Anfang der 80er Jahre im Oberengadin. Viel Schnee auf den Parkplätzen, kaum Autos, zugefrorene Seen. Wie geschaffen für zwei PS-Freaks, um der Kunst des Driftens zu frönen: Günter Traub, Fitnesstrainer mit Schweinfurter Wurzeln, und Dirigent Herbert von Karajan, den Traub seit 1979 - meist in den Wintermonaten - betreute.
Wie so oft kam man vom Skilanglauf, Traub hatte mit seinem prominenten Rehapatienten ein kontrolliertes Herz-Kreislauf-Training bestritten. "Auf der Fahrt berichtete ich ihm von meinem winterlichen Konditionstraining mit den seinerzeit besten Autorennfahrern wie Niki Lauda, Jackie Stewart, Clay Regazzoni, Hans-Joachim Stuck, Jochen Mass und davon, was sie mir ihrerseits bei extremen winterlichen Verhältnissen beigebracht haben", erinnert sich der fränkische Gesundheitscoach. Seit 1972 lebt Traub in St. Moritz, mit seinen selbstentwickelten Alpinen Bewegungskursen wurde er zu einem Pionier der späteren Fitnessbewegung.
Chef der Berliner Philharmoniker begeistert beim Winterreifen-Test
Und dem begeisterten Autoliebhaber Karajan schienen die spektakulären Manöver Traubs zu gefallen. Wenig später beobachteten die beiden Motorsport-Enthusiasten einen Winterreifen-Test auf der Eisfläche des Champfèrer Sees. "Die Profis der Reifenfirma bekamen große Augen, als plötzlich der weltberühmte Chef der Berliner Philharmoniker auftauchte und sich als Test-Pilot versuchte", erzählt Traub. Karajan sei begeistert gewesen: "Das gab ihm noch mehr Sicherheit auf seinen meist morgendlichen Fahrten über die schneebedeckten Pass-Straßen." Die seien, erinnert sich Traub, "primär Entspannung für ihn" gewesen: "Umgeben von einer Stereo-Sound-Anlage mit 16 Lautsprechern, wo er seine Orchester-Einspielungen überprüfen konnte."
Im Laufe der Zeit entstand zwischen dem oft als unnahbar, scheu, schwierig beschriebenen "Jahrhundert-Dirigenten" und seinem 30 Jahre jüngeren Therapeuten aus Schweinfurt eine bemerkenswerte Vertrautheit. Beide verband eine extrem sportliche Passion und die Begeisterung für schnelle Fortbewegungsarten. Karajan habe erzählt, wie er in jungen Jahren auf Pferden, Motorrad, beim Klettern und Skifahren meist waghalsig und nicht ganz sturzfrei an Grenzen ging und seinem Rücken dadurch ein Leben lang sehr viel zumutete.
Seine Leidenschaft für Geschwindigkeit und Technik lebte der Meister des schönen Klangs am Steuer seiner Yachten, Flugzeuge und Sportwagen aus. Karajan wie Traub hatten sich mit eisernem Willen nach existenzbedrohenden Krisen zurückgekämpft: Dem Dirigenten drohte 1976 nach einer Bandscheibenoperation die Lähmung, dem ehemaligen Weltrekordler im Eisschnelllauf nach einem Horrorunfall 1969 in den USA mit 23 Knochenbrüchen das gleiche.
Kontakt durch Formel 1-Pilot Niki Lauda
Ein Schlaganfall hatte den damals 71-jährigen rastlosen Orchesterchef 1979 zu dem Fitnesstrainer geführt. Sein Salzburger Landsmann Niki Lauda, den Günter Traub Mitte der 1970er Jahre bei Formel-1-Rennen Mitte betreute, hatte den Kontakt vermittelt.
"Die Wirbelsäule taugt nur soviel taugt wie die sie umgebende Muskulatur", sagt Traub. Für den Dirigenten hatte er ein Reha-Training entwickelt und führte es mit ihm in unregelmäßigen Abständen im großer Bibliothekszimmer von Karajans Chalet durch. Der Maestro habe gemeint, dass die Rückenbeschwerden wohl nicht nur vom stundenlangen Stehen bei den Orchesterproben kämen, sondern auch mit seinen Hatha-Yoga-Übungen zu tun haben würden. Mit einer Stunde strapaziöser Asana-Übungen beginne sein Tag. "Zu viel für eine vorgeschädigte Wirbelsäule", sagt Traub. "Er war eben stets hart gegen sich selbst."
Bis 1983 machte Traub jeden Winter mit seinem "hochmotivierten Schüler" das Herz-Kreislauf-Konditionstraining und Übungen für die Muskulatur. Eine recht unkonventionelle Koordinationsübung habe darin bestanden, dass Karajan rückwärts und im Dunkeln die zweistöckige Wendeltreppe frei hinaufgehen sollte. Nach Karajans zweitem schweren Eingriff nach einer Rückenmarksquetschung seien solche Bewegungen und Belastungen aber "trotz allen Willens nicht mehr möglich" gewesen.
Umso überraschender kam für Traub ein Anruf des Maestro Ende 1987, nachdem er Traubs Fitness-Übungen im ZDF-Sportstudio gesehen hatte. Ob der Trainer ihm mit einem reduzierten Rehaprogramm zur Seite stehen könne? "Neben Altersindispositionen hatte er Lähmungserscheinungen an den Händen und konnte nicht mehr richtig Klavier spielen, nicht mehr schreiben", blickt Traub zurück. Mit ungewöhnlichen Übungen sei es gelungen, "die Sensibilität in den Fingern wiederherzustellen", sogar Karajans Salzburger Leibarzt habe dafür Lob gezollt.
