Benzingeruch statt des gewohnten Champagnerklimas, dröhnende Motoren und hektisches Gewusel in der Boxengasse statt entspannter Berg-Atmosphäre im Oberengadin – zwei Jahre erlebte der Schweinfurter Fitness-Trainer Günter Traub in den 70er Jahren eine neue Welt an der Seite der wohl größten Ikone des Automobilrennsports. Mit dem Tod von Niki Lauda im Mai 2019 wurden bei dem Ex-Weltrekordler im Eisschnelllauf viele Erinnerungen an eine faszinierend-lehrreiche Episode seiner fast 40jährigen Coach-, Lehr und Forschungstätigkeit rund um Bewegung, Fitness und Gesundheit wieder wach. Mit dem Fitness-Trainer an seiner Seite feierte Lauda 1975 seinen ersten WM-Titel. Für Günter Traub ein besonderer Moment, als ihm der Champion versicherte: „Günter, diesen Erfolg habe ich zum Teil auch Dir zu verdanken.“
Der Franke und der Österreicher trafen sich beim Konditionstraining der internationalen Rennfahrer-Elite in St. Moritz 1974. Traub („Man muss nicht nur die Autos tunen, sondern auch die Menschen“) war der erste Fitness-Trainer, der die konditionellen Bedingungen der Rennfahrer in enger Zusammenarbeit mit dem seinerzeit populären Ford-Capri-Werksteam genauer untersuchte. Es waren wilde Zeiten auf den Rennstrecken, es gab kaum Sicherheitsvorkehrungen, die Boliden waren schwer zu bändigen und die Straßen enger und welliger. Um den Stresszuständen entgegenzuwirken, zog Traub mit der PS-Elite im Winter ein neuartiges Konditions- und Entspannungstraining durch.
Auf dem Sprung in die Weltspitze
Die richtungsweisenden Ideen des Schweinfurters sprachen sich herum. Auch spätere Weltmeister wie Jackie Stewart und Michael Schumacher quälten sich unter Traubs Anleitung. Lauda befand sich im Winter 1974 gerade auf dem Sprung an die Weltspitze. Schneller und konsequenter als andere erkannte der schmächtige 24-Jährige den Wert einer physischen und psychischen Vorbereitung, erinnert sich sein Fitmacher. „Er war sehr intelligent und wusste genau, dass seine körperliche Fitness der schwächste Punkt war. Fahrerisch machte ihm keiner was vor.“ Das Konzept war ausgerichtet auf Konzentrationsvermögen, Reaktions-Ausdauer am Ende des Zwei-Stunden-Rennens und Ermüdungs-Widerstandsfähigkeit.
Schwerpunkt jeder Traub-Kur im Winter war Ski-Langlauf, „ein hervorragendes Herz-Kreislauftraining“. Großen Wert legt der Sportwissenschaftler bei seinen Seminaren auf gesunde Ernährung, „was für die diesbezüglich meist unbedarften Rennfahrer eine neue Erfahrung war“. Beim Simulationstraining mussten die Rennfahrer mit geschlossenen Augen die Rennstrecken immer wieder imaginär durchfahren und Traub stoppte mit. Auch dabei sei Lauda unschlagbar gewesen, „da er über die Fähigkeit verfügte, wie ein brillanter Schachspieler stets etliche Schritte voraus zu denken.“
Traub, der unlängst für sein Lebenswerk bei der Schweinfurter Sport-Gala geehrt wurde, weiß noch, wie sich Lauda nach den ersten zwei Wochen Höhentrainingslager in St. Moritz so viel besser fühlte und anfragte, ob er nicht sein individueller Coach werden wolle.
