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SCHWEINFURT
Drei Monate Anker-Zentrum: Eine erste Bilanz
Besuch im Ankerzentrum: Seit 1. August ist die Erstaufnahme in den ehemaligen Ledward Barracks eine Ankereinrichtung. Diese Frauen melden sich mit ihren Kindern zur Gesundheitssprechstunde an.
Foto: Irene Spiegel | Besuch im Ankerzentrum: Seit 1. August ist die Erstaufnahme in den ehemaligen Ledward Barracks eine Ankereinrichtung. Diese Frauen melden sich mit ihren Kindern zur Gesundheitssprechstunde an.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:08 Uhr

Viel wurde darüber gestritten und heftig Kritik daran geübt: Seit 1. August ist die Erstaufnahmeeinrichtung in Schweinfurt ein „Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung“, kurz: Anker-Zentrum. Was ist seitdem anders geworden?

Der Leiter der Einrichtung, Alexander Warkotsch, und sein Stellvertreter Yener Yildirim zucken erst einmal mit den Schultern. Viele Vorgaben für Anker-Zentren habe die Schweinfurter Einrichtung schon vor dem 1. August erfüllt. Die einzelnen Prozesse des Asylverfahrens würden jetzt nur besser gebündelt. Trotzdem: Einige Neuerungen hat es gegeben. Die Auffälligste: Es läuft mehr Sicherheitspersonal auf dem Gelände herum. Früher waren 16 Mann tagsüber im Dienst, aktuell sind es 20. Und ab Januar wird sogar auf 50 Wachleute aufgestockt.

„Wir haben die Vorgabe, uns auf 1000 bis 1500 Leute vorzubereiten.“

„Wir rechnen damit, dass die Belegung ansteigt“, erklärt Alexander Warkotsch, vor allem im Hinblick auf den Umzug der Einrichtung Mitte nächsten Jahres in die größeren Conn Barracks vor den Toren der Stadt bei Geldersheim. Mit 500 bis 700 Flüchtlingen war die Zahl der Bewohner seit Frühjahr 2016 ziemlich konstant. „Wir haben aber die Vorgabe, uns auf 1000 bis 1500 Leute vorzubereiten.“ Das ist die von Ministerpräsident Markus Söder zugesagte Höchstauslastung für Anker-Zentren. Folglich müsse auch das Sicherheitspersonal aufgestockt werden. Dies sei zudem der Standard anderer Anker-Einrichtungen.

Auch die Polizei ist mit einer zwei bis vier Mann starken Truppe tagsüber vor Ort. „Es gibt regelmäßig Polizeieinsätze“, räumt Warkotsch ein. Er sieht diese aber nicht als Folge der Anker-Einrichtung. Diese Einschätzung bestätigt die Polizei. Die Einsatzdichte hänge eher mit den Belegungszahlen zusammen, heißt es aus der Schweinfurter Inspektion. In den vergangenen drei Monaten habe es hier aber keine gravierenden Veränderungen gegeben. Auch im Bereich der Kriminalität sei keine signifikante Steigerung zu beobachten.

„Wir arbeiten gut mit der Polizei zusammen“

„Was wir haben, ist ein Alkoholproblem“, gibt Warkotsch offen zu. Auffällig seien hier junge Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern, die im Umgang mit Alkohol unerfahren seien. Auf dem Gelände der Anker-Einrichtung herrscht zwar striktes Alkoholverbot, „das wird auch kontrolliert“, oftmals aber werde außerhalb konsumiert, und Flüchtlinge kämen dann alkoholisiert zurück. „Da kann es schon mal zu Auseinandersetzungen kommen.“

„Wir arbeiten gut mit der Polizei zusammen“, sagen Warkotsch und Yildirim. Auch zum Schutz der Bewohner würden regelmäßig die Zimmer nach verbotenen Gegenständen durchsucht. Waffen zum Beispiel oder Drogen.

