Seit über einem Jahr wird nach der Ursache der coliformen Keime im Wasser des Hochbehälters Hergolshausen gesucht. Über 500 Untersuchungen sind seitdem im gesamten Versorgungsgebiet erfolgt. Bis heute ist die Ursache nicht gefunden, weshalb das Wasser aus Sicherheitsgründen gechlort werden muss. Doch Mitte Januar soll die Chlorung eingestellt werden. Der Wasserversorger, der Zweckverband der Rhön-Maintal-Gruppe (RMG), will einen Versuch wagen, wieder den ursprünglichen Zustand herzustellen: ein natürliches Trinkwasser ohne dauerhaften Einsatz von Chlor. Dazu muss aber wieder ein Abkochgebot erlassen werden. Diesmal allerdings über vier bis sechs Wochen.
"Wir wissen, was wir den Bürgern zumuten", sagt der Zweckverbandsvorsitzende Reinhold Stahl. Lange habe es daher gedauert, sich dazu durchzuringen. In der jüngsten Zweckverbandssitzung stellten die RMG-Verantwortlichen das mit dem Gesundheitsamt Schweinfurt erarbeitete Konzept den Bürgermeistern der betroffenen Ortsteilgemeinden vor. Das sind neben Waigolshausen, Theilheim und Hergolshausen auch Garstadt, Eßleben, Zeuzleben, Mühlhausen, Ettleben und Werneck. "Alle tragen es mit", freut sich Stahl. Denn es ist die letzte Chance, das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, der Bevölkerung ein Trinkwasser ohne Chlorzusatz zu liefern. "Wenn dieser Versuch scheitert, ist eine dauerhafte Chlorung nicht mehr vermeidbar."
Falls es dazu kommen sollte, stellt die RMG auf ein Chlordioxidverfahren um. Bei dieser Methode sei der Chlorgeruch nahezu nicht wahrnehmbar. "Das Wasser ist fast geruchs- und geschmacksneutral", sagt Stahl. Die Anlage zur Herstellung dieser Chlordioxidlösung, die dem Wasser beigemischt wird, hat die RMG vorsorglich schon bestellt.
Im September 2020 wurden erstmals Keime entdeckt
Blick zurück: Im September 2020 hatte man zum ersten Mal Fäkalkeime in einer der beiden Kammern des Hochbehälters gefunden. In der gezogenen Laborprobe von 100 Milliliter Wasser befanden sich drei Enterokokken. Das hört sich wenig an, wenn man bedenkt, dass ein kleines Insekt wie eine Mücke eine Verunreinigung von über 100 000 Enterokokken verursachen kann. Die Trinkwasserschutzverordnung schreibt allerdings einen Grenzwert von null koloniebildenden Einheiten pro 100 Milliliter Wasser vor. Daraufhin war auf Anordnung des Gesundheitsamtes das Trinkwasser gechlort und der Hochbehälter gereinigt worden. Damit glaubte man, das Problem in den Griff bekommen zu haben. Doch bei neuerlichen Kontrolluntersuchungen waren wieder Keime im Wasser entdeckt worden.
Weil es in den Jahren zuvor nie mikrobiologische Verunreinigungen gegeben hatte, vermutete man bei der RMG, dass die Keime bei den Sanierungsmaßnahmen am Hochbehälter in die Kammern gelangt sein könnten. Das Betonbauwerk mit seinen beiden knapp sechs Meter tiefen und 1000 Kubikmeter fassenden Becken stammt aus den 1950er-Jahren und war in mehreren Bauabschnitten von Herbst 2018 bis Februar 2021 generalüberholt worden. "Eine Kontamination ist in solchen Fällen nie zu 100 Prozent ausgeschlossen", sagt Betriebsleiter Alfred Eusemann. Aus Sicherheitsgründen entschied die RMG deshalb, die Chlorung bis zum Abschluss der Sanierung im Februar 2021 aufrecht zu erhalten.
