
Ausgiebig untersucht der Mann in orangefarbener Jacke mehrere Minuten lang die Garderobe. "Kann man die hier eigentlich auch kaufen?", fragt er Claudia Wehner schließlich quer durch die Gerolzhöfer Gaststube und zeigt auf die metallenen Kleiderhaken. Diese nickt zustimmend. "Wenn Sie die Haken abbekommen, dann können Sie die auch gern mitnehmen", meint sie schulterzuckend. Ohne lange zu zögern, zaubert der Mann aus seiner Hosentasche ein Schweizer Taschenmesser hervor und beginnt, Haken für Haken aus der Garderobe herauszuschrauben.
Letzte Erinnerungsstücke kaufen, durch die Gaststube schlendern oder mit den ehemaligen Inhabern plauschen. Nachdem die Gastwirte Claudia und Paul Wehner ihren Brauerei-Gasthof in Gerolzhofen nach mehr als 200 Jahren Familienbetrieb wegen Personalmangels und gestiegener Kosten vor mehreren Wochen schließen mussten, verkaufen sie an diesem Wochenende in einem Flohmarkt das Inventar ihres Betriebs.

Und während sich draußen vor dem Gasthof Kisten voller Krüge und Gläser stapeln und sich ein altes Bierfass an das nächste reiht, findet man in der einstigen Gaststube alles, von Vasen über Dekoartikel bis hin zu Schränken und Lampen. Vieles ist mit kleinen Preisaufklebern versehen, bei allem anderen wird nachgefragt und verhandelt. Doch weg muss schlussendlich ja alles.
Von neuen Küchengeräte bis zu Bierkrügen als Erinnerung
Heute, am Sonntag, ist der Ansturm etwas verhaltener, erzählt Claudia Wehner. Aber gestern, da habe die Sache ganz anders ausgesehen, "gestern war der Wahnsinn". Bereits um halb zehn Uhr morgens, eine halbe Stunde vor eigentlichem Beginn des Flohmarkts, seien die Leute schon dagewesen. Die "Flohmarkt-Experten", die sich vor allen anderen schon im einstigen Gasthof umgeschaut hätten.

Aber auch Paare, die sich mit dem Geschirr und Besteck ihre erste Wohnung einrichten würden. Oder die Dorfjugend, die Krüge und Gläser für ihre Partyhütte besorgt hätte. Lange vor all dieser Kundschaft seien im Vorfeld schon Gastronominnen und Gastronomen dagewesen, um sich nach möglichen Gerätschaften und Einrichtungen für ihren Betrieb zu erkundigen. "Da muss man als Gastronomen zusammenstehen", meint Wehner.

Währenddessen steht der ehemalige Koch des Gasthofs in seinem einstigen Reich und hilft den Besucherinnen und Besuchern bei Fragen. Hier in der Küche stapeln sich alle Größen und Formen von Porzellangeschirr, Bestecksets und Töpfe. Mit prüfendem Blick geht ein Paar an einem Stapel Dessertgläser vorbei und diskutiert darüber, ob sie noch zusätzliche Schalen und Töpfe für ihre eigene Küche benötigen.
Schließlich bleibt der Blick der Frau an einer Kiste voll kleiner Porzellanschüsseln hängen. "Die haben wir immer für Weißwurstfrühstücke verwendet", erklärt der Koch. Das scheint das Paar auf ähnliche Gedanken zu bringen, weshalb es kurzerhand zwei Schüsseln einpackt, "für das nächste Weißwurstfrühstück daheim".

Der Mann wirft einen letzten Blick durch die Küche. In seiner Jugend sei er oft hier gewesen, damals, "als der alte Wehner noch gelebt hat". Hinten im Hof wären sie als Jugendliche oft gesessen, bestens versorgt mit einem Teller Nudeln und einem Krug mit frischem Bier. Zwei von diesen nehme er jetzt auch als Erinnerung an diese Zeiten mit nach Hause.
Im Gastraum lassen sich auch teils kuriose Verkaufsgegenstände finden, wie beispielsweise die getöpferte Vase mit griechischen Inschriften und Verzierungen. Oder die blauen Porzellanteller aus den Niederlanden. Doch bei dem etwa 20 Zentimeter langen, angerostetem Messer, das mit Mustern aus Pflanzen verziert ist, ist selbst Claudia Wehner ratlos. "Wir hatten das hier immer von der Decke als Deko hängen." Schließlich ist es ihr Vater, der den Zweck des Messers erklären kann: Eine Art Machete sei es, welche man damals zum Entasten von Bäumen genutzt habe.
Trotz seiner Schließung lebt der Gasthof weiter
Doch nicht alles steht zum Verkauf. Ein paar Erinnerungsstücke an ihr Gasthaus nehmen auch die Wehners mit, wie beispielsweise den Meisterkrug von Paul Wehner. Bis Ende April hätten sie noch Zeit mit dem Ausverkauf des Gasthauses, dann müssten sie raus. Der Getränkehandel der Familie liefe noch bis Ende Juni, dann würden sich die beiden vermutlich das restliche halbe Jahr Zeit für sich nehmen. "Ich glaube, wir müssen das alles erst einmal verarbeiten", meint Claudia Wehner. "Irgendwie wird es aber schon weitergehen." Was allerdings aus dem Gebäude wird, ist noch unklar.

Dennoch wird ein Stück des Brauerei-Gasthofes Weinig auch künftig in vielen Haushalten, Gastwirtschaften und Partyhütten in Gerolzhofen und darüber hinaus fortleben. Wie auch die Garderobenhaken, die mittlerweile alle aus ihrer Halterung abgeschraubt sind. Über 100 Jahre haben sie dort die Jacken, Mäntel und Hüte von Gästen des Gasthofs getragen, "jetzt kommen sie zu mir an die Wand", meint der Kunde freudig und verlässt die Stube mit einer Tüte voll seines neuen Schatzes.