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Schwanfeld
Glockenstreit in Schwanfeld: Wie soll nachts geläutet werden?
Ein Präzedenzfall? Nach alter Tradition schlägt in Schwanfeld die Kirchturmuhr auch in der Nacht. Eine Bürgerinitiative will das ändern. Und das beunruhigt auch andernorts.
Paul Jonas, der Schwanfelder Glockenbeauftragte, erklärt im Kirchturm wie der Glockenschlag der Kirchturmuhr funktioniert.
Foto: Anand Anders | Paul Jonas, der Schwanfelder Glockenbeauftragte, erklärt im Kirchturm wie der Glockenschlag der Kirchturmuhr funktioniert.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:24 Uhr

Mittags um zwölf führt Bürgermeisterin Lisa Krein keine Telefonate. "Da ist Musik in der Bude." Die Rathauschefin von Schwanfeld im Landkreis Schweinfurt residiert direkt neben der Kirche. Und um 12 Uhr gibt's minutenlang mächtiges Glockengeläut. Zuerst schlägt die Kirchturmuhr. Insgesamt 28 Mal! Denn nach den vier Viertelstundenschlägen folgt zwei Mal der Stundenschlag:  zwölf Schläge auf der Regina-Glocke, weitere zwölf auf der großen Salvator-Glocke. Und danach kommt noch das lautstarke Mittagsgeläut. 

"Ich mag es", sagt die Bürgermeisterin. Auch dass nachts die Glocken schlagen, stört sie nicht. Auf vielen Dörfern ist das so. Doch genau das ist jetzt in Schwanfeld zu einem Streitthema geworden, das die Dorfgemeinschaft zu spalten droht – in Alteingesessene und neu Zugezogene, wie es heißt.

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Wie alles begann? Im Juli ging im Rathaus eine E-Mail ein, in der eine Bürgerin darum bat, das Glockenschlagen der Kirchturmuhr in der Nacht wegen der Lärmbelästigung abzustellen. Der Gemeinderat wies die Bitte mit dem Verweis auf die dörfliche Tradition ab. Beendet war das Thema damit nicht.

Es ging erst richtig los: Es folgte ein anwaltschaftliches Schreiben. Darin war keine Bitte mehr formuliert, sondern die Aufforderung, das nächtliche Glockenschlagen einzustellen und die Immissionsrichtwerte der Lärmschutzverordnung einzuhalten. Diese erlaubt zwischen 22 und 6 Uhr nur einen Lärmpegel von bis zu 45 Dezibel, tagsüber von 60 Dezibel. Schwanfeld liegt eindeutig darüber: im Durchschnitt rund 20 Dezibel mehr als erlaubt. 

Die Bürgermeisterin wollte es "ganz laissez faire" über die Bühne bringen und legte ihrem Gemeinderat zwei Kompromissvorschläge vor. Entweder: Reduzierung der Lautstärke und Begrenzung der Zahl der Glockenschläge auf nur einen zu jeder vollen Stunde. Oder: Reduzierung der Dezibel, doch Beibehaltung der bisherigen Anzahl der Zeitschläge. 

Jetzt wird es laut: Glockenbeauftragter Paul Jonas hebt den Anschlaghammer und lässt ihn auf die Salvator-Glocke fallen. Ein tiefer, dunkler Ton erklingt.
Foto: Anand Anders | Jetzt wird es laut: Glockenbeauftragter Paul Jonas hebt den Anschlaghammer und lässt ihn auf die Salvator-Glocke fallen. Ein tiefer, dunkler Ton erklingt.

So einfach allerdings ist die Sache nicht. Der örtliche Glockenbeauftragte Paul Jonas hätte das den Kommunalpolitikern sagen können. "Ich kann am Uhrwerk in der Sakristei elektronisch alles einstellen, einen Glockenschlag oder auch mehrere, eine Glocke oder alle Glocken", sagt Jonas. "Aber die Lautstärke kann ich nicht verändern." Dazu müssten technische Umbauten an den Glockenmotoren im Kirchturm erfolgen.

