Geschichte verläuft manchmal irrational. Am 20. Mai 1724 versammelten sich auf dem Marktplatz von Gerolzhofen viele Menschen, darunter 66 Gerolzhöfer, zu einem Abschiedsgottesdienst. Mit Pferdewagen machten sie sich auf den über 1000 Kilometer langen Weg nach Ungarn. Sie verließen ihre Heimat für immer. Der österreichische Versorgungsstatthalter Johann Georg Harruckern (1664 bis 1742) hatte ihnen als verlockenden Anreiz kostenloses Land im heutigen südöstlichen Grenzraum Ungarns zu Rumänien zur Verfügung gestellt.
Die Franken gründeten in der nach den Türkenkriegen verödeten Landschaft unter anderem Dörfer wie Elek oder Sanktmartin (heute im rumänischen Banat); der Landstrich im Raum Gyula blühte wieder auf.
Knapp 5000 mussten gehen
222 Jahre später mussten die Deutschen wieder gehen. Im April und Mai 1946 verloren in Elek knapp 5000 von ihnen Heimat, Hab und Gut – eine katastrophale Folge des von Deutschland angezettelten und verlorenen Zweiten Weltkriegs.
Die Eleker mussten dahin zurück, woher sie kamen, nach Deutschland (genauer in die westlichen Besatzungszonen). Rund 280 Vertriebene landeten im baden-württembergischen Laudenbach zwischen Darmstadt und Heidelberg. Geschichte verläuft manchmal eben irrational.
Manchmal aber auch rational. In Elek spricht man heute nicht mehr wie zu Zeiten der Kommunisten von einer Umsiedlung, sondern von einer „menschenunwürdigen Vertreibung“. So steht es in einer Kurzfassung der Eleker Ortsgeschichte und ähnliche Worte nimmt auch Eleks Bürgermeister László Pluhár in den Mund.
Partnerschaft Elek-Laudenbach
Jetzt schloss sich ein Kreis. Die Eleker haben nämlich seit dem 5. August nicht nur eine Partnerschaft mit Gerolzhofen, der Stadt, aus der die Menschen kamen, sondern auch mit Laudenbach, dem Ort, wohin sie gehen mussten.
Zur Besiegelung dieser Partnerschaft war auch eine 27-köpfige Delegation aus Gerolzhofen mit Bürgermeister Thorsten Wozniak an der Spitze mit dem Zug angereist. Die 21 Deutschen und sechs Franzosen aus der Partnerstadt Mamers erlebten in Elek eine unglaubliche Gastfreundschaft und ein tolles Programm. Gefeiert wurden auch der seit 30 Jahren bestehende Freundschaftsvertrag der Gerolzhöfer mit Elek und die zehnjährige Städtepartnerschaft.
Zurück in der alten Heimat
Eingebettet waren die drei Tage von Elek in das 14. Weltfreundschaftstreffen, bei dem ehemalige Eleker oder ihre Nachfahren in die alte Heimat zurückkommen. In dieser Zeit wird auch der Grenzübergang nach Rumänien geöffnet, dessen Grenze nur wenige hundert Meter vom Eleker Ortsrand verläuft.
Im Zentrum von Elek war ein großes Festzelt aufgebaut, in dem sich Schlag auf Schlag ein Programm mit Jugendorchestern, Majorettes, Rockbands und Solisten abspielte.
Bei der Begrüßung in diesem Zelt würdigte es Eleks Bürgermeister László Pluhár, dass so viele Menschen trotz teilweise hohen Alters den weiten Weg in die alte Heimat auf sich genommen haben. Bürgermeister Thorsten Wozniak rief dazu auf, gerade in diesen unruhigen Zeiten ein Zeichen für ein friedliches und gemeinsames Europa zu setzen.
Auch böse Menschen haben Lieder
„Wo man singt, da lass dich nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder“ – diese Volksweisheit wollte Pfarrerin Katalin Koncz-Vágási von der Reformierten Kirche bei einem zusammen mit dem katholischen Pfarrer Janos Máté gehaltenen ökumenischen Gottesdienst in der prächtig renovierten Eleker Kirche nicht uneingeschränkt teilen. „Auch Nazis und Kommunisten hatten Lieder“, sagte sie. Die Tatsache, dass Lieder tiefere Seelenschichten erreichen, mache sie ebenso wirkungsvoll wie gefährlich. Andererseits haben Lieder Gefängnismauern zum Wanken gebracht und Menschen zur Freiheit verholfen. Heute sei die Gefahr, dass Menschen oft nicht mehr selbst singen, sondern über moderne Tonträger nur noch singen lassen. Dabei sei es wichtig, Kindern Lieder mit ins Leben zu geben.
