zurück
Schweinfurt
Zahlt Edeka Streikbrecher-Prämien? Beschäftigte des Zentrallagers Gochsheim und Verdi-Vertreter sprechen Klartext
Die Gewerkschaft erhöht den Druck vor den Tarifverhandlungen in zwei Wochen, auch auf Edeka Nordbayern. Verdi-Vertreter nennen sie einen der größten Blockierer.
Den Streik aus der Peripherie in die Stadt holen, war Ziel der Aktion am Donnerstag in Schweinfurt. Dort sind Beschäftigte des Edeka-Zentrallagers Gochsheim durch die Stadt gezogen - und haben dabei spontan bei der Aktion einer Aerobic-Gruppe mitgetanzt . Der Streik soll laut Verdi noch bis Sonntagnachmittag andauern.
Foto: Steffen Krapf | Den Streik aus der Peripherie in die Stadt holen, war Ziel der Aktion am Donnerstag in Schweinfurt. Dort sind Beschäftigte des Edeka-Zentrallagers Gochsheim durch die Stadt gezogen - und haben dabei spontan bei der ...
Steffen Krapf
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:21 Uhr

Ein strahlender Gewerkschaftssekretär, tanzende Streikende – die Verdi-Streikaktion der Mitarbeitenden des Edeka-Zentrallagers in Gochsheim hat am Donnerstagvormittag in Schweinfurt kämpferisch begonnen. Vor den Tarifverhandlungen am 3. Juli untermauert die Gewerkschaft noch einmal ihre Forderungen, die vom bisherigen Angebot weit entfernt sind.

"So etwas kannst du nicht bestellen", sagt ver.di-Gewerkschaftssekretär Peter König mit einem breiten Grinsen. Ein Gros der über 100 Streikenden aus dem Edeka-Lager in Gochsheim hat sich direkt neben dem Streiklokal in einem Café vor der Schweinfurter Kunsthalle spontan einer Aerobic-Gruppe, die dort ein Training abhält, angeschlossen. Die Hüften kreisen, die Arme fliegen, rhythmische Schritte gehören auch dazu – streiken darf auch Spaß machen.

Dabei sind die Hintergründe bitterernst. Für viele der Arbeiter geht es um die Existenz. Die Gruppe der Lkw-Fahrer der Edeka sitzt noch zusammen, die tanzenden Kollegen beäugen sie aus der Entfernung schmunzelnd. "Wir stehen ein für bessere Bezahlung, weil die Inflation in den letzten Monaten sehr viel von unserem Einkommen gefressen hat", erklärt einer der Fahrer, der glaubt, dass die Einzelhändler sich unter dem Deckmantel der Inflation bereichern. "Wir müssen die Inflation ordentlich ausgeglichen bekommen", fordert der Edeka-Mitarbeiter.

Was die Gewerkschaft fordert – und die Arbeitergeber zahlen wollen

Seit der ersten Tarifverhandlung bieten die Arbeitgeber bei einer Laufzeit von 24 Monaten, ab Dezember 2023, eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um vier Prozent an. Im Dezember 2024 soll dann eine weitere Vergütung um 2,1 Prozent erfolgen. Als Inflationsausgleichsprämie bietet der Arbeitgeber 700 Euro für 2023, weitere 700 Euro für 2024. Diese Einmalzahlungen würden allerdings im Falle von bereits geleisteten Ausgleichszahlungen verrechnet werden,  heißt es.

Den Streik sichtbar machen: Mit Banner, Streikwesten, Pfeifen und Schirmen zogen Beschäftigte des Edeka-Zentrallagers in Gochsheim durch die Schweinfurter Innenstadt.
Foto: Steffen Krapf | Den Streik sichtbar machen: Mit Banner, Streikwesten, Pfeifen und Schirmen zogen Beschäftigte des Edeka-Zentrallagers in Gochsheim durch die Schweinfurter Innenstadt.

Die Gewerkschaft Verdi fordert für die rund 240.000 Beschäftigten im bayerischen Groß- und Außenhandel jedoch eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte um 13 Prozent, eine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 250 Euro und eine Laufzeitlänge der Tarifverträge über zwölf Monate. In einer gemeinsamen Initiative soll die Allgemeinverbindlichkeit der Entgelttarifverträge erreicht werden, heißt es in der Verdi-Mitteilung.