Über zwei Jahre kümmerte sich Traub um Laudas Fitness bei den europäischen Formel-1-Rennen, war neben Rennleitern, Ingenieuren und Mechanikern in der Boxengasse und bei der Startaufstellung der wichtigste Mann für den kommenden Weltmeister. Spannend und lehrreich sei das gewesen, so Traub, „unvorhersehbare Zwischenfälle sorgten für Nervenkitzel.“ Unvergessen, wie er einmal ein wichtiges Utensil für Lauda kurz vor dem Rennen aus dem Hotel holen und mit allerlei Tricks an den strengen Sicherheits-Posten rund um Monza vorbei musste. Oft war der damals 36-jährige Coach auch der Letzte aus dem Team, der ihn unmittelbar vor dem Grün der Startampel betreute. „Beim Training und den Startvorbereitungen maß ich seinen Puls, massierte verkrampfte Schulterpartien und Arme, oder ich hob ihn chiropraktisch mit einem Spezialgriff hoch, um seine Wirbelsäule zu entspannen.“
Mit dem Fitnesstrainer an seiner Seite gewann Lauda 1974 den ersten Grand-Prix in Spanien, wurde WM-Vierter und lieferte sich mit seinem Ferrari-Stallgefährten und WM-Vize Clay Regazzoni erbitterte Duelle. Die Vorgeplänkel fanden schon im Wintertraining bei Traub statt. Der Tessiner war im Gegensatz zu Leichtgewicht Lauda ein Vollblutathlet und dem Österreicher konditionell überlegen. Doch der schlaue Lauda wollte sich in der Vorbereitung keine Blöße geben und impfte Traub: „Lass Clay niemals wissen, dass ich ihm physisch unterlegen bin. Du musst unser Konditionstraining so gestalten, dass er nichts merkt.“
Auch Laudas zweite Leidenschaft, das Fliegen, bahnte sich in der Zusammenarbeit mit Traub schon an. „1974 wollte er mit mir sein tägliches Ski-Langlauf-Training immer nur auf der Loipe rund um den St. Moritzer Flugplatz in Samedan durchführen. Dabei beobachtete er stets mit funkelnden Augen die Starts und Landungen der Flugzeuge.“ Er wusste genau was er wollte: „Wenn ich mit dem Autorennen aufhöre, werde ich Testpilot oder baue mir eine eigene österreichische Fluglinie auf.“
Dazu wäre es fast nicht gekommen. Am 1. August 1976 krachte der Weltmeister auf dem Nürburgring mit seinem Ferrari bei über 200 km/h in den Fangzaun, fing Feuer und es dauerte eine Minute, ehe man ihn mit schwersten Brandwunden, Brüchen und Lungenvergiftung herauszog. Vielleicht hatte er intuitiv eine Vorahnung, vermutet Traub, denn es sei ihm klar gewesen, dass er sehr hohes Risiko gehen müsse, um zu gewinnen – und den schwierigen Eifel-Kurs habe er gehasst. „Zwei Tage vorher rief er mich an und fragte, ob ich nicht an den Nürburgring kommen könne. Daraus sprach großes Vertrauen in mich und meine Methoden. Diesmal war ich aber mitten in einem Alpinen Bewegungstrainings-Seminar tätig, war also unabkömmlich, was er auch verstand. Doch irgendetwas lag in seiner Stimme, das mich nachdenklich werden ließ.“
Was kein Arzt für möglich hielt, dass Lauda mit seinen schwersten Brandwunden am Kopf 42 Tage später wieder Rennen fahren würde, war für seinen Fitness-Trainer nicht so wundersam. Aber Traub war klar, dass nach dem schrecklichen Unfall mit den heftigen Kopfhaut-Verbrennungen und den inneren Verletzungen eine Zusammenarbeit in bisheriger Form nicht mehr möglich ist. „Er gehörte in die Hände eines Physiotherapeuten mit einschlägigen Fachkenntnissen, den er in Willi Dungl in Wien fand.“ Am Bildschirm konnte Traub seinen Freund bis zum Ableben bewundern, „wie er mit logischen Analysen vielen Mitmenschen und Konkurrenten etwas voraus hatte. Zu mir war er sehr offen, wir hatten ein sehr vertrauensvolles Verhältnis und wurden Freunde.“
Auch Traub erlebt Horror-Unfall
Was sicher auch an der Chemie des ungewöhnlichen Gespanns lag, denn Traub wie Lauda waren in ihren Sportarten Weltspitze durch eiserne Disziplin, unbändigen Willen zur Höchstleistung und die Fähigkeit, Rückschläge als Herausforderung anzunehmen. Damit kämpfte sich der Erfinder moderner Trainingsmethoden aus Schweinfurt nach seinem Horror-Unfall 1970 in den USA mit 23 Knochenbrüchen und Verdacht auf Querschnittlähmung zurück aufs sportliche (Eis)-Parkett, auf dem er mit fast 81 immer noch auf Rekordjagd geht.
Auch der Willensmensch Niki Lauda kehrte nach dem Flammeninferno 1976 zurück an die Weltspitze, wurde 1977 und 1984 Weltmeister, ehe er endgültig abtrat und als Teamchef der Silberpfeile und kritischer TV-Experte weiter Renngeschichte schrieb. Auch mit Günter Traubs Karriere ging es steil aufwärts. Seine neuartigen alpinen Bewegungs-Seminare in St. Moritz für wohlstandsgeschädigte Körper fanden ab 1974 über Jahrzehnte weltweit große Resonanz und auf dem Eis-Oval feierte er 1999 mit dem ersten seiner vier Senioren-WM-Titel ein gelungenes Comeback.