
Eines hat dieser Abend klargemacht. Wieder einmal – den Grund, warum Publikums-Massen nunmehr fast 27 Jahre der fränkischen A-capella-Band "Viva Voce" weit über die Grenzen Deutschlands hinaus folgen: seit Monaten ausverkauftes Haus im Theater Schweinfurt Gemeindehaus, Wartelisten. Wie sich die Bilder gleichen: die Bamberger Konzerthalle, die Seebühne im Kurpark Bad Staffelstein, Lieder auf Banz, alles mit dem Güte-Siegel "ausverkauft". Wo das Ensemble auftritt, sind die Häuser dicht.
Der Name zieht von alleine die Massen durch volksnahe Popularität an, auch wenn die vier Sänger, unter dem Titel "Stimmflut – Viva Voce & Friends", mit anderen, unbekannteren Gruppen auftreten. Das Quartett nutzt seine Popularität, um Nachwuchs-Ensembles, wie jetzt dem Frauen Ensemble "Niniwe" aus Berlin oder der Boy Group "Free Vocals" aus Regensburg, den Auftritt auf Bühnen vor einem großen Auditorium zu geben.
Frauen-Ensemble "Niniwe" eröffnete das Konzert
Die Berlinerinnen eröffneten den ersten Teil des Konzerts (dem mit fast 80 Minuten bis zur Pause einige Kürzungen wirklich gutgetan hätten), mit Songs der Popikone "Sting", arrangiert in einer Art Madrigal-Charakteristik. Schön anzuhören in der Abstimmung und klanglichen Abtönung, wie die Ballade "Fields of Gold", aber dann doch nach dem vierten Song etwas einsträhnig in der Klangwirkung.
Die Boygroup "Free Vocals" setzte danach auf fetzige Rhythmen und Stimmen vor gleißendem Blendlicht und verschiedene Pop-Cover-Versionen, bei denen auch die "Backstreet Boys" zu Ehren kamen, allerdings keine Eigenkompositionen. Gerne hätte man dazu Wissenslücken gefüllt. Wer hat welchen Song arrangiert? Wie ist die Song-Abfolge? Wer singt welche Stimmlage? Wir könnten diese Geschichte jetzt mit dem Blick in eine Kristallkugel, auf einen Kaffee-Satz oder getrocknete Hühnerknochen (verspricht am ehesten Erfolg) lösen. Programmzettel gab's leider nicht.
Die Konzert-Hälfte nach der Pause gehörte dann den ungekrönten fränkischen Königen der "A-capella-Welt: "Viva Voce". Das neue klangliche Ergebnis mit Auszügen aus dem aktuellen Programm "Dito" kann sich nicht nur hören, sondern auch sehen lassen. Hier agieren erzmusikalische Komödianten oder erzkomische Musikanten zu einer professionell abgestuften Choreographie, eingebunden in eine stimmige Lichtregie. Und das Publikum geht von der ersten Sekunde an mit.
"Viva Voce" decken breite musikalische Palette ab
Und hier kann man getrost einmal genauer hinsehen. Der Erfolg von "Viva Voce", denen aus triftigen Gründen der Bayerische Musikpreis verliehen wurde, hat bei genauem Hinhören, Hinschauen nämlich verschiedene Ursachen. Zum einen stehen da vier Sänger auf der Bühne, die eine breite musikalische Palette gesanglich abdecken. Das beginnt schon bei den eigenen Kompositionen und Liedtexten über Beziehungen, Liebe, Krieg und Frieden.
Zum anderen hat "Viva Voce" sich einen ganz speziellen Ensemble-Sound um die Stammformation des Tenors David Lugert und des Bassisten Heiko Benjes geschaffen. "A-capella-Gesang" in Perfektion, bei dem sich die hohen Stimmen auf ein sattes Fundament von Bass-Bariton und menschlicher Beat-Box stellen können. Das Ganze gepaart mit einer ausgezeichneten Legato-Technik und melodisch geschickt abgestuftem Gleichklang – immer mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken.
Alle Hüte ab, vor Andreas Kuch, der von Beginn an als eine Art lebende Beat-Box die Rhythmen vorgab. Seine Solo-Schlagzeug-Nummer: Weltklasse, das macht ihm so schnell keiner nach. Ganz, ganz stark wird das Ensemble im Finale, wenn die Vier populäre Songs covern und diesen ihren eigenen, humoristischen Stempel aufdrücken. Etwa wenn das Glanzstück aller Tenöre, der neapolitanische Folk-Song "O sole mio" auf Elvis Presleys "It's now or never" in einer rabenschwarzen Bass-Version trifft. Das Ganze artet zum erzkomischen Sängerkrieg aus, der das Publikum mit Konsequenz von den Sitzen reißt. Stehende Ovationen – minutenlang.
Die FreeVocals waren dann als „Vocal Boy Band“ in der Tat das Kontrastprogramm. Als Gesamtgruppe auftretend waren die Stimmlagen dennoch leicht zuzuordnen. Wer welches Arrangement verantwortet, ist aus meiner Sicht nebensächlich. Durchwegs eine mitreißende Performance.
Programmzettel habe ich nicht vermisst. Im Übrigen konnte man während der Pause und nach dem Konzert mit allen Künstlerinnen und Künstlern ins Gespräch kommen und etwaige Wissenslücken mühelos auffüllen.