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Zeilitzheim
Flutkatastrophe: Zeilitzheimer Winzer hilft Winzern an der Ahr
Martin Mößlein hat Wein für die vom Hochwasser getroffenen Kollegen verkauft. Ein früherer Praktikant von ihm ist dort direkt betroffen. Dieser berichtet Dramatisches.
Das fünf Tage nach der Ahr-Flut aufgenommene Bild zeigt die verheerenden Zerstörungen, die das Wasser des über die Ufer getretenen Baches im Winzerort Mayschoß im Landkreis Ahrweiler angerichtet hat. Im Ortskern sind zahlreiche Häuser von der Flutwelle stark in Mitleidenschaft gezogen oder ganz fortgerissen worden.
Foto: Boris Roessler, dpa | Das fünf Tage nach der Ahr-Flut aufgenommene Bild zeigt die verheerenden Zerstörungen, die das Wasser des über die Ufer getretenen Baches im Winzerort Mayschoß im Landkreis Ahrweiler angerichtet hat.
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:48 Uhr

Knapp drei Wochen nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist das exakte Ausmaß der Schäden weiter nur zu erahnen. Wie wohl jeder, der aus den Nachrichten von den verheerenden Zerstörungen und den vielen Todesopfern dort erfahren hat, war Martin Mößlein "geschockt und berührt", wie er sagt. Der 37-jährige Winzer aus Zeilitzheim stellte sich die Frage: Wie kann ich den Menschen dort helfen, insbesondere den Winzer-Kollegen in den von der Flut betroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz? Schnell hatte er eine Idee und setzte diese um.

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Für den Hintergrund muss man wissen: Mößlein hat eine persönliche Verbindung ins Katastrophengebiet. Vor gut vier Jahren hatte er auf seinem Weingut einen Praktikanten aus Mayschoß, einem Ortsteil der von der Flut extrem getroffenen Gemeinde Altenahr (Lkr. Ahrweiler). Bilder von den unglaublichen Zerstörungen in dem gut 900 Einwohner zählenden Ort waren in Nachrichtensendungen zu sehen und gingen um die Welt. Mößlein griff zum Telefon und rief seinen Ex-Praktikanten an.

Betroffener erzählt seine persönliche Geschichte

Im Gespräch mit dieser Redaktion wiederholt Pascal Legrand vor wenigen Tagen, was er persönlich in jener Nacht, als das Wasser Mayschoß verwüstete, erlebt hat. Er arbeitet in der Winzergenossenschaft Mayschoß. Seine Wohnung hat sich in einem Haus direkt gegenüber befunden. Es stand am Ufer der Ahr. Das Hochwasser hat das Haus wie viele weitere vollständig zerstört. Von seiner Wohnung blieb nur noch das verwüstete Wohnzimmer übrig, das mit dem kleinen, stehen gebliebenen Rest des Hauses nun abgerissen wird. "Ich habe aus meiner Wohnung nach der Flut wörtlich nur noch das, was ich in jener Nacht am Leib getragen habe", sagt Legrand am Telefon.

Das Bild zeigt die vom Hochwasser zerstörte Winzergenossenschaft von Mayschoß im Ahrtal.
Foto: Tiina Ristola | Das Bild zeigt die vom Hochwasser zerstörte Winzergenossenschaft von Mayschoß im Ahrtal.

Als der 36-Jährige an jenem verhängnisvollen 14. Juli gegen 20 Uhr von der Winzergenossenschaft, wo er Sandsäcke gefüllt und verbaut hat, heimkommt, läuft bereits Wasser in den Keller. Er wohnt mit seiner Freundin im ersten Obergeschoss. Nachbarn von gegenüber warnen sie, dass die Glasfronten der Sparkassen-Filiale im Erdgeschoss unter ihnen geborsten sind – so hoch steht da bereits das Wasser. Legrand und seine Freundin packen das Notwendigste in Rucksäcke und gehen zu einer Mitmieterin ins zweite Obergeschoss.

Flutwelle reißt Mitbewohnerin mit

"Als dort in der Wand ein erster Riss auftritt, ist uns klar gewesen, dass das Haus akut gefährdet ist", erzählt Legrand. Gegen 2 Uhr reißt die Flut dann die Hälfte des Hauses mit sich. Die Mitmieterin aus dem zweiten Obergeschoss gerät ins Wasser, kann sich aber, wie Legrand erst Stunden später erfährt, irgendwie aus dem Wasser in die Weinberge retten, wo sie später lebend gefunden wird.

Fotoserie

Er und seine Freundin befinden sich zu dem Zeitpunkt, als das halbe Haus einstürzt, in der anderen Haushälfte. Aus einem Fenster klettern sie auf ein Balkondach. Dort verharren sie stundenlang, bis sie ein Helikopter am Donnerstag zwischen 10 und 11 Uhr rettet.

Wein-Hilfspakete sind innerhalb eines Tages ausverkauft

Als Winzer Mößlein Legrands Geschichte hört, hat er kurzentschlossen sein eigenes Hilfspaket geschnürt. Über einen Newsletter informiert er seine Kunden: Für 100 Euro gibt es eine Auswahl von zwölf Flaschen aus dem Sortiment des Weinguts. 50 Euro des Erlöses sind für die von der Flut getroffenen Winzer bestimmt. "Die Pakete waren in 24 Stunden ausverkauft", berichtet der Zeilitzheimer Winzer. Ein Kunde hat zum Preis gleich noch 100 Euro als Spende draufgelegt. Geplant hat er 100 Pakete, am Ende sind es 140 Pakete, die seinen Angaben nach 7000 Euro für die Winzer an der Ahr einbringen.

