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Schweinfurt
Bildung nach dem "Bauklötzchensystem": Kein Werkunterricht mehr für die 5. und 6. Klassen an den Mittelschulen
In Schweinfurt wird der Werkunterricht gestrichen. Die Empörung ist groß. Das Kultusministerium hat aber eine Lösung des Problems in Aussicht gestellt.
Der Werkunterricht macht vielen Kindern Spaß. Hier können sie ihre Fertigkeiten und ihr Geschick auf vielen Feldern ausprobieren. Im Schulamtsbezirk Schweinfurt wird dieses Fach im nächsten Schuljahr für die Fünft- und Sechstklässer an Mittelschulen gestrichen.
Foto: Thomas Keßlerring | Der Werkunterricht macht vielen Kindern Spaß. Hier können sie ihre Fertigkeiten und ihr Geschick auf vielen Feldern ausprobieren.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:26 Uhr

Unterrichtsausfälle sind nicht ungewöhnlich. Dass Unterricht aber gleich ganz vom Stundenplan gestrichen wird, das ist schon außergewöhnlich. Nach den Sommerferien, im neuen Schuljahr, wird das im Schulamtsbezirk Schweinfurt der Fall sein. Das Staatliche Schulamt hat angekündigt, an den Mittelschulen den Fachunterricht "Werken und Gestalten" in den 5. und 6. Klassen zu streichen. Der Grund: Es sind zu wenig Fachlehrkräfte da.   

Betroffen sind alle zwölf Mittelschulen des Schulamtsbezirks Schweinfurt gleichermaßen – drei in der Stadt und neun im Landkreis. Zwar ist die personelle Situation nicht überall die Gleiche, überall sollen aber gleiche Bedingungen vorherrschen, begründet das Schulamt seine Entscheidung. 

Im Stadtlauringer Gemeinderat hatte diese Nachricht für Empörung gesorgt. Dies sei besonders tragisch für Handwerksbetriebe, die um jeden Auszubildenden kämpfen und so eine wichtige Vorbereitungsstufe entzogen bekämen, meinte Holger Krug, selbst Inhaber eines Handwerksbetriebes, der das Handwerk nicht wert geschätzt fühlt. Gemeinderätin Barbara Göpfert sah wichtige Alltagskompetenzen wegfallen. Und Kollege Bernd Haas meinte gar, dass der einfachste Weg gegangen wurde, "um diese Fächer los zu werden".

Regierung hat die Streichung des Werkunterrichts genehmigt

"Einfach haben wir es uns gewiss nicht gemacht", weist Schulrätin Nicole Schmitt diese Unterstellung zurück. Im Gegenteil: "Dieser Schritt fällt uns sehr schwer." Es habe viele Besprechungen gegeben, es sei genau abgewogen und letztlich nach Rücksprache mit der Regierung von Unterfranken diese Entscheidung getroffen worden.

Schulrätin Nicole Schmitt (im Bild beim  Job-Speed-Dating in der Albert-Schweitzer-Schule) sagt, die Entscheidung, den Werkunterricht für die Fünft- und Sechsklässer zu streichen, habe das Schulamt genau abgewogen.
Foto: Anand Anders | Schulrätin Nicole Schmitt (im Bild beim  Job-Speed-Dating in der Albert-Schweitzer-Schule) sagt, die Entscheidung, den Werkunterricht für die Fünft- und Sechsklässer zu streichen, habe das Schulamt genau abgewogen.

Die Eltern haben davon vermutlich noch gar nichts mitbekommen. Jasmin Sing-Neckermann, Elternbeiratsvorsitzende an der Mittelschule in Dittelbrunn, zumindest ist überrascht von der Nachricht. Das sei eine katastrophale Entwicklung, sagt sie. "Das ist der Preis, den wir für die verschlafene Schulpolitik zahlen müssen." 

"Das ist der Preis, den wir für die verschlafene Schulpolitik zahlen müssen."
Jasmin Sing-Neckermann, Elternbeiratsvorsitzende in Dittelbrunn

Welche Bedeutung Werken und Gestalten für die Fünft- und Sechstklässer hat, ist im Lehrplan der Bayerischen Staatsregierung nachzulesen. Danach leistet dieses Fach einen wichtigen Beitrag für "Handwerkliches Arbeiten und gestaltetes Umfeld". Es sei die Basis für die berufsorientierenden Wahlpflichtfächer der Mittelschule ab der Jahrgangsstufe 7, heißt es.

Trotzdem hat sich das Schulamt für die komplette Streichung des Fachs entschieden. "Weil wir das Personal für die Siebtklässer brauchen", erklärt Schulrätin Schmitt. Die Sicherstellung von qualifiziertem Unterricht in den höheren Jahrgangsstufen besitze oberste Priorität. Denn diese Schülerinnen und Schüler müssen ja auf ihre spätere Abschlussprüfung vorbereitet werden. 

