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Schweinfurt
Dementer 88-Jähriger wird nach Angriff auf eine Bewohnerin untergebracht – in einem besonderen Haus
Schuldunfähig hätte der Mann fast eine Frau erstickt. Gericht, Anwältin und Staatsanwalt fanden eine Lösung – ohne Forensik.
Symbolbild: Gericht/Justiz
Foto: rclassenlayouts (iStockphoto) | Symbolbild: Gericht/Justiz
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:40 Uhr

Der Staatsanwalt vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Schweinfurt betont: "Wir haben hier einen 88-jährigen Beschuldigten, der bis Mai 2023 gänzlich straffrei durchs Leben gegangen ist".  Am 1. Mai dieses Jahres aber marschierte der gelernte Schlosser in einem Pflegeheim im Landkreis Schweinfurt in das Zimmer einer Mitbewohnerin und drückte ihr Mund und Gesicht auf eine Stoffdecke, sodass sie kaum mehr Luft bekam. So schildern Zeugen den Vorfall.

Eine zufällig im Nachbarzimmer tätige Altenpflegerin hörte ihr leises Japsen, kam sofort hinzu – und schon ließ der 88-Jährige von der Frau ab und verließ ohne Umstände den Raum. "Die sind doch alle irre, man muss euch helfen und die wegmachen", sagte der Senior noch zu der Pflegerin. Das Opfer der Attacke kam wohl mit relativ kurzfristiger Atemnot und dem Schrecken davon.

Die hinzugerufene Notärztin schilderte am ersten Verhandlungstag, dass sie das Opfer mit hochrotem Gesicht und sehr verschreckt angetroffen habe, dass aber keine weiteren medizinischen Maßnahmen nötig gewesen seien. Laut dem Rechtsmediziner aus Würzburg könne der 88-Jährige Mund und Nase der Geschädigten nicht länger als 20 bis 30 Sekunden auf die Decke gedrückt haben, weil keine Bewusstlosigkeit eingetreten sei. Lebensbedrohlich sei diese Attacke demnach nicht gewesen – wohl auch deshalb, weil zufällig die Pflegerin rechtzeitig zur Stelle war.

Ankläger: "Aussetzer auch gegenüber anderen Bewohnern"

Rechtlich werteten Staatsanwalt wie Verteidigerin die Tat in ihren Plädoyers übereinstimmend als gefährliche Körperverletzung. Der grundsätzlich freundliche alte Mann "hatte seine Aussetzer auch gegenüber anderen Bewohnern", sagte der Anklagevertreter. Und: "Hätte das Ersticken der Geschädigten mehrere Minuten angedauert, wäre der Tod eingetreten." Hier zitierte der Staatsanwalt die Aussage des rechtsmedizinischen Gutachters.

Der beschuldigte Senior, der bis dahin knapp neun Jahrzehnte straffrei gelebt hatte und vor Gericht einen ausgesprochen freundlichen Eindruck machte, wurde nach diesem Vorfall im Pflegeheim per Gerichtsbeschluss einstweilig in der Forensik eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Jetzt musste das Gericht entscheiden, wie es weitergeht.

Platz in geschlossener Abteilung ist frei – Umzug sofort

An der Einsichts- und Schuldunfähigkeit des 88-Jährigen, zur Tatzeit wie heute, hatte der psychiatrische Sachverständige keinen Zweifel gelassen. Der Beschuldigte leide an einer mittelschwer bis schwer ausgeprägten Demenz, die sich nicht bessern, sondern fortschreiten werde. Solange er noch so rüstig und anderen älteren Patienten körperlich überlegen sei, stelle er eine Gefahr dar. Die Voraussetzungen für seine dauerhafte Unterbringung lägen vor. Nur die Forensik sei für ihn nicht der ideale Ort.

Den hat wohl vor allem seine engagierte Anwältin gefunden: ein Haus, gar nicht weit von der psychiatrischen Klinik entfernt, auch mit geschlossener Abteilung und besserem Betreuungsschlüssel, in dem der Senior sicher untergebracht sei. Diese Einrichtung hatte der psychiatrische Gutachter für sehr geeignet gehalten. Ein Platz sei auch frei, der 88-Jährige könne praktisch umgehend dorthin umziehen.

Das war die Information, die das Gericht brauchte. Für die vorgeschlagene Lösung musste es die Unterbringung nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch anordnen – und gleich außer Vollzug setzen, mit der Auflage, dass der Beschuldigte in dieser Einrichtung "unverzüglich seinen Wohnsitz nimmt" und von der forensischen Ambulanz betreut wird. Gegen das Urteil ist Revision möglich.

 
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