feststeht, wie es wieder losgeht. Da hoffe ich auf Verständnis.

Haben Sie ein Beispiel parat, wo die Pandemie Sie zurückgeworfen hat?

Rehder: Die Escape-Rooms, die wir gerade konzipieren. Wir haben eine Kooperation mit dem Historischen Verein, dass es historische Escape-Games werden. Aber auch hier gilt: Man soll sich möglichst wenig treffen. Es kann nicht sein, dass wir zum Hotspot werden wegen eines Test-Spiels für den Escape-Room. Den Betrieb aufrecht erhalten, hat unbedingt Priorität. Auch der Spiele-Bereich und das Schachspielen, das vor Corona angelaufen ist, sind zur Zeit nicht möglich. Wir bekommen viele positive Rückmeldungen zum Umbau, doch die Besuche sind verhalten, weil für viele der Besuch mit der in Bayern vorgeschriebenen FFP2-Maske keine Option ist. 

Der Spiele-Bereich wurde komplett neu konzipiert. Wegen Corona kann er allerdings momentan nicht wie gedacht genutzt werden.
Foto: Klaus Vogt | Der Spiele-Bereich wurde komplett neu konzipiert. Wegen Corona kann er allerdings momentan nicht wie gedacht genutzt werden.
Welche Spuren der 1981 eröffneten Bibliothek gibt es denn noch? Was hat sich sich seitdem nicht verändert?

Rehder: Soweit ich weiß, gibt es im Obergeschoss noch zwei Lampen, die nicht ausgetauscht wurden. Wir haben aber auch noch viele der ursprünglichen Regalen behalten, die noch absolut gut sind. Und natürlich sind unter den Büchern Klassiker erhalten geblieben, die auch immer noch ausgeliehen werden, auch wenn nicht so häufig wie die Bestseller.

Wissen Sie, welches Buch in den 40 Jahren am häufigsten ausgeliehen wurde?

Rehder: Dafür gibt's keine Statistik, aber ich vermute ganz fest, dass es ein Band von Harry Potter ist. Es ist unfassbar, wie sehr das immer noch nachgefragt wird.

Wie groß ist denn der Bestand an Medien?

Rehder: Es sind circa 29 000 physische Medien, also Bücher, Spiele, CDs, DVDs usw. – alles, was Sie hier anfassen können.

Wächst der Bestand noch?

Rehder: In Bibliotheken beschränkt immer der vorhandene Platz den Bestand. Aber es ist immer Fluktuation vorhanden. Wir kaufen jedes Jahr gut 2000 Medien, in der Hauptsache Bücher. Und wir müssen auch aussondern, sonst haben wir ein Platzproblem, solange wir nicht Durchgänge zustellen und Sitzmöbel rauswerfen wollen. Aber der Fokus richtet sich immer darauf, zu sagen: Die Menschen sollen sich hier wohlfühlen.

Wo zeigen sich die Veränderungen der vergangenen vier Jahrzehnte am deutlichsten?

Rehder: Seit 2008 sind Computerspiele anerkanntes Kulturgut und haben Einzug in öffentliche Bibliotheken gehalten. Auch CDs und DVDs gab's in den 80er Jahren noch nicht. Der Bestand hat sich erweitert. Niemand braucht aber Angst haben: Bücher sind der Hauptbestandteil und werden es auch bleiben. Aber es gibt Menschen, die interessieren sich auch für anderes, etwa für – das haben wir ganz neu angeschafft – Regelbücher für Rollenspiele. Und auch Comics haben Text. Es gibt so viel, wo ich sage: Lesen ist unglaublich wichtig, doch was, das bleibt jedem selbst überlassen.

Wir haben sich Lesegewohnheiten verändert? Wie bekommt eine Bibliothek mit, was ihre Leser sich wünschen?

Rehder: Wir bekommen Leserwünsche direkt oder auf Nachfrage mitgeteilt, die wir dann in fast allen Fällen erfüllen. Das sind überwiegend Bücher – die Bestseller-Listen an Belletristik und Sachbüchern. Recht neu sind Graphic Novels, also Comics im Buchformat, auch für Erwachsene, die zum Teil Klassiker, etwa Kafka, herausbringen. Da kaufe ich erst mal einen Pulk und schaue, wie's ankommt. Viele Infos bekommen wir auch von Fachstellen für Bibliotheken.

