Eltern lieben ihre Kinder, doch treiben die Kinder sie mitunter in den Wahnsinn. Die meisten Papas und Mamas - Hand aufs Herz - stimmen da wohl zu. Und solche Gedanken, sagt Familientherapeutin und Autorin Katharina Pommer, dürfen Eltern auch haben. Ohne schlechtes Gewissen und Rabeneltern-Gefühle, denn Leben, Familie, Kinder sind nicht immer wie aus dem Hochglanz-Familienglück-Magazin.
Die 41-Jährige weiß, wovon sie schreibt. Pommer ist fünffache Mutter und hat so ziemlich alles erlebt hat, was man mit Kindern von Trotzalter bis Pubertät erleben kann. In ihrem ersten Buch "Stop Mum Shaming", machte die Familientherapeutin aus Stadtlauringen (Lkr. Schweinfurt) Frauen Mut intuitiv Mutter zu sein und auf ihre Gefühle und Instinkte zu vertrauen. Wer das nicht tue, laufe Gefahr, in der Flut gutgemeinter Ratschläge aus Freundeskreis, Internet und von selbsternannten Vorzeige-Eltern unterzugehen.
In ihrem zweiten Buch "Vom Umtausch ausgeschlossen - was Eltern nicht zu sagen wagen" ergründet Pommer den Spagat zwischen der Wunschvorstellung einer heilen Eltern-Kind-Beziehung und der Realität mit Ärger, Stress, Überlastung und Nächten mit wenig Schlaf. "Man hat keine Ahnung, wie anstrengend es manchmal sein kann, bevor man es nicht erlebt hat", sagt Katharina Pommer über Elternschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Was tun, wenn der Plan, eine perfekte Mutter zu sein, hinfällig wird, weil frau mit dem Schreibaby überlastet ist oder an das "Pubertier", das eben noch anlehnungsbedürftig war, nicht mehr herankommt? Im Interview versucht Pommer Auswege aus der Falle zwischen Frust und Funktionieren zu skizzieren, rät zu Gelassenheit - und dazu sich nicht selbst zu vergessen.
Katharina Pommer: Eltern möchten, so gut es geht, alles richtig machen und empfinden große Scham, wenn sie sich überlastet fühlen, ihr Kind Auffälligkeiten zeigt, nicht "funktioniert", wie gesellschaftlich erwartet oder schlechte Noten schreibt. Oft wird Elternschaft idealisiert und viele denken: „Das ist doch einfach, ein Kind gesund groß zu ziehen.“ Dass Eltern aus diesen Gründen selten Hilfe holen oder recht wenig über ihre Überlastung sprechen, ist bedauerlich. Es sollte heutzutage und gerade nach der harten Coronazeit kein Tabu mehr sein, um Hilfe und Unterstützung zu bitten. "Umtauschgedanken" zeigen im Grunde an: "Ich brauche Hilfe, mir wird gerade alles zu viel."
Pommer: Wir sind die erste Eltern-Generation, die in einer digitalen Welt lebt, vieles ist schneller, erreichbarer und hektischer. Es ist völlig normal, dass beide Eltern arbeiten und dies auch tun müssen, weil die Lebenshaltungskosten enorm gestiegen sind. Kein Wunder, dass Eltern im Alltag mal die Puste ausgeht. Fehlt dann der Ausgleich, kann sich das negativ auf die Gesundheit auswirken. Kommen Schlafmangel und wenig Pausen hinzu, kann Dauerstress zu Burnout und schlechtem Immunsystem führen. Während Corona erzählten mir Eltern, dass sie sich trotz positivem Test und Symptomen nicht ausruhen, oder schlafen gehen konnten, sondern sich weiter um die Kinder kümmern mussten - und das 24/7.
Pommer: Der Großteil der Eltern gibt sich viel Mühe, Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen, und die meisten Kinder wissen dies auch zu schätzen. Perfektion gehört in den Maschinenbau, aber nicht in die Elternschaft. Häufig unterliegen Eltern dem Irrtum, dass das Kind sich fremdschämt oder sich "undankbar" oder gar gleichgültig abwendet. Dabei ist es so, dass gerade Teenager dabei sind, unabhängiger zu werden, um eines Tages ihr Leben ohne Eltern leben zu können. In dieser Zeit wenden sie sich von den Eltern nicht wegen Scham oder Undankbarkeit ab, sondern vielmehr einem unabhängigen Leben zu.
