Mit größter Erleichterung nimmt der 61-jährige Angeklagte, Polizeibeamter im Ruhestand, das Urteil des Schöffengerichts Schweinfurt auf. Ein Schuldspruch und das Strafmaß, wie es der Staatsanwalt gefordert hatte, hätte für ihn, nach 43 Jahren im Polizeidienst, auch Auswirkungen auf seine Pensionsansprüche haben können, meint sein Anwalt. Doch das Gericht ist dessen Antrag gefolgt. Der Angeklagte wurde freigesprochen, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
Der Staatsanwalt hatte zuvor den Anklagevorwurf als erwiesen angesehen: Der lautete auf Freiheitsberaubung durch Unterlassen mit schwerer Gesundheitsschädigungsfolge. Wie berichtet, wurde dem 61-Jährigen vorgeworfen, am 13. Juni 2022 als Dienstgruppenleiter einen Notruf bezüglich einer Freiheitsberaubung, bei der eine 32-jährige Frau von ihrem Ex-Freund in einer Wohnung am Deutschhof eingesperrt und geschlagen werde, nicht ernst genommen zu haben.
Statt umgehend einen Einsatz anzulegen und eine Polizeistreife zum mutmaßlichen Tatort zu schicken, habe er den Anrufer aus München abgewiesen. Er solle seine Angaben in München schriftlich machen und den Vorfall dokumentieren lassen, habe der Angeklagte den Anrufer beschieden. Dies auch noch recht unfreundlich, wie der Softwareentwickler am ersten Verhandlungstag ausgesagt hatte.
Opfer stürzte vom dritten Stock in die Tiefe
Erst als sich der Anrufer erneut an die Münchener Notrufnummer 110 gewandt und eine Polizeikollegin mit dem 61-Jährigen in Schweinfurt telefoniert hatte, habe dieser den Einsatz angelegt und eine Streife losgeschickt – die aber erst eintraf, nachdem die 32-Jährige bei einem Fluchtversuch vom Balkon im dritten Stock in die Tiefe gestürzt und dadurch schwerst verletzt worden war.
Nach Ansicht des Staatsanwalts hätte all dies vermieden werden können, wenn der Schweinfurter Polizist pflichtgemäß sofort gehandelt hätte – und nicht nach einer Verzögerung von rund einer Viertelstunde. Deshalb müsse er sich sowohl die Freiheitsberaubung durch Unterlassen als auch die schweren Folgen für die 32-Jährige strafrechtlich zurechnen lassen.
Dies aber, so der Verteidiger in seinem Plädoyer, würde bedeuten, seinen Mandanten "für die Tat eines anderen verantwortlich zu machen": nicht nur für die Freiheitsberaubung, sondern auch für die Gesundheitsfolgen des Opfers. Dabei sei der Angeklagte erst ganz zum Schluss "in diese Geschichte reingeraten".
Die Freiheitsberaubung habe sich über Stunden hingezogen. Tatsächlich hatte die 32-Jährige die Wohnung ihres Ex-Freundes zwischenzeitlich sogar einmal verlassen, mit ihrem Bekannten in München telefoniert und war gegen dessen ausdrücklichen Rat in diese Wohnung zurückgekehrt, um noch ein paar Sachen zu holen.
Hätte ein früheres Reagieren den Sturz verhindern können?
Das Gericht sieht in der Abweisung des Anrufers aus München und der verspäteten Einsatzentscheidung erst nach dem Anruf der Münchner Kollegin zwar eine Pflichtverletzung, aber keine Kausalität zur Freiheitsberaubung. "Nur das, um was Sie die Freiheitsberaubung hätten verkürzen können, kann man Ihnen zurechnen", so der Vorsitzende zum Angeklagten. Man habe aber trotz Vernehmung etlicher Polizisten, die damals im Einsatz waren, nicht sicher feststellen können, "dass Sie bei sofortigem pflichtgemäßem Handeln und Losschicken einer Streife einen wesentlichen Teil der Freiheitsberaubung hätten verkürzen können".
Folglich könne man dem Angeklagten die Freiheitsberaubung nicht zuordnen und auch nicht deren Folgen für das Opfer, so der Vorsitzende. Deshalb: Freispruch. Die Staatsanwaltschaft kann dagegen Berufung oder Revision einlegen.