Chlor zerstört den Biofilm im Leitungsnetz
Danach wollte man die Chlorung sukzessive "ausschleichen". Doch die begleitenden Kontrolluntersuchungen zeigten erneut mikrobiologische Auffälligkeiten. In Teilbereichen der Ortsnetze um den Hochbehälter wurden diesmal ein bis zwei coliforme Keime je 100 Milliliter Wasser gefunden. "Das sind aber keine Enterokokken", stellt Eusemann klar. Per se schädlich sind diese Erreger für den Menschen nämlich nicht. Sie befinden sich im Darm und sind wichtig für die Verdauung.
Trotzdem: Coliforme Keime dürfen im Trinkwasser nicht nachweisbar sein. "Hier gibt es null Toleranz", betont der Hygienesachbearbeiter des Gesundheitsamtes Schweinfurt, René Kirchner. So wurden erneut eine Abkochanordnung und die Desinfektion des Wassers mit Chlor angeordnet. Das Abkochgebot galt – wie beim ersten Mal – nur solange, bis das Chlor sich im Netz verteilt hatte und das Wasser somit desinfiziert war.
Seitdem wird nun das Wasser nach der Gewinnung in Ettleben mit 0,2 bis 0,25 Milligramm Chlor pro Liter versetzt. Beim Verbraucher kommen allerdings nur 0,1 mg/l freies Chlor an, verweist RMG-Vorsitzender Stahl auf die Zehrung im Rohrleitungssystem. Trotzdem sei man sich bewusst, dass sich auch diese geringe Menge Chlor gerade bei sensiblen Personen negativ auf den Trinkwassergenuss auswirken könne.
Hinzu kommt, dass beim Einsatz von Chlor in einem normalerweise chlorfreien Netz der natürliche Biofilm in den Rohrleitungen zerstört wird. Im Fall Hergolshausen könnte dies aufgrund der Chlorung des Wassers seit über einem Jahr der Fall sein. "Wir gehen davon aus, dass der Biofilm seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann", meint Betriebsleiter Eusemann, was eine Erklärung für die anhaltende Keimbelastung wäre.
Ab Mitte Januar wird die Chlorung ausgesetzt
Um das zu überprüfen, hat die RMG nun entschieden, Mitte Januar 2022 die Chlorung des Wassers auszusetzen und dann alle zwei Tage an festgelegten Stellen das Trinkwasser auf Keime zu untersuchen. Parallel dazu sollen Rohrnetzspülungen und Wasseraustausch erfolgen. Sobald die Laborergebnisse dreimal hintereinander keine Keime aufweisen, werden die Untersuchungen ausgeweitet und auch die Ortsnetze nach mikrobiologischen Auffälligkeiten überprüft. Läuft alles nach Plan, und es werden keine weiteren Keime mehr gefunden, soll die Chlorung dauerhaft eingestellt und wieder zum Normalbetrieb übergegangen werden.
Das alles wird vier bis sechs Wochen dauern. In dieser Zeit muss aus Sicherheitsgründen das Trinkwasser konsequent abgekocht werden. Die lange Dauer erklärt Betriebsleiter Eusemann mit der Regenerationsphase des Biofilms im Leitungsnetz. Denn bis dieser sich nach Abschaltung der Chlordosierung wieder aufbaut, kann es vier bis sechs Wochen dauern. Verlässliche Ergebnisse, ob Keime noch vorhanden sind, werden deshalb erst nach diesem Zeitraum vorliegen.
"Unser Ziel ist eine Versorgung mit natürlichem Trinkwasser, ohne dauerhaften Einsatz von Chlorzusatz", begründet RMG-Vorsitzender Reinhold Stahl die aufwändige Maßnahme. Die Vorgehensweise sei mit dem Gesundheitsamt Schweinfurt abgesprochen und auch offiziell angeordnet. Der Hygienefachmann der Behörde ist optimistisch. René Kirchner: "Wir wollen eine saubere Lösung ohne Chlor, das müssen wir hinkriegen."
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