Pommer: Viele Eltern möchten es besser oder anders als die eigenen Eltern machen. Es kommt vor, dass sich ein Elternteil sehr darauf konzentriert, der Papa oder die Mama fürs eigene Kind zu sein, die man sich selbst gewünscht hätte. Da kann es passieren, dass man das Kind, das vor einem steht, aus den Augen verliert. Häufig erlebe ich das bei Eltern, die als Kind geschlagen und sehr streng erzogen wurden. Sie empfinden großen Schmerz, wenn sie auf die eigene Kindheit blicken und versuchen ihr eigenes Kind vor Traumata zu bewahren. Eine nachvollziehbare Geschichte, solange der gesunde Mittelweg im Auge bleibt. Irgendwann wird einem das eigene Kind dann schon sagen: "Du Mama oder Papa, so passt mir das nicht, sei nicht so eine Glucke, lass mir bitte mehr Freiraum."
Pommer: Es würde uns allen guttun, anstelle der Schuldfrage, die Frage der Verantwortung zu stellen. In diesem Wort steckt nämlich schon die "Antwort". Wenn wir lernen, zu verstehen, dass jeder von uns Fehler macht und wir gerade als Eltern täglich damit konfrontiert sind, müssen wir weder uns noch dem Kind die Schuld für ein mögliches Versagen geben, sondern können stattdessen fragen: "Was gibt es jetzt zu sagen oder zu tun, oder eben nicht mehr zu sagen oder zu tun, damit wir einander wieder näher kommen können und es uns besser miteinander geht?" Eine mögliche Antwort kann sein, dass man sich professionelle Unterstützung von Menschen holt, die helfen können, Konflikte oder unliebsame Verhaltensweisen wieder ins Lot zu bringen.
Pommer: Wenn Kinder klein sind und keine Großeltern in der Nähe leben, ist das oft eine Herausforderung für Eltern. Man kann dann nicht mehr einfach zum Sport oder eben mal allein einen Spaziergang manchen. Dann muss man sich absprechen oder jemanden organisieren, der aufs Kind aufpasst. Häufig geraten Eltern in einen Konflikt als Paar, schreiben unbewusst eine Liste, wer wann wie viel Zeit für sich hatte und wer nicht. Das sorgt für Unmut. "Du hattest letzte Woche zwei Stunden für dich, ich nicht mal zehn Minuten allein am Klo!" Deshalb lege ich Eltern ans Herz, gemeinsam einen genauen Plan zu machen. Wann "darf" Papa zum Sport und wann Mama zum Yoga? Wer bringt an welchen Tagen die Kinder ins Bett und der andere hat "frei"? Wer ist für Arztbesuch, wer für die Kita verantwortlich? Es ist längst nicht mehr so, dass all das automatisch Mamas Aufgabe ist! Väter wollen sich einbringen, Mamas möchten aus der klassischen Erziehungsrolle, das gelingt, wenn man sich als Paar Zeit nimmt und bespricht, wie sich jeder den gemeinsamen Alltag mit Kind vorstellt.
Pommer: Die Antwort auf die Frage ist Ehrlichkeit. Wenn wir aufrichtig von den Höhen, aber auch den Tiefen, die wir überwinden konnten, sprechen, kann sich ein junger Mensch eines Tages selbst ein Bild davon machen, wie sich ein Leben mit Kindern anfühlen würde und was ihm dabei wichtig wäre. Wichtig ist auch, dass wir ausgeglichene Vorbilder sind. Ich wünsche mir, vor allem auf Social Media, gesündere Balance zwischen Realität und Scheinwelt, aber auch, dass sich Eltern schneller Hilfe suchen und nicht denken: "Das muss ich alles alleine schaffen." Voraussetzung dafür ist auch die gesellschaftliche Bereitschaft, Eltern unter die Arme zu greifen, anstatt sie zu verurteilen. Da reicht ein freundliches Lächeln an der Supermarktkasse, statt genervtes Kopfschütteln, wenn die Kinder des Nachbarn kreischend vor den Überraschungseiern stehen und die Schlange aufhalten.
Zu bedauern sind eigentlich nur die Kinder, welche die Fehler der Eltern erst gar nicht machen sollen, d.h. wenn die Eltern so ehrgeizig sind, dass der Nachwuchs das Versäumte der Väter und Mütter errreichen und die Schmach der Eltern in ihrem Karrierestreben kompensieren müssen. Prinzipiell sind Kinder keine Lernroboter, welche mit zwei Jahren schon die Funktion eines Rauchmelders verstehen müssen. Eltern, welche einen Ehrgeiz an den Tag legen, dass es ihre Ableger eines Tages besser machen sollen, sind mir suspekt.