Seit Mittwochmorgen läuft der Streik – bis Sonntag soll er andauern

"Wir wollen ein bisschen mehr und das ab sofort", sagt einer der Lkw-Fahrer. Seit Mittwochmorgen um zwei Uhr wurde die Streikaktion im bayerischen Handel auf das Edeka-Lager in Gochsheim ausgeweitet. Der Streik wird bis Sonntag um 14 Uhr andauern.

Ein anderer Fahrer ärgert sich, denn schon während Corona bekam man keinen Ausgleich, obwohl in der Lebensmittelbranche, die als Gewinner der Krise galt, etliche Überstunden geleistet worden seien und die Mitarbeitenden zeitweise ihre Gesundheit riskiert hätten. "Am Ende des Jahres bekamen wir einen Brief, in dem uns gedankt wurde." Das reiche nicht. "Die Wertschätzung der Mitarbeiter definiert sich nun mal über die Bezahlung. Und da haben wir bisher relativ wenig gesehen." Ein Kollege wirft ein: "Die Wertschätzung für uns ist unterirdisch."

Betriebsratsvorsitzender: "Für viele ist die Situation finanziell unerträglich"

Auch der Betriebsratsvorsitzende Bernd Hümpfer kritisiert das bisherige Angebot scharf. Er skizziert die angespannte Situation der Mitarbeitenden. Der Monatsverdienst beträgt im Schnitt 2500 bis 3000 Euro brutto – ohne Überstunden und Zuschläge. "Aber es ist alles teurer geworden: Mieten, Strompreise, Nahrungsmittel." Was die letzten Jahre noch irgendwie zu stemmen war, sei für die Leute heute oft einfach nicht mehr zu bewältigen, erklärt Hümpfer. "Wir haben sogar Mitarbeiter, die sich manchmal überlegen müssen, wie sie überhaupt auf die Arbeit kommen. Für viele ist die Situation finanziell unerträglich geworden."

"Sie sehen heute einen glücklichen Gewerkschafter", sagt Peter König, bevor der Demo-Zug durch die Innenstadt bis zum Georg-Wichtermann-Platz zieht. Es sei – anders als bei den Metallern etwa –nicht üblich, dass sich im Handel für den Streik derart viele Beschäftigte gewinnen lassen. "In so einem Lager gehe es oft rüde zu. Manche haben von der Edeka 200 Euro geboten bekommen, wenn sie heute nicht streiken", verrät König. Eine "Streikbrecherprämie". "Und sie sind trotzdem gekommen."

Verdi-Streikleiter König: "Die Leute haben Druck. Alle brauchen dringend Kohle"

Die Gewerkschaft hat die Edeka Nordbayern derzeit auf den Kieker. Die Edeka sei eine der größten Blockierer der Tarifrunden, befindet der Verdi-Streikleiter. Auch in anderen Edeka-Lagern wird derzeit gestreikt. In Gochsheim sind es gut 150 von über 700 Mitarbeitenden. "Die Leute haben Druck. Alle brauchen dringend Kohle", betont König.

Spontane Tanzeinlage vor der Kunsthalle.
Foto: Steffen Krapf | Spontane Tanzeinlage vor der Kunsthalle.

Die Entscheidung, den Streik in der Schweinfurter Innenstadt und nicht in Gochsheim abzuhalten, sei bewusst getroffen. "Wir wollten verdeutlichen: das sind Menschen, die dort arbeiten, keine Roboter. Edeka kann viel, aber noch nicht die Ware beamen." Kommissionierer, Fahrer und Konsorten sind dafür zuständig, dass täglich frische Ware in den Supermärkten für die Kunden bereitliegt. "Die Streiks haben Wirkung", ist König überzeugt, obwohl im die Gochsheimer Lagerleitung gesagt habe, noch nichts vom Streik zu spüren. "Wir ziehen es bis Sonntag durch. Aber ganz ehrlich: mit diesen Leuten hier ist noch mehr drinnen."

Wie Edeka dazu Stellung nimmt und ob sie mit Auswirkungen auf den Handel rechnen

Knapp fällt die Antwort von Edeka aus. Auf Nachfrage erklärt die Pressestelle von Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen, die Streikmaßnahme im Logistikzentrum Gochsheim habe "keine übermäßigen Auswirkungen auf das Warengeschäft". Die Auslieferung von Frische und Obst und Gemüse sei sichergestellt. Für die weiteren Sortimente erwarte man "im Durchschnitt nur geringfügige Auswirkungen". Und weiter: "Zur 'Streikbrecherprämie' können wir uns nicht äußern, da wir so eine Maßnahme nicht einsetzen."