Was sind denn die Evergreens unter den Lesestoffen?

Rehder: Es sind immer noch die Bestseller, die historischen und Unterhaltungsromane, die am häufigsten ausgeliehen werden, unfassbar viele Krimis und Thriller. Auch dass Sachbücher wieder im Kommen sind, ist nichts Neues. Es gibt immer Schwankungen. Dagegen hat eine Umfrage im vergangenen Jahr ergeben: Eine gedruckte Tageszeitung wurde nur von zwei Personen genutzt, eine sogar nur von einer Person. Das haben wir dann eingestellt, weil die Relation zu den Kosten nicht passt. Zumal haben wir das alles auch online – dort werden die Zeitungen auch sehr gut ausgeliehen. Wir müssen immer abwägen. Als 2019 Umweltthemen im Zuge von Fridays for Future in aller Welt enorm Aufwind hatten, da haben wir den Bestand für alle Altersklassen kurzfristig erweitert. Und das wurde super ausgeliehen, nicht nur Sachbücher zu Umweltschutz, sondern etwa auch zu Nachhaltigkeit und Upcycling, die komplette Bandbreite.

In der Stadtbibliothek haben längst auch digitale Medien Einzug gehalten. Bei den Hörbüchern gibt es eine große Auswahl.
Foto: Klaus Vogt | In der Stadtbibliothek haben längst auch digitale Medien Einzug gehalten. Bei den Hörbüchern gibt es eine große Auswahl.
Stoßen Sie mit Veränderungen auf Widerstand von Lesern?

Rehder: Ja, definitiv. Während des Umbaus war vielen auch nicht klar, dass wir jedes der 29 000 Medien einzeln anfassen mussten. Das war ein unfassbarer Aufwand. Und wir haben uns dann auch anhören müssen: Schließen Sie doch einfach zwei Wochen, dann öffnen Sie wieder, was belästigen Sie uns damit. Es war eine große Angst, dass mit dem Escape-Room und dem Maker-Space die Bibliothek verschwindet und keine Bücher mehr da sind. Jetzt, wo man sieht, die Bücher sind ja noch da, beruhigt sich das wieder. Wir haben uns viele Gedanken gemacht und Mühe gegeben, doch es wird immer welche geben, die Angst haben vor Veränderungen. Aber wenn wir noch beim Stand von 1981 wären, kann ich nicht sagen, ob die Bibliothek überhaupt noch so besucht werden würde. Denn dann wäre die Leserschaft einfach immer älter geworden. Ich möchte gerne, dass dies hier für die gesamte Bevölkerung ist.

Was ist ihr Lieblingsmedium?

Rehder: Tatsächlich immer noch Bücher, und hier habe ich bedingt durch die langen Autofahrten zur Arbeit Hörbücher für mich entdeckt.

Fürchten Sie angesichts der Schuldenlast der Stadt, dass der Stadtrat bei Ihrer Einrichtung den Rotstift ansetzt?

Rehder: Dadurch, dass der Etat seit Jahren nicht erhöht wurde, wird ja eigentlich schon gespart, denn Bücher werden teurer und wir können mit dem gleich bleibenden Geld weniger anschaffen. Über Etatkürzungen mache ich mir keine Gedanken im Voraus. Ich mache das hier ja nicht für mich, sondern für die Bevölkerung. Wenn man da einspart, nimmt man es den Einwohnern weg. Ich kann dagegen dann wenig machen. Ich versuche, möglichst viel auf die Beine zu stellen, viele Fördergelder zu holen, um auch dem Stadtrat zu zeigen: Hier passiert etwas, die Menschen bekommen etwas geboten für ihr Geld. Ich hoffe einfach, dass Kultur und Bildung einen besonderen Stellenwert behält.

Wenn Sie im Kaffeesatz lesen müssten: Was dürfte sich in den kommenden 40 Jahren am meisten verändern für die Bibliothek?

