Dass sie buchstäblich ihr ganzes Leben in der Kneipe verbringen würden, das haben sich Erika und Elmar Knörnschild sicher nicht gedacht, als sie im März 1975 das Gasthaus „Zur Rose“ übernahmen. Die „Rose“ hatte damals mehr Dornen als Blüten, denn die Wirtschaft war – diplomatisch ausgedrückt – etwas heruntergekommen.
„Es gab alle paar Tage eine Schlägerei“, erinnert sich der heute 73-jährige Elmar Knörnschild. „Harte Jungs“ sorgten für viel Umsatz, aber auch für viel Ärger. „Ältere Damen haben die Straßenseite gewechselt, wenn sie an der Wirtschaft vorbeigelaufen sind“, ergänzt Erika Knörnschild. „Mehr als einmal haben wir gedacht, was haben wir uns da angetan.“
Einst hatte die „Rose“ mehr Dornen als Blüten
Ein Vorfall, in dessen Rahmen ein einzelner offenbar unter Drogeneinfluss und wie von Sinnen in der Kneipe wütete, gab den Ausschlag – es muss sich was ändern. Es waren viele Jahre harter Arbeit, in denen die „Rose“ dank des Einsatzes von viel Zeit, Geld und Herzblut zu dem wurde, was sie heute ist – ein gutbürgerliches Gasthaus im Herzen von Gochsheim, in dem es sich gepflegt fröhlich sein lässt und wo man auch gerne seine Familienfeier abhält.
Nicht nur ein Imagewandel war zu bewerkstelligen, auch baulich benötigte das altehrwürdige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert eine Frischzellenkur und wurde stückweise renoviert. Familie Knörnschild war inzwischen vom Pächter zum Besitzer des Hauses geworden, hatte das Gasthaus von der Brauerei erworben. „An den Wänden waren fünferlei Tapten, die maroden Lehmdecken haben wir auch herausgerissen“, erinnert sich Elmar Knörnschild an zwei der vielen Baustellen, die die „Rose“ durchgestanden hat.
Zugute kam den beiden in all den Jahren wohl auch, dass ihnen das Wirte-Dasein irgendwie im Blut liegt. Erika Knörnschild (heute 63) stammt aus der Familie, die früher den Gasthof „Zur Eisenbahn“ betrieb. Elmar war dort regelmäßiger Gast. „Wir haben uns sozusagen in der Wirtschaft kennengelernt.“ Zwar hatte er Autoschlosser gelernt, aber als sich die Gelegenheit bot zusammen mit seiner frisch angetrauten Gemahlin die „Rose“ zu übernehmen, hat er schnell sein Händchen für die gepflegte fränkische Küche entdeckt.
Bekannt für den Schultheiß-Braten
Am Anfang hat die Mutter noch mitgeholfen, von der er sich manchen Kniff abgeschaut hat. Entenbraten, Gänsebrust, Rinderzuge und vor allem der weithin bekannte Schultheiß-Braten mit Kartoffelklößen wurden schon bald zum Markenzeichen der „Rose“. Nicht nur der selbst erfundene Schultheiß-Braten – vereinfacht ausgedrückt eine leckere überdimensionale Rindsroulade – lockte auch viele Gäste aus Nachbarorten.
Die Aufgabenverteilung hat sich in all den Jahren nicht verändert. Die Küche war sein Revier, an den Tischen und hinter der Theke hatte die Wirtin das Sagen. Im Sommer, nach sage und schreibe 43 Jahren, war nun Schluss. Beim Abschied flossen Tränen der Rührung. Die Planpaare der Gochsheimer Kärm, die 34 Jahre ihre zweite Heimat in der „Rose“ hatten, Musikanten und zahlreiche Vereine, die in der Rose Stammgäste waren, bereiteten ihrer Erika und ihrem Elmar einen zu Herzen gehenden Abschied, an den sie auch Wochen danach noch voller Dankbarkeit denken. Alle hatten gesammelt, um den Wirtsleuten einen ansehnlichen Reisegutschein mit in den Ruhestand zu geben.