Bei den Fachlehrern ist die Lage besonders extrem

Die Streichung von Unterricht ist nur eine von vielen möglichen Maßnahmen aus dem "Werkzeugkasten" des Kultusministeriums, den es seit vergangenem Schuljahr gibt. Schulen oder Schulämter können sich daraus das für sie passende Instrument aussuchen. Zum Beispiel Differenzierten Sportunterricht kürzen, größere Klassen bilden oder eben Unterrichtsfächer ganz vom Stundenplan entfernen, wie in Schweinfurt. 

"Die Lücke ist nicht erst gestern aufgetreten", verweist Schulrätin Schmitt auf die seit langer Zeit angespannte Personalsituation in den Schulen. Bei den Fachlehrern sei die Lage besonders extrem. "Hier gibt es wenig qualifiziertes Personal." Schon in der Vergangenheit habe man deshalb Leute ohne typische Lehrerausbildung eingestellt.

Den Vorschlag des Stadtlauringer Gemeinderats, für den Werkunterricht Handwerksmeister in Rente zu engagieren, betrachtet Schmitt mit Skepsis. Der Lehrplan sei sehr breit angelegt, von Sticken und Stricken bis Töpfern und Schreinern sei alles dabei. Nicht jeder Handwerksmeister könne diese Palette bedienen.  

"In den Schulamtsbezirken entsteht ein richtiger Wildwuchs."
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann

Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), überrascht die Entscheidung des Schweinfurter Schulamtes nicht. Auch an anderen Schulen in Bayern werde zu diesem Mittel gegriffen. Die einen streichen Sport, die anderen Musik. Jede Schule nehme sich das für sie passende Klötzchen aus dem Werkzeugkasten. "In den Schulamtsbezirken entsteht ein richtiger Wildwuchs."

Für nicht tauglich hält BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann den 'Werkzeugkasten' des Kultusministeriums zur Bekämpfung des Lehrermangels.
Foto: Fabian Gebert | Für nicht tauglich hält BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann den "Werkzeugkasten" des Kultusministeriums zur Bekämpfung des Lehrermangels.

Keines der vom Kultusministerium den Schulen zur Verfügung gestellten Werkzeuge hält der BLLV für tauglich, weil sie den Bildungsansatz schwächen. "Wir brauchen Maßnahmen, die die Kernmannschaft nicht noch zusätzlich belasten", fordert Fleischmann attraktivere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte sowie Quereinstiegsprogramme. Besonders an den Mittelschulen habe sich die Lage zugespitzt. Schülerinnen und Schüler seien da, Lehrkräfte aber nicht mehr. Der Werkzeugkasten des Kultusministeriums ist für Fleischmann ein Zeichen, "dass bald aller Abend Ende ist".    

Landesweiter Bildungsprotest am 23. September

Damit es nicht soweit kommt, ruft der Bayerische Elternverband (BEV) gemeinsam mit anderen Verbänden am 23. September zum bundesweiten Bildungsprotest auf. In Bayern wird in Erlangen und München demonstriert. "Wir fordern ein generelles Umdenken, Sparen darf bei der Bildungspolitik nicht mehr im Vordergrund stehen", sagt Landesvorsitzender Martin Löwe. Mittlerweile gebe es Schulen, bei denen nicht mal mehr die Betreuung der Kinder gewährleistet sei. "Dieser Zustand ist nicht haltbar." Der Staat komme seinem Bildungsauftrag nicht mehr nach. 

Einen Lösungsvorschlag zumindest für den Fachlehrermangel in der Region hat der unterfränkische BLLV-Vorsitzende Helmut Schmid parat: "Es würde uns helfen, ein Staatsinstitut zur Ausbildung von Fachlehrern auch in unserem Regierungsbezirk zu etablieren." Damit könnten seiner Ansicht nach mehr junge Leute aus der Region für diesen Beruf begeistert werden. 

Unterdessen setzt das Schweinfurter Schulamt seine Suche nach Lehrkräften, Quereinsteigern und fachlichen Experten von außerhalb weiter fort. "Das ist unsere Hauptaufgabe derzeit, das nehmen wir sehr ernst", sagt Schulrätin Nicole Schmitt. Und sie verspricht: "Wenn wir noch genug Personal finden, dann können wir auch wieder zurückrudern."

UPDATE vom 8.8.2023: Das Kultusministerium hat auf unseren Bericht reagiert und eine Lösung in Aussicht gestellt: Die Einzelheiten lesen Sie hier.

 
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  • Doris Hauptmann
    Sport und Musik kann man auch außerhalb der Schulzeit treiben bzw spielen. Im Werkunterricht könnte vielleicht der eine oder andere dringend benötigte Handwerker rekrutiert werden. Am besten wäre es, diese als Wahlfächer einzuführen, dann könnte sich jeder Schüler nach seiner Begabung entscheiden.
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