Rehder: Wenn man weltweit schaut – es gibt ja auch Länder, die sehr viel Geld für Bibliotheken ausgegeben, vor allem in Skandinavien –, dann zeigt sich, dass Bibliotheken Aufenthaltsqualität schaffen. Es wird wieder viel mehr auf Gemeinschaft gesetzt, wie bei uns, wo wir im kleinen Rahmen ein Spiele-Café anbieten, oder den Maker-Space, wo Leute gemeinsam basteln und Ideen ausprobieren können. Und was unser Berufsbild angeht: Der Anteil von Medienpädagogen in Bibliotheken wird noch zunehmen. Auch Corona hat gezeigt, wie wichtig es ist, für Kinder und Jugendliche ausgebildete Ansprechpartner außerhalb von Schule und Elternhaus anzubieten. Für solches Personal in Bibliotheken gibt es Fördergelder. Die automatisierte Ausleihe, Tag und Nacht, wird immer mehr kommen. Und die Idee, einmal in der Woche bis 22 Uhr zu öffnen, mit Musik, quasi als After-Work- oder After-School-Angebot, finde ich super.

Zu Ihrem Start hier als Bibliotheksleiterin haben Sie sich als "treue Seele" bezeichnet. Abschiedspläne von Gerolzhofen haben Sie nicht, oder?

Rehder: Was mich hier in Franken tatsächlich irritiert, ist die hiesige Beschwerdekultur, Aussagen wie "Ich finde es doof". Punkt. Ich habe manchmal das Gefühl, andere wissen nicht, dass wir auch nur Menschen sind, wir leiden auch unter Corona, wir haben auch Stress und haben den kompletten Umbau gemacht. Das kenne ich aus dem Norden nicht so: die fehlende Empathie oder dass man manchmal zweimal darüber nachdenkt, bevor man etwas sagt. Das finde ich schade. Es gibt gefühlt leider sehr viele Menschen, die darauf achten, dass sie selbst alles haben. Die Ansprüche hier in der Stadt finde ich teilweise sehr hoch. Und ich finde, dass es den Leuten in der Stadt eigentlich sehr gut gehen könnte mit den Angeboten hier. Die Erwartungshaltungen sind hier aber höher als woanders. Das ist teilweise bitter. Es gibt in dieser Stadt aber auch unheimlich viele Leute, die einen super Job machen. Das hält mich in dieser Stadt aufrecht.

Programm-Woche: 40 Jahre Stadtbibliothek

Mit einem Programm für Jung und Alt im Spitalgarten feiert die Stadtbibliothek in Gerolzhofen in der kommenden Woche ihr 40-jähriges Bestehen:
Montag, 23. August, 16 Uhr: Kindertheater "Eugen Art" von und mit Amelie und Christoph Auer; Eintritt: 7 Euro.
Dienstag, 24. August, 19 Uhr: "Der Liebesbriefkasten" (Buchpremiere), literarischer Abend mit Lesung von Autorin Katharina Schweissguth, Gedichten und Interaktion; Eintritt: 8 Euro.
Mittwoch, 25. August, 17 Uhr: Verrückter Lückenspaß mit Jens Schumacher, interaktive Lesung ab 8 Jahre; Eintritt: 8 Euro.
Donnerstag, 26. August, 19 Uhr: "Das Unvermeidliche" (Premiere), kabarettistische Lesung von Joschi von Sárközy; Eintritt: 8 Euro.
Freitag, 27. August, 9 und 15 Uhr: "Reise ins Mittelalter: Tamaril und das Turnier", Lesung und Malen mit Autorin Ina May und Illustratorin Veronika Peschkes; Eintritt: 8 Euro.
Freitag, 27. August, 12.30 Uhr: Kinderritterturnier mit Barlhow, Spektakel für die ganze Familie; Eintritt: 7 Euro.
Freitag, 27. August, 19 Uhr: Konzert mit Barlhow, eine musikalische Zeitreise; Eintritt: 10 Euro.
Karten: Für alle Veranstaltungen sind noch Karten erhältlich im Vorverkauf in der Stadtbibliothek oder im Internet unter www.gerolzhofen.feripro.de sowie an der Abendkasse.
Weitere Informationen tagesaktuell im Internet unter www.stabi.gerolzhofen.de
Quelle: Stadtbibliothek
 
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