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Steffen Krapf
Edeka-Gruppe
Einmalzahlungen
Einzelhändler
Georg-Wichtermann-Platz
Gewerkschafter
Kunsthalle Schweinfurt
Streikende
Tarifrunden
Wirtschaft in Schweinfurt
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • P. B.
    "Die Steuerzahlerplatte kann auch stecken bleiben, das ist ne künstliche Mitleidstour die daneben ist!"

    Das ist keine Platte, das ist in den vielen Jahren zuvor sehr wohl geschehen. AN geht ganzen Tag arbeiten und muss sich noch eine Aufstockung vom Amt holen. Geschweige von den vielen Rentner unterhalb der Armutsgrenze. Wer den ganzen Tag arbeiten geht, soll damit seinen Lebensunterhalt bestreiten können, und nicht noch vom Steuerzahler finanziert werden.
    Und das Sie immer wieder gegen Gewerkschaften hetzen, lese ich schon etliche Male.
    Nur zur Ihrer eigenen Info. Ich habe noch keine Lohnerhöhung bekommen, da der Betrieb nicht organisiert ist. Ist aber mein eigenes Pech. Aber niemals würde ich den anderen dies neiden. Bringt mir kein Gramm mehr Wurst in meinem Kühlschrank, wenn andere genauso nichts bekommen. Neid ist ein großes Problem in der Gesellschaft.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • P. B.
    "Diese erpresserischen Methoden schaden nicht nur dem Standort Deutschland oder den Konzernen sondern insbes. der Gesellschaft!"

    Ich weiß schon aus welcher Ecke Sie Pfeifen. Die Jahrzehnte lange Politik ohne Mindestlohn und Leiharbeit die hat Ihnen gefallen. Und wir Steuerzahler zahlen mit Steuergeld die Aufstockung zum Lohn, die Sie den Arbeitnehmern verwehren. Wenn Ihr Geschäftsmodel nicht genug abwirft für AN, dann hat es keine Daseinsberechtigung. Aus die Maus.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • H. E.
    Hä? Was für Ecke? Was fürn Käse!
    Mindestlohn gibt es seit Jahren! Die Heilsche Wahlkampfgeschenke erweisen vielen (v.a. Landwirten) einen Bärendienst!
    Für unqualifizierte und weniger Anspruchsvolle Tätigkeiten waren diese Löhne ok! Und Leiharbeit ist für viele Arbeitnehmer deren Wunsch! Im Übrigen täglich festgelegte Löhne!
    Dass die Inflation mehr fordert ist auch klar, das gehört sich so und ist fair! Aber was jetzt betrieben wird und wie skandiert wird ist weltfremd und erinnert an einen Zirkus! Die Gewerkschaftler werden/sind dressiert
    Die Steuerzahlerplatte kann auch stecken bleiben, das ist ne künstliche Mitleidstour die daneben ist!
    Man schüttelt nur mit dem Kopf über diese teilweise minderintelligente Argumentation und scheinheilige Argumente
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Solange Aufsichtsrat und Konsorten Ihr Schäflein im trockenen haben Urlaubs -Weihnachtageld passen und sich noch ein Bonus einfindet ist doch alles wunderbar.
    Das System ist krank !
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • H. E.
    Früher waren Streiks ernsthaft und sachlich an gemeinsamen Möglichkeiten orientiert.
    Jetzt wird es zum Klamauk!
    Ja! die Hintergründe sind bitterernst. Für viele der Arbeitergeber geht es um die Existenz. Das mag vielleicht für Edeka nicht gelten, aber für den Einzelhandel und die vielen kleinen Geschäften.
    "Wir ziehen es bis Sonntag durch. Aber ganz ehrlich: mit diesen Leuten hier ist noch mehr drinnen."
    Diese erpresserischen Methoden schaden nicht nur dem Standort Deutschland oder den Konzernen sondern insbes. der Gesellschaft!
    Diese hat schon lange keinerlei Sympathien mehr für die Streiks. Das hat man zuletzt im Einzelhandel an den Reaktionen der Kunden gesehen.
    Hier wird versucht nicht nur einen Schluck aus der Pulle zu nehmen sondern man riskiert Unternehmen, Wirtschaft und Arbeitsplätze!
    Keine Tarifrunde hat in mehr Arbeitsplätze geendet!
    Diese Gewerkschaften versetzen nach unserer Regierung der Wirtschaft den Todesstoß!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • U. H.
    Kommentar auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten