Karl-Heinz Wißmeyer ist Leiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Hauptzollamt Schweinfurt. Das Ziel seiner Einheit ist es, Geld aufzufinden, das dem Staat zusteht, das Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ihm aber vorenthalten wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, führt Wißmeyers Team Präventionskontrollen durch; auf Baustellen etwa oder in Gaststätten. Bei seiner Arbeit profitiert Wißmeyers Team aber auch davon, dass Menschen rachedurstig sind – vor allem dann, wenn sie sich hilflos, verletzt oder ausgenutzt vorkommen. Wut auf den fiesen Chef, der einen gefeuert hat, obwohl man doch für ihn viele Jahre fleißig geschuftet hat? Brass auf den untreuen Ex-Freund? Hass auf die Kollegin, den Nachbarn?
Kontrollen nach anonymen Anrufen
„Aus solchen Motiven“, sagt der Leiter der Finanzkontrolle, „rufen Leute bei uns an“. Selten nennen die Anrufer ihren Namen, meist bleiben sie anonym. Aber wenn die Finanzkontrolleure Anlass haben, anzunehmen, dass ihre Tippgeber Recht haben damit, dass ein Arbeitgeber aus ihrem Zuständigkeitsbereich dem Staat Sozialversicherungsbeiträge vorenthält, dann machen sie sich an die Arbeit. Rund 140 Finanzkontrolleure arbeiten derzeit fürs Hauptzollamt Schweinfurt; dieses Hauptzollamt ist zuständig Unterfranken und Oberfranken.
Vorab-Recherche ist Alltag
„Natürlich darf man das jetzt nicht so verstehen, dass wir bei jedem anonymen Anruf gleich losfahren“, sagt Gerhard Vogel, der die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in Würzburg leitet. Man könne ja nicht ausschließen, dass Anschuldigungen der anonymen Anrufer substanzlos seien. „Aber ich kann natürlich eine Menge etwa über eine Gaststätte erfahren, ohne dass ich auch nur einen Fuß in den Laden setze“, sagt Vogel. Zollbeamte haben nämlich unter anderem Zugriff auf die Datenbank der Deutschen Rentenversicherung.
Abgleich über die Rentenversicherung
Nur mal angenommen, ein Tippgeber teilte den Zollbeamten mit: „In dem Würzburger Lokal da arbeiten zwei Rumänen. Angeblich nur 16 Stunden. In Wahrheit sind es aber 40 Stunden.“ Dann kann der Finanzkontrolleur über die Rentenversicherungsdaten erkennen, ob besagte Rumänen in Vollzeit, in Teilzeit oder vielleicht auch gar nicht angemeldet sind. Kommt dem Kontrolleur das Beschäftigungsverhältnis verdächtig vor, machen sich die Beamten auf und nehmen die Gaststätte persönlich unter die Lupe.
Normalerweise, sagt Vogel, behielten die Beamten bei solchen Kontrollen ihre Zivilkleidung an; zu viel Aufsehen wolle man nicht erregen. „Wir gehen an die Theke, sprechen mit dem Arbeitgeber, befragen ihn über die Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeiter.“
Weshalb Arbeitgeber sich strafbar machen
Die Wirte aus der Region würden solche Besuche der Finanzkontrolle Schwarzarbeit mittlerweile kennen – wenngleich nicht unbedingt lieben, heißt es. Oft würden die Beamten nach einem anonymen Hinweis tatsächlich fündig. Dass Arbeitgeber Mitarbeiter als nur geringfügig beschäftigt anmelden, sie aber Vollzeit arbeiten lassen und sich so Sozialversicherungsbeiträge sparen, ist aus Zollsicht ein „typischer Verstoß“. Arbeitgeber, die auf diese Weise dem Staat Arbeitsentgelte „vorenthalten“, wie es im Paragraph 266a des Strafgesetzbuchs formuliert ist, müssen dann, wenn der Fall vor Gericht kommt, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe rechnen.
Scheinselbstständigkeit liegt im Trend
Weitere typische Verstöße, denen die Ermittler der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Spur kommen: Vollzeitarbeit ohne Anmeldung bei gleichzeitigem Beziehen von Sozialhilfeleistungen. Immer mehr Mindestlohnverstöße auch in Zeiten der Hochkonjunktur. Oft und immer noch zunehmend auch Scheinselbstständigkeit. Ein großes Thema für die Zöllner: Vogel erinnert sich etwa an den Tag, an dem er den ersten „selbstständigen Spüler“ traf – einen Mann, der wohl eher gezwungen denn aus eigenem Antrieb unter die Selbstständigen gegangen war. Der Eigner der Gaststätte, in der der Mann spülte, habe sich wohl Vorteile dadurch ausgerechnet, dass er den Mitarbeiter zum Selbstständigen machte: So sei er nämlich um die Zahlung eines Mindeststundenlohns herumgekommen.
Das Gesetz sieht zwar mittlerweile vor, dass auch ein ungelernter Arbeiter – ein Spüler etwa – einen Mindeststundenlohn von 8,84 Euro bekommen muss. Dass aber ein Selbstständiger ebenfalls diesen Betrag pro Stunde erwirtschaften muss, verlangt kein Gesetz. „Unser Mann hat letztlich für fünf Euro pro Stunde gespült“, berichtet Vogel. Folgenlos bleibt diese Mindestlohn-Umgehung für Arbeitgeber aber meist nicht. In dem Moment, wo die angeblich Selbstständigen ausschließlich für einen Arbeitgeber arbeiten, liegt klar Scheinselbstständigkeit vor – und die ist strafbar.
Die Kontrolleure haben bei ihren verdachtsbezogenen oder auch verdachtsunabhängigen Kontrollen in Unter- und Oberfranken neben dem angeblich selbstständigen Spüler auch „selbstständige“ Kurierfahrer, Designer, Texter oder Wachleute getroffen – alles Menschen, deren Arbeit fast zur Gänze von einem Unternehmen abhing. Am untersten Limit arbeitete nach Darstellung der Zöllner offenbar ein „selbstständiger Gebäudereiniger“, der für einen Stundenlohn von drei Euro den Boden schrubbte.
Mit gefälschten Pässen nach Deutschland
Bei den Kontrollen vor Ort, gerade auf Baustellen, in der Gastronomie, im Transportgewerbe oder in der Landwirtschaft, Branchen also, in denen oft ungelernte Arbeitnehmer aus dem Ausland tätig sind, gucken die Zöllner auch sehr genau auf die Dokumente, die die Beschäftigten ihnen vorlegen. Dass sich der vorgelegte Pass als Fälschung erweise, passiere immer häufiger, berichten die Beamten. „Eigentlich haben wir das in letzter Zeit so häufig, dass man schon von einem Trend sprechen kann.“
Warum der Moldawier mit einem gefälschten lettischen Pass und der Ukrainer mit einem gefälschten rumänischen Pass unterwegs sei? „Um hier in Deutschland arbeiten zu können“, sagt Wißmeyer. Während etwa lettische oder rumänische Baugeräteführer aus dem EU-Ausland hier problemlos arbeiten könnten, dürften „Drittstaatler“ wie etwa der Moldawier oder der Ukrainer das nicht. Oft seien die gefälschten Pässe auf den ersten Blick gut gemacht; man arbeite aber mit mobilen Dokumenten-Prüfsätzen und außerdem oft mit einem Passexperten der Polizei zusammen, um den illegaler Arbeit auf die Schliche zu kommen.
Wie große Unternehmen tricksen
Tricksereien übrigens sind keinesfalls nur der Baubranche, der Gastronomie oder Transportunternehmen vorbehalten, sondern kommen natürlich auch bei angeblich hochseriösen Unternehmen vor. So habe ein großes Unternehmen mit gutem Ruf, durchaus auch in Mainfranken bekannt, etwa eine gesamte Unternehmenssparte an einen Konzern aus dem europäischen Ausland verkauft.
Zwei Jahre lang galten dort die in Deutschland gezahlten Löhne der Mitarbeiter weiter; danach hatten die Angestellten kein Recht mehr auf Besitzstandswahrung und mussten die im Ausland üblichen, niedrigeren Löhne akzeptieren. Woraufhin das deutsche Unternehmen die Unternehmenssparte wieder zurückkaufte und die Mitarbeiter weiter zum Auslandslohn arbeiten ließ. „Leider legal“, ist das Urteil der Finanzkontrolleure.
2560 Ermittlungsverfahren in 2017
Doch auch wenn die fränkischen Zöllner manchmal bei Ermittlungen gegen eine Wand laufen – oft sind sie erfolgreich. Allein 2017 haben der Jahresstatistik des Hauptzollamts zufolge die rund 140 Mitarbeiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in der Region 1513 Arbeitgeber geprüft. In der Folge wurden 2560 Ermittlungsverfahren wegen Straftaten eingeleitet – eine deutliche Steigerung übrigens gegenüber 2016, wo 1949 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden.
Die Summe der Geldstrafen aus Urteilen und Strafbefehlen, die fränkische Verurteilte zahlen mussten, belief sich auf knapp 700 000 Euro. Die Summe der erwirkten Freiheitsstrafen in Jahren: 42. Der Schaden, den betrügerische Arbeitgeber allein im Zuständigkeitsbereich des Hauptzollamts Schweinfurt angerichtet haben, beläuft sich auf 13 Millionen Euro. „Das ist die Summe, die dem Staat entgangen ist“, sagt Pressesprecherin Tanja Manger. Über die Summe, die sich der Staat über Nachzahlungsforderungen wieder zurückgeholt hat, führt das Hauptzollamt keine Aufzeichnungen.