Die Kirchturmuhr wird elektronisch von der Sakristei aus gesteuert.
Foto: Anand Anders | Die Kirchturmuhr wird elektronisch von der Sakristei aus gesteuert.

Beim Gespräch vor Ort erklärt es der 70-Jährige: Vier Glocken hängen dort oben. Zum Zeitschlagen werden nur drei verwendet. Die kleine Michaelsglocke für den Viertelstundenschlag, die etwas größere "Regina" für den sogenannten Stunden-Vorschlag und die mit 1,60 Meter Durchmesser größte "Salvator"-Glocke für den Stunden-Nachschlag. Die vierte, die Totenglocke, läutet nur zum Angelusgebet um 18 Uhr.

In Schwanfeld wird die Uhrzeit zweimal geschlagen

Dass in Schwanfeld die Uhrzeit zweimal geschlagen wird, ist eine Besonderheit, die es nicht in vielen Dörfern gibt. Warum das so ist, weiß auch Paul Jonas nicht. "Vielleicht, dass man ein zweites Mal zählen kann, wenn man sich beim ersten Mal verzählt hat", meint er schmunzelnd. Dass die Uhrzeit auch nachts geschlagen wird, das hingegen sei nicht so außergewöhnlich: "In unserer Umgebung schlagen fast alle Uhren durch." Das sei Tradition, die bis ins Mittelalter zurückgeht.

Die Schwanfelder Kirchturmuhr soll nachts nicht mehr schlagen. Das fordert eine Bürgerinitiative 'Beruhigt schlafen', was alteingesessene Schwanfelder nun empört.
Foto: Anand Anders | Die Schwanfelder Kirchturmuhr soll nachts nicht mehr schlagen. Das fordert eine Bürgerinitiative "Beruhigt schlafen", was alteingesessene Schwanfelder nun empört.

Um genau diese Tradition ist jetzt der Streit entbrannt. Die einen im Dorf wollen sie beibehalten, die anderen aber ruhig schlafen. Inzwischen hat sich sogar eine Bürgerinitiative "Beruhigt schlafen" gegründet und an die 100 Unterschriften für die Abschaffung des nächtlichen Glockenschlagens gesammelt. Öffentlich Stellung wollen die Akteure auf Nachfrage nicht beziehen, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Man wolle nur eine friedliche Auseinandersetzung mit dem Thema.

Der Friede im Dorf aber ist längst schon gestört, wie andere Stimmen aus der Dorfgemeinschaft sagen. "Die kommen her, wollen hier günstig wohnen und uns dann alles andere verbieten lassen", schimpft Paul Popp. Der Schwanfelder will, dass die Glocken weiterhin nachts schlagen. "Der Glockenschlag ist wichtig, das gehört einfach zum dörflichen Leben dazu", sagt auch Richard Strobel.

Bürgermeister aus den Nachbargemeinden befürchten einen Präzedenzfall

Viele Augen sind deshalb auf Schwanfeld gerichtet, wenn am kommenden Montag in der Sitzung des Bauausschusses über den Glockenschlag in der Nacht entschieden werden soll. Denn es könnte ein Präzedenzfall werden, der Auswirkungen auf andere Gemeinden haben könnte, in denen nachts ebenfalls die Glocken schlagen. Einige Amtskollegen hätten sich schon sorgenvoll im Schwanfelder Rathaus gemeldet, sagt Bürgermeisterin Lisa Krein.

Mit diesem Hammer werden die Viertelstunden auf der Michaels-Glocke angeschlagen.
Foto: Anand Anders | Mit diesem Hammer werden die Viertelstunden auf der Michaels-Glocke angeschlagen.

Einig sind sich im Ratsgremium alle, dass von der dörflichen Tradition nicht abgewichen werden soll. An diesem Beschluss soll nicht gerüttelt werden. Fest steht aber auch, dass die politische Gemeinde, in deren Zuständigkeit das Zeitschlagen liegt, die gesetzlich vorgeschriebenen Lärmgrenzwerte einhalten muss.