Winzer Martin Mößlein hat im Rahmen einer Hilfsaktion für Winzer im Ahrtal, die vom Hochwasser schwer getroffen wurden, 140 Weinpakete verkauft und den Erlös gespendet.
Foto: Michael Mößlein | Winzer Martin Mößlein hat im Rahmen einer Hilfsaktion für Winzer im Ahrtal, die vom Hochwasser schwer getroffen wurden, 140 Weinpakete verkauft und den Erlös gespendet.

Was Mößlein wichtig ist: Über die von einem Weingut in Rheinhessen initiierte Hilfsaktion "Solida(h)rität" helfen zahlreiche Winzer aus Deutschland, Österreich und Südtirol, darunter etliche aus Franken, ihren Berufskollegen im Ahrtal. Sie spenden Weinflaschen, die in Sechserpaketen für 65 Euro verschickt werden. Der Erlös geht über die Aktion "Der Adler hilft" direkt an die Winzer im Ahrtal.

Weitere Winzer aus der Region beteiligen sich an Hilfsaktion

Mößlein hat sich an dieser Aktion ebenfalls beteiligt und zahlt auch den Erlös seiner eigenen Aktion an "Der Adler hilft". Er weiß kennt weitere Winzern aus der Region, die mitmachen: Christian Ziegler aus Stammheim, Kerstin Laufer aus Bimbach, Uwe Gessner aus Garstadt und "viele weitere Winzer von der Mainschleife".

Die Solidarität und Spendenbereitschaft, die die Menschen in Mayschoß und den anderen hart getroffenen Gebieten derzeit erfahren, erzeugen dort eine große Dankbarkeit, bestätigt Legrand, der nach seinem Praktikum beim Weingut Mößlein in Veitshöchheim die Technikerschule für Weinbau besucht hat. Geldspenden seien in dieser Situation sehr wichtig, sagt er. Doch Geld ist nicht alles.

Winzergenossenschaft hat es hart getroffen

Für die betroffenen Winzer komme es auch auf praktische Hilfe an. Bei seinem Arbeitgeber, der Winzergenossenschaft Mayschoß, seien beispielsweise 300 Barrique-Fässer zerstört worden. Inwieweit die überfluteten Keller-, Probier- und Produktionsräume wiederherzurichten, und welche der übrig gebliebenen Geräte noch brauchbar sind, sei unklar.

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Doch neben der Flut droht den Winzern eine weitere Katastrophe, wenn sie die diesjährige Weinernte nicht einbringen können. Anders als eine Fabrik, können Winzer ihren Betrieb nach den Zerstörungen nicht einfach stilllegen. In den Weinlagen muss der Pflanzenschutz weiterlaufen, weil die Feuchtigkeit Pilzerkrankungen begünstigt. Und im September beginnt die Lese. "Jede helfende Hand", sagt Legrand, "ist willkommen." Dies gilt nicht nur für die Hilfe durch Berufskollegen, die auch schon aus Franken an die Ahr gefahren sind.

Bitte nicht direkt ins Katastrophengebiet fahren!

Doch bittet Legrand zugleich eindringlich darum, nicht einfach unüberlegt direkt ins Katastrophengebiet zu fahren. Vielerorts seien die nicht zerstörten Straßen für Helfer und Einheimische kaum passierbar. Helfer von auswärts sollten Shuttle-Busse nutzen, die sie vom Rand der von der Flut verwüsteten Gebiete, wie der Gemeinde Grafschaft (Lkr. Ahrweiler), morgens dort hinein und abends wieder herausbringen. Denn direkt vor Ort gäbe es nicht einmal für diejenigen, die ihre Wohnungen verloren haben, ausreichend Unterkünfte. Er selbst lebt nach einem zweiwöchigen Aufenthalt bei seinen Eltern in Duisburg jetzt in einer Ferienwohnung in Mayschoß.

Das am 28. Juli aufgenommene Bild zeigt Helfer in Mayschoß, die nach der Flutkatastrophe Schlammreste aus Häusern beseitigen. Tagelang waren die Einwohner von Mayschoß an der Ahr nach der Hochwasserkatastrophe von der Außenwelt abgeschnitten.
Foto: Thomas Frey, dpa | Das am 28. Juli aufgenommene Bild zeigt Helfer in Mayschoß, die nach der Flutkatastrophe Schlammreste aus Häusern beseitigen.

Klar ist: Die Winzer an der Ahr benötigen noch viele Monate Unterstützung und Hilfe ganz praktischer Art, auch über die Arbeit in den Weinbergen hinaus. So hat auch der Zeilitzheimer Winzer Mößlein bereits angeboten, im Herbst auf seinem Hof bis zu 30 000 Liter Wein für Kollegen aus dem Rheinland auszubauen. Und sein ehemaliger Praktikant hat noch einen Wunsch, der sich an alle richtet: Urlauber mögen das Ahrtal jetzt nicht abhaken und für immer vergessen. Es werde die Zeit kommen, in der Touristen dort wieder gerne gesehen sind und dringend gebraucht werden, um der Region auch wirtschaftlich auf die Beine zu helfen.

 
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