Anna kann vielleicht nie eigene Kinder bekommen. Ob man ihr jemals die Beschwerden in ihrem Unterleib nehmen kann, ist unklar. Die junge Frau aus dem Raum Schweinfurt wurde mit drei Geschlechtskrankheiten infiziert – mutmaßlich von einem Mann, der sie im Mai 2019 im Evangelischen Klinikum Bethel betäubt, vergewaltigt und gefilmt haben soll.
Fast drei Jahre später erfuhr sie erst davon. Drei Jahre, in denen die Krankheiten in ihrem Körper wüten konnten.
Als Anna, die nur ihren Vornamen veröffentlichen möchte, im Januar 2022 von den Taten erfuhr, erstattete sie Anzeige wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen gegen die Staatsanwaltschaft Bielefeld. Weil diese die junge Frau und andere Betroffene so lange nicht informiert hatte.
Die Ermittlungsbehörde in Bielefeld hatte im Fall Bethel, bei dem mindestens 30 ehemalige Patientinnen im Zeitraum zwischen September 2018 und April 2020 von dem Assistenzarzt Philipp G. betäubt, vergewaltigt und gefilmt worden sein sollen, ermittelt. Zumindest so lange, bis G. sich zwei Tage nach seiner Festnahme im September 2020 das Leben nahm.
Staatsanwaltschaft Duisburg sieht keine "bewussten Rechtsverstöße"
Weil man gegen Tote nicht ermittelt, stellte die Staatsanwaltschaft Bielefeld das Verfahren ein. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm bestätigte die Entscheidung. Den betroffenen Frauen sagte man nichts. Weder von den Vergewaltigungen, noch von den Geschlechtskrankheiten, die im Obduktionsbericht von Assistenzarzt Philipp G. standen.
Erst nachdem das nordrhein-westfälische Justizministerium der Staatsanwaltschaft Duisburg den Fall übergeben hatte, kam er ins Rollen – und die Frauen wurden informiert, fast drei Jahre später.
Nun der Rückschlag. Es wird keine Ermittlungen gegen die Beamten geben. Es reiche nicht aus, "dass sich die getroffenen Entscheidungen im Nachhinein bei ihrer Überprüfung als unzutreffend darstellen", schreibt die Staatsanwaltschaft Duisburg in einer Pressemitteilung. Es gebe keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für "darüberhinausgehende schwerwiegende und vor allen Dingen bewusste Rechtsverstöße".
Anna aus dem Raum Schweinfurt legt Beschwerde ein im Fall Bethel
Lediglich falsche Entscheidungen? Anna sieht das anders. "Es wurde bewusst unterlassen, uns zu informieren." Fast drei Jahre haben sich die Geschlechtskrankheiten in ihrem Körper ausbreiten können. Zahlreiche schwere Antibiotikum-Therapien waren nötig, um die Erreger zu töten. Schmerzen habe sie noch immer, sagt Anna. Krämpfe, Ziehen. Wie ein Messer im Unterleib, das sich immer wieder hin und her bewegt.
Hinnehmen werde sie die Entscheidung nicht so einfach. "Die würden das gerne wollen, dass wir jetzt aufgeben", sagt Anna und schüttelt den Kopf. Mit ihrer Anwältin habe sie Beschwerde eingereicht. "Ich habe das Recht, das zu erfahren. Keiner kann über meinen Körper oder mein Leben entscheiden."
Anwältin Stefanie Höke sieht keinen Ermessensspielraum
Annas Anwältin Stefanie Höke begründet die Beschwerde rechtlich: "Die Staatsanwaltschaft hat übersehen, dass es den Paragraf 406i der StPO gibt, der ganz klar sagt, Opfer von Gewalttaten sind früh zu informieren." Das sei keine Ermessensentscheidung, es gebe keinen Spielraum.
Es lagen Geschlechtskrankheiten vor und es sei wahrscheinlich gewesen, dass Betroffene damit infiziert wurden. "Wenn jemand mit einer Geschlechtskrankheit oder HIV infiziert ist, hat er die Verpflichtung, etwaige Sexualpartner darüber zu informieren, sonst macht man sich strafbar", sagt Höke. Hier werde mit zweierlei Maß gemessen.
Parallel dazu haben Stefanie Höke und ihre Mandantinnen vom Land Nordrhein-Westfalen Schmerzensgeld verlangt. "Da wurde uns seitens des Justizministeriums schon mitgeteilt, dass die Beweispflicht bei den Geschädigten liegt", sagt Höke. "Aber wie soll das gehen? Niemand, der ins Krankenhaus geht, lässt sich vorher auf sämtliche Krankheiten testen."
Die Frauen können nichts dafür, was ihnen passiert ist. Und jetzt sollen sie nachweisen, dass sie die Geschlechtskrankheiten schon vorher hatten? Stefanie Höke sagt: "Das ist nicht machbar, da müssen wir uns nichts vormachen."
Frau aus Raum Schweinfurt hofft weiter, dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden
Es müsse einen Aufschrei in der Bevölkerung geben bei so viel Ungerechtigkeit, findet die Rechtsanwältin. "Wir sind in die Beschwerde gegangen, dass wir das so nicht stehen lassen." Ein Skandal jage in dem Fall den nächsten. "Wir haben den Krankenhausskandal, aber auch einen Justizskandal. Die Justiz, die wegschaut, die so viele Geschädigte ein Stück weit ignoriert hat."
Die Ermittlungen gegen die Klinikleitung und andere Verantwortliche wegen Beihilfe zur Vergewaltigung laufen indes weiter. "Wenn das jetzt auch eingestellt wird, weiß ich nicht, wie es weitergeht", sagt Anna.
Sie betont, sie wolle niemandem etwas Böses. "Wir wollen nur, dass die, die man zur Rechenschaft ziehen kann, für ihre Fehler geradestehen. Das kriegt man doch beigebracht als kleines Kind. Du hast einen Fehler begangen, dafür musst du geradestehen."