Lieder voller Heimweh, Fernweh und Sehnsucht im Nebenzimmer
Was bleibt, sind die Erinnerungen. Zum Beispiel an die legendären Wirtshaussingen, wo weniger vom Notenblatt, dafür umso mehr frei von der Leber weg gesungen wurde. Unvergessen auch der Freddy-Quinn-Freundeskreis, der sich meistens am letzen Freitag im Monat traf, um gemeinsam die Lieder des wohl bekanntesten Sängers der Nachkriegszeit zu singen und fröhlich zu sein. Die Knörnschilds, beide große Fans des Halbösterreichers und Wahlhamburgers mit dem irischen Nachnamen, haben ihr Idol mehrfach live erlebt, persönlich getroffen haben sie ihn leider nie. Die Liebe zu den Liedern des oft von Matrosen, Heimweh und Sehnsucht singenden „Freddy“ teilten sie mit bis zu 35 Gleichgesinnten. Im Nebenraum der „Rose“, dekortiert mit Postern und Plattenhüllen und einer Uhr im Schiffssteuerrad-Outfit, trafen sich die Freddy-Quinn-Freunde seit 2002. Sogar eigene blaue Freundeskreis-T-Shirts hatte man sich schneidern lassen.
2009 hat sich Freddy, der heute 87 Lenze alt ist, weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Die Knörnschilds wissen aber immer noch, was ihr Idol so treibt. „Er hat wieder geheiratet, es geht ihm gut.“ Der Freddy-Quinn-Freundeskreis dagegen ist nun, um es mit Freddy auszudrücken, „heimatlos“.
Der Gastraum, das Wohnzimmer für viele Vereine
Noch viel wichtiger aber war der gute Kontakt, den man zu den örtlichen Vereinen aufgebaut hat. Nicht nur die Planpaare, die 34 Jahre in der „Rose“ ein- und ausgingen und von dort aus zum Beispiel aufbrachen, um den Planbaum einzuholen, waren Stammgäste. Auch viele andere Vereine, die sich erst nach und nach eigene Vereinsheime bauten, waren und sind in der „Rose“ zuhause. Es waren schöne Jahre, in denen man zwar kaum vor Mitternacht ins Bett kam und es sehr viel Arbeit gab, aber es waren auch Jahre „ganz nah dran“ an den Menschen. „Wirte wissen so gut wie alles, was im Dorf passiert“, sind sich die beiden sicher. Manche Sorge wurde geteilt, manche menschliche Schieflage am Wirtshaustisch wieder gerade gebogen.
Andere Speisen, aber das „Nationalgetränk“ hat überlebt
„Wir möchten uns bei allen bedanken, die immer wieder zu uns gekommen sind“, sagen die beiden, die noch nicht so ganz angekommen sind im Rentnerdasein. Darum sind sie wahrscheinlich auch nicht ganz unglücklich darüber, wenn ihre gastronomischen Nachfolger, das Ehepaar Kim und Lam Vu, mal Hilfe gebrauchen können. „Die machen ihre Sache prima, die jungen Leute kommen und viele essen heute eben lieber Sushi als Sauerbraten.“ Auch wenn das Gasthaus „Zur Rose“ jetzt offiziell „Sakuro“, also Kirschblüte, heißt und die asiatische Küche vorherrschend ist, wurden viele Traditionen erhalten.
Wenn ein Gast eine Runde „Hütli“ ausruft, weiß auch die junge vietnamesische Wirtin Lam, dass dann die große Asbach-Flasche zum Einsatz kommt. „Hütli“, jenes spezielle Asbach-Cola-Gemisch, war seit jeher das „Nationalgetränk in der Rose“, egal welche Nationalität in der Küche das Sagen hat.
Jetzt auch mal Gast in der eigenen Wirtschaft
Auch im Ruhestand leben die Knörnschilds weiter in der Kneipe, wenn auch im Stockwerk darüber, schließlich ist es ihr Haus. Daran, sich jetzt auch mal als Gäste zum Frühschoppen-Stammtisch zu gesellen, müssen sie sich erst noch gewöhnen, aber „wir arbeiten daran“. Dass endgültig Schluss ist als Wirt mit 73 Jahren, das macht Elmar Knörnschild auch an einem anderen Umstand fest. Der Rosenstock, der jahrelang an der Fassade der „Rose“ gewachsen ist, ist diesen Sommer eingegangen. Vielleicht pflanzen die Nachfolger dort ja einen kleinen Kirschbaum.