Am Montag Entscheidung im Bauausschuss

Die einfachste Lösung wäre, den Anschlaghammer kürzer anzuheben, damit er nicht aus voller Höhe auf die Glocke saust. Dann wäre der Ton leiser. "Das könnte man am Glockenmotor einstellen", sagt Paul Jonas. Allerdings wären dann auch tagsüber die Glockenschläge leiser. Doch das wiederum will der Großteil der Bevölkerung nicht. Die Alternative ist der Einbau eines zweiten Motors an jeder Glocke, der nur in der Nacht die Anschlagstärke reduziert. "Und das ist teuer", sagt die Bürgermeisterin.

Wie auch immer die Gemeinderäte am Montag entscheiden werden: Die Bürgerin, die den Stein ins Rollen gebracht hat, dürfte ihre Ruhe bereits gefunden haben. Sie ist aus Schwanfeld weggezogen, bestätigt die Bürgermeisterin.

 
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    Wie wärs, wenn die "gestörten" Bürger kostenlos jeden Monat eine Großpackung Oropax erhalten? Wenn das nicht reicht: bitte wegziehen!
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    In Würzburg, an der Sankt-Josefs-Kirche in Grombühl, herrscht auch "Nachtruhe".
    Mir ist nicht ganz begreiflich warum man da so einen Tamtam daraus macht.
    "Ist der Mensch für den Sabbat oder der Sabbat für den Menschen da" hat da 'mal einer mit weitreichenden Folgen für ihn formuliert ...
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  • C. H.
    Ich bin Alteingesessener. Mich stört der nächtliche Glockenschlag trotzdem seit meiner Kindheit. Um Mitternacht 16 laute Glockenschläge, das weckt halt manche Menschen auf. Dafür hört man dann Viertelstündlich die Uhrzeit. Kann ich in der Nacht wirklich drauf verzichten.
    Auch das Angelusläuten ist in manchen Orten grenzwertig. Da läutets halt morgens um 6 Uhr fünf Minuten lang. Wozu? Geht auch kürzer!
    Den doppelten Stundenschlag indes braucht keiner. Das kommt aus dem Allgäu, ist dort in vielen Gemeinden verbreitet. Man sagt, es wurde eingeführt, damit die Klostermönche ihre Gebete und Dienste nicht verpassten, weil sie die ersten Schläge überhört hatten. Die abweichende Tonfrequenz verbessert darüber hinaus die Hörbarkeit (tief durchdringt Mauerwerk besser..)
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  • S. K.
    Antwort: nachts Glocken aus. Braucht niemand.
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  • G. M.
    Der Zeitglockenschlag sowie das 11 Uhr läuten (sofern vorhanden) diente früher hauptsächlich den Landwirten und Handwerkern in Dorf und Flur bei ihrer Arbeit,und Nachts dem Nachtwächter.Eine Nachtabschaltung des Uhrzeitglockenschlages von 21.59Uhr bis 5.59Uhr ist mittlerweile überall Standart und mindestens seit 35Jahren auch standartmässig an jeder elektronischen Kirchturmuhrensteuerung einstellbar > ist sogar auf dem Bild zu sehen.Von Tradition kann in so einem Fall keine Rede sein,sonst müsste man auch wieder den Nachtwächter einführen. Und einen Stundendoppelschlag ist selten üblich und braucht auch wirklich kein Mensch.Also Nachtabschaltung aktivieren,und einen normalen einfachen Stundenschlag und gut is.....
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  • B. A.
    Achtung Humor! Wie sagt der Franke „hm die Schanfölder jetzt en (doppelten) Schlag
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  • N. K.
    Allein schon wg. der sog. gegenseitigen Rücksichtnahme versteht es sich von selbst dass die Uhrzeit nachts nicht geschlagen werden sollte.
    Nicht umsonst gilt ab 22:00 die Nachtruhe.
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  • N. R.
    Guter Artikel!
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