Geldleistungen werden gekürzt

Gut angenommen werde die Rechtsantragsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts, die mit der Eröffnung des Anker-Zentrums am 1. August eingerichtet wurde. Hier können Asylbewerber ihren Einspruch gegen einen ablehnenden Asylbescheid protokollieren lassen. Bislang mussten sie dafür nach Würzburg fahren. Yildirim: „Das ist eine echte Erleichterung für Flüchtlinge.“ Aktuell ist das Büro einmal in der Woche besetzt, bei Bedarf werde noch ein zweiter Sprechtag eingerichtet.

Apropos Mobilität: Ab November stellt die Regierung Flüchtlingen Tickets für den Öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung. Allerdings wird ihnen dafür das monatliche Taschengeld um 22 Euro gekürzt, sie erhalten dann nur noch 100 Euro. Den Bewohnern in der Schweinfurter Anker-Einrichtung bringt das Ticket nicht so viel, haben sie doch kurze Wege in die Stadt. „Das ist der erste Schritt hin zur Umstellung auf das Sachleistungsprinzip“, verweist Warkotsch auf die von Ministerpräsident Markus Söder eingeführte Neuerung.

Jobcenter soll mögliche Betätigungsfelder ausloten

Eine „tolle Sache“ ist laut Warkotsch aber das Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit, das ebenfalls mit der Eröffnung des Anker-Zentrums angesiedelt wurde. Hier sollen bei Flüchtlingen mit guten Bleibeperspektiven noch während des Asylverfahrens die möglichen Betätigungsfelder ausgelotet werden. Die Anker-Einrichtung in Schweinfurt ist derzeit für Flüchtlinge aus den Schwerpunktländern Algerien, Armenien, Elfenbeinküste, Somalia und Nigeria zuständig, diese haben aber eher geringe Bleibeperspektiven. Ihnen droht also die Abschiebung.

Ein Ziel der Anker-Zentren sollte es sein, Abschiebungen zügiger umzusetzen, so die Hoffnung der bayerischen Staatsregierung. „Wir haben regelmäßig Abschiebungen“, antwortet Warkotsch und verweist auf die Regierung von Unterfranken. Laut deren Informationen wurden 2017 132 Menschen abgeschoben, 2016 waren es 142. Zahlen für das laufende Jahr liegen noch nicht vor.

Der bayerische Flüchtlingsrat kritisiert die Abschiebung direkt aus Anker-Einrichtungen, weil die Menschen kaum noch ruhig schlafen könnten. Dass dies zu psychischen Leiden führen kann, zeigt der Zulauf in der „Ambulanz für seelische Gesundheit“, ein von den Erlöserschwestern Würzburg getragenes Projekt, das als einzigartig in Deutschland gilt. Zwei Psychologinnen und vier psychosoziale Berater mit eigener Fluchterfahrung bieten Flüchtlingen Einzel- und Gruppenberatung an. Und sie stellen fest, dass die Menschen in der Schweinfurter Anker-Einrichtung nicht nur unter ihrem Fluchttrauma leiden, sondern vielmehr unter der Unwissenheit über ihren Abschiebestatus.

Ankommende Flüchtlinge müssen sich per Fingerprint im Ankerzentrum registrieren lassen.
Foto: Irene Spiegel | Ankommende Flüchtlinge müssen sich per Fingerprint im Ankerzentrum registrieren lassen.
Günther Mittl nimmt von ankommenden Flüchtlingen die Fingerabdrücke. Sie werden zum Abgleich in einer zentralen Datenbank gespeichert, um zu verhindern, dass eine Person in mehreren EU-Staaten Asyl beantragen kann.
Foto: Irene Spiegel | Günther Mittl nimmt von ankommenden Flüchtlingen die Fingerabdrücke. Sie werden zum Abgleich in einer zentralen Datenbank gespeichert, um zu verhindern, dass eine Person in mehreren EU-Staaten Asyl beantragen kann.
 
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