Erstes Vertriebenendenkmal
Eine Vorreiterrolle spielt Elek mit seinem sozialistischen und europafreundlichen Bürgermeister László Pluhár auch insofern, als es die erste Gemeinde in Ungarn war, die ein Denkmal an die vertriebenen Deutschen errichtete. Es steht nicht an versteckter Stelle, sondern mitten im Ort und ist gut gepflegt. Bronzefiguren symbolisieren junge und alte Menschen, die sich auf den Weg machen.
In den Kriegen des 20. Jahrhunderts sei es nicht mehr um die Vernichtung von Armeen, sondern von Völkern gegangen, die seit Jahrhunderten zusammenlebten, sagte László Pluhár zu Beginn der Gedenkfeier am Denkmal. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass nicht die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs die Vertreibung vorgaben, sondern die ungarische Regierung.
Deutschen Kollektivschuld verpasst
Pluhár wurde noch deutlicher: „Ungarn hat die Deutschen als Sündenbock hergenommen und ihnen eine Kollektivschuld gegeben, um die eigene Mitschuld zu vertuschen.“ Damit sei eine der wichtigsten Bevölkerungsgruppen vertrieben worden, die Ungarn mit aufgebaut hatte.
Zur Erläuterung: Ungarn war seit 1941 Verbündeter von Hitler-Deutschland, versuchte seit 1943 aus dem Bündnis zu kommen, wurde jedoch durch den deutschen Einmarsch gewaltsam daran gehindert.
Gedanken an gegenseitige Vernichtung gebe es heute wieder, fuhr Pluhár fort. „Aber wir lassen uns nicht in die Vergangenheit zurückführen, sondern wollen in Frieden und Freiheit in einem vereinten Europa leben.“
Beide Seiten auf Vergebung angewiesen
Joschi Ament, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn und Vorsitzender des Kulturkreises Elek, sagte, beide Seiten seien auf Vergebung angewiesen. Vergebung sei eine wichtige Voraussetzung für den Frieden in Europa. Ament würdigte die Tatsache, dass Ungarn „das erste und einzige Vertreiberland im Osten und Südosten Europas ist, das sich mit dem Thema Vertreibung auseinandersetzt.“
Zum Gedenken an die Vertreibung legten Pluhár, assistiert von seinen Kollegen Thorsten Wozniak (Gerolzhofen) und Hermann Lenz (Laudenbach), sowie weitere Vertriebenenvertreter Kränze am Denkmal nieder.
Eleker Kinder und Jugendliche inszenierten dann ein Stück, das Thomas Klemm geschrieben hat. Mithilfe einer Zeitmaschine versuchten sie herauszufinden, welche Zeit die bessere sei. Ihnen fiel auf, dass sich besonders die Jungs verstärkt für Zeiten mit großen und kriegsbereiten Feldherrn wie Napoleon interessieren.
Partnerschaften sind Begegnung
Bei der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrags zwischen Elek und Lautenbach kam auch Bürgermeister Thorsten Wozniak zu Wort. Städtepartnerschaften seien ein wichtiger Motor für Europa, denn sie ermöglichen die Begegnung der Menschen, das Kennenlernen der Kulturen sowie das Erleben von Traditionen und Brauchtum.
Zugegen waren auch Baden-Württembergs Justiz- und Europaminister Guido Wolf, Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 gegen Winfried Kretschmann (Grüne), und der ungarische Parlamentsabgeordnete Arató Gergely (Demokratische Koalition). Die offiziellen Reden übersetzte Istvan Kantor.
Ausflug nach Rumänien
Eher touristischen Charakter hatte dann am letzten Tag ein Ausflug in ein rumänisches Weingut mit einer Verköstigung außergewöhnlicher Tröpfchen. Während die Dörfer in Rumänien in der Region Arad einen stark rückständigen Eindruck machten, kann das Weingut mit hiesigem Standard leicht und locker mithalten.
Auf der Heimreise galt der Dank der Teilnehmer besonders Siegfried Brendel und Inge Engert vom Partnerschaftskomitee für die perfekte Organisation.
Online-Tipp
Weitere Bilder von der Elek-Reise gibt es im Internet unter www.mainpost.de