Im Juli 1989 starb Karajan, ob seiner Omnipräsenz in Wien, Salzburg, Berlin und Paris als "Musikdirektor Europas" genannt, im Alter von 81 Jahren an Herzstillstand. "Durch sein vertrauensvolles Verhalten und manche persönliche Geste und Einladung hatte ich das Gefühl, dass er mich schätzte und irgendwie sympathisch fand", erinnert sich der heute 82-jährige Traub.
Großes Interesse für Sportwissenschaft und Sportmedizin
Karajan sei "immer stark interessiert an sportwissenschaftlichen und sportmedizinischen Dingen" gewesen. Und er wusste über Traubs großen internationalen Erfolge als Eisschnellläufer einiges. "Erst recht spannend fand er die neuesten psycho-physischen Methoden, mit denen ich die Formel 1-Piloten fit machte für ihre strapaziöse Saison", sagt Traub.
Fürs "dosierte Gasgeben" habe der Dirigent leichte Maßschuhe organisiert - "die trug er sogar bei Minus 28 Grad". Außerdem Funktionswäsche für die stundenlangen schweißtreibenden Proben, Fitnessgeräte, Akkupunktur-Einlegesohlen. Weil Traub wiederum in seiner Jugend Klavier- und Geigenunterricht hatte, waren ihm die großen Musikwerke nicht unbekannt. Karajan habe ihm von seinem Umgang mit Musikern und Orchester erzählt. Selbst die komplexesten Werke habe er von der ersten bis zur letzten Note auswendig dirigiert. Das Geheimnis sei sein fotografisches Gedächtnis gewesen, mit dem er sich ein riesiges Repertoire aneignen konnte: "Er konnte sich jedes winzige Detail in Sekundenschnelle einprägen."
In Karajans Loge bei den Salzburger Osterfestspielen
Die besondere Aura eines Karajan-Konzerts hatten der fränkischer Gesundheitscoach und seine Schweizer Frau Heidi bei den Salzburger Osterfestspielen erleben können. Karajan hatte ihn persönlich eingeladen - "was ich als wunderbare Auszeichnung für meine Arbeit empfand". In Karajans Privatloge saß dann auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, erzählt Traub. Der SPD-Politiker sei "etwas stressgeplagt bei den ruhigen Passagen von Haydns 'Symphonie mit Paukenschlag' kurz eingenickt", habe ab dem Paukenschlag aber hellwach zugehört. Nach dem Konzert sei Karajan "sichtlich erschöpft" gewesen.
Unvergesslich sei für ihn auch ein Ausflug mit Karajans Mystere Düsenjet nach Genf zum Internationalen Automobilsalon, erzählt Traub. Frühmorgens um 6.30 Uhr sei ein Anruf gekommen, um 7.15 Uhr habe ihn der technikversessene Karajan persönlich abgeholt. In Genf folgte nach einer zweistündigen Besichtigung der neuesten Modelle noch eine flotte Testfahrt mit dem Allrad-Quattro auf einer kurvenreichen, schneebedeckten Pass-Straße. "Ein richtiger Höllenritt war das damals, mehrfach in Grenzbereich-Situationen", erinnert sich der 82-Jährige. "Ich war ihm ausgeliefert."
Sein eigener forscher Kurvenritt sei indes einmal in einem Fiasko geendet. "Jetzt versuchen Sie mal, auf der schneeglatten Straße die Spitzkehre vorne mit einem Powerslide zu meistern", habe ihm Beifahrer Karajan im Reha-Team die Aufgabe gestellt. Doch Traubs neues Allrad-Modell reagierte auf Brems- und Einlenkmanöver nicht, statt eine halbe Drehung um die eigene Achse zu machen, sei der Wagen geradewegs in ein parkendes Auto geschossen. "Karajan bekam einen gewaltigen Schreck und leichte Prellungen und war sichtlich erzürnt. Die Verabschiedung fiel damals sehr kühl aus."
Fast 40 Jahre liegen die Begegnungen zurück. Einige besondere Stücke im Regal erinnern Traub an seinen charismatischen ehemaligen Rehapatienten: Mit handsignierten Dankesworten hatte er von Karajan einige der schönsten CD-Einspielungen - unter anderem Strauss, Tschaikowsky, Beethoven, Mozart - mit den Berliner Philharmonikern erhalten.
"Er war alles andere als der Jetset-Typ, liebte die Einsamkeit und Natur und bevorzugte den kleinen, privaten Rahmen", sagt Traub über Karajan. "Er machte auch kein Aufhebens um seine imposante Sammlung an Edelkarossen verschiedenster Marken in seiner Salzburger Garage und fühlte sich am wohlsten in legerer Sportkleidung."
Und unvergesslich ist dem 82-Jährigen diese Anekdote: "Herr von Karajan fragte mich nach meiner ersten Rechnungsstellung, wie sich die Kalkulation genau zusammen setzt." Er habe ihm detailliert erklären müssen, "dass ich in meiner Berechnung die in der Schweiz üblichen Stundentarife für Physio und Ski-Langlauf zugrunde legte sowie meine entsprechenden Fahrkosten", sagt Traub. "Von vielen Reichen kann man sparen lernen."