Die Tage für das Kriegerdenkmal mit der "Germania"-Figur auf dem Gerolzhöfer Marktplatz waren längst gezählt, als sich die Verantwortlichen der Stadt, wie in der Lokalzeitung vom 27. April 1939 zu lesen war, entschlossen, das Denkmal nach fast 39 Jahren wieder zu entfernen. Es sollte später im Zuge der geplanten Neugestaltung des Stadtbilds und der Ortsverschönerung an einer anderen Stelle wieder aufgestellt werden. Im übrigen sollte der Marktplatz nach Entfernung des Denkmals sein schönes altes Gesicht zurückerhalten.
Als ein Grund für diesen Schritt wurde auf den ungünstigen Standort des Denkmals aus verkehrstechnischer Sicht verwiesen. Die Feuerwehr mit ihren Löschfahrzeugen, die damals im Alten Rathaus in der Rüstkammer untergebracht war, brauchte eine breitere Ausfahrt. Und so stand das gegenüberliegende Monument dem Ganzen im Weg.
Volksfest mit Tanzpodium, Bierzelt und Karussell
Schon Wochen vor der Einlegung des Denkmals arbeiteten zahlreiche Gerolzhöfer Bürger an der Gestaltung eines großen Volksfestes auf dem Marktplatz. Man beging am 1. Mai groß den "Nationalen Feiertag des deutschen Volkes", mit allem, was zu einem richtigen, bunt bewegten Volksfesttreiben gehört: eine umfangreiche Budenstadt mit Bierzelt und Tanzpodium sowie ein Karussell und ein Hippodrom. Festwagen und Marschgruppen bewegten sich unter wehenden Fahnen durch die Altstadt mit Vorführungen des Reichsarbeitsdienstes und des Bunds Deutscher Mädel.
Und genau zu diesem Zeitpunkt (und Anlass?) hatte man das störende Denkmal an den Krieg von 1870/71 mit der "Germania" schon in den städtischen Bauhof verbannt. Erst zwei Jahre später, im März 1941, wurde der rückwärtige Teil des Marktplatzes, auf dem das Kriegerdenkmal stand, mit einem Kalksteinpflaster versehen.
Bürgermeister verwechselt "Germania" und "Bavaria"
Im Juli 1946 wird die Aufbewahrung des alten Denkmals Thema einer Stadtratssitzung. Dieses, hieß es da, sei zur Zeit im Hof der Bildhauerei Hans Schneider untergestellt. Da Schneider auf eine Entfernung dränge, sei die Figur in der Halle im städtischen Bauhof unterzubringen, ebenso die Steine des Unterbaus. Die schwarzen Marmortafeln mit den Feldzugteilnehmern in Goldschrift wollte man eventuell an passender Stelle im Friedhof anbringen. Etwas befremdlich ist eine diesbezügliche Aktennotiz von Bürgermeister Karl Schmitt in der er, als einstiger unmittelbarer Nachbar, die auf dem Denkmal thronende Figur als "Bavaria" ansprach.
Im September 1953 kam es, unter anderem im Beisein ehemaliger Soldaten beider Weltkriege, in Gerolzhofen zur Gründung eines "Vereins ehemaliger Kriegsteilnehmer", als Nachfolgevereinigung des früheren Krieger- und Veteranenvereins, der später in "Kriegerkameradschaft Gerolzhofen" umbenannt worden war. Vorsitzender wurde Stadtrat Richard Vollmuth. So war es auch dieser, der während einer Ratssitzung im Januar 1955 die Wiederaufstellung des alten Kriegerdenkmals 1870/71 thematisierte.
Ehemalige Kriegsteilnehmer wünschen neuen Standort
Überraschenderweise gelangte der Stadtrat nach längerer Debatte zur Überzeugung, dass das alte Denkmal wieder aufgestellt werden soll. Der Verein ehemaliger Kriegsteilnehmer schlug hierzu ein Grundstück in der Rügshöfer Straße nördlich der Friedhofskapelle vor. Es gab aber auch Gegenstimmen zu diesem Vorhaben. Steinmetz-Obermeister Kurt Tully bezeichnete die im Bauhof lagernde "Germania" als "vom Zahn der Zeit stark angegriffen" und Kulturreferent Bernhard Lutterloh bemerkte, dass vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet, eine Aufstellung nicht anzuraten sei.
Bürgermeister Franz Kreppel entsprach der Bitte der Vereinigung, das Landesamt für Denkmalpflege (LfD) in der Frage einzuschalten. Der Bauausschuss und Mitglieder der Vereinigung sollten sich mit der Platz- und Kostenfrage für das Kriegerdenkmal befassen.
Im August kam das LfD bezüglich Besichtigung des baufälligen Zehntspeichers nach Gerolzhofen, hierbei befasste man sich auch mit dem "neuen" Kriegerdenkmal in der Krypta der Johanniskapelle, vom alten, 1870/71er Denkmal war diesbezüglich nichts zu lesen.
Stadtrat erhält Angebot für Reste des Denkmals
Im Lauf des Jahres 1955 verbrachte man nun die "Germania"-Figur vor die äußere Stadtmauer in die Nördliche Allee, wo sie auch heute noch steht. Letztmalig während einer Ratssitzung im Juni 1956 befasste man sich mit den Resten des alten Denkmals von 1900. Bildhauer Kurt Tully beantragte da, die im Bauhof lagernden "roten Steine" vom Kriegerdenkmal 1870/71 käuflich erwerben zu dürfen, wofür er 100 D-Mark anbot. Zur Freimachung des Bauhofes sei die Stadt bereit, die Steine abzugeben. Aus Gründen der Konsequenz seien aber auch die Bildhauer Leuner und Schneider um ein Angebot anzuschreiben, heißt es in den Sitzungsprotokollen.
Stadtrat Blomeyer schlug vor, den Erlös des Steinverkaufs für den Neubau eines Kriegerdenkmals bereitzustellen. Gemeint war damit das erst im September 1966 eingeweihte Denkmal im Süden der Stadt zwischen Stadtmauer und Volkach-Bach. In der Krypta der Johanniskapelle könne man ja eine neue Tafel mit den Gefallenen des 1870/71er Krieges anbringen, hieß es während der Stadtratssitzung.
Bildhauer hat eigenes Werk einfach kopiert
Unbekannt blieb bisher, welcher Bildhauer die genannten "roten Steine" zur Wiederverwendung erwarb und wo letztendlich die vier schwarzen Marmortafeln mit den Namen der Feldzugteilnehmer von 1870/71 geblieben sind.
Bei Recherchen im Internet bezüglich Eduard Steiger, dem Aschaffenburger Bildhauer, der das Kriegerdenkmal auf dem Gerolzhöfer Marktplatz im Jahr 1900 schuf, stieß die Gerolzhöfer Museumsleitung auf weitere Werke des Künstlers. Darunter befindet sich ein von ihm geschaffenes Gefallenen-Ehrenmal zur Erinnerung an den 1870/71er Krieg mit Germania-Figur, das im Jahr 1896 in Klein-Steinheim am Main, einem heutigen Stadtteil von Hanau in Hessen, aufgestellt wurde. Durch eine Kontaktaufnahme mit dem dortigen Geschichtsverein erhielt die Museumsleitung freundlicherweise historische Aufnahmen dieses Denkmals.
Zur Überraschung erkannte man darauf, dass die Steinheimer Germania unserer "Alleefigur" aufs Haar glich. Die Steinheimer Figur war also die Vorlage für die Arbeit am vier Jahre später gefertigten Gerolzhöfer Kriegerdenkmal. In den 1950er Jahren wurde in Klein-Steinheim das Denkmal demontiert, wobei die dortige "Germania" spurlos verschwand. Später wurde die Sandsteinsäule in die Nähe des Friedhofs wieder aufgestellt und als Bekrönung mit einem Eisernen Kreuz und den Jahreszahlen der beiden Weltkriege versehen.
Gastautor Bertram Schulz ist einer der beiden ehrenamtlichen Leiter des Stadtmuseums Gerolzhofen.