Kurz vor halb Neun am Sonntag: Es ist knackig kalt, das Thermometer zeigt minus acht Grad. In der Hauptstraße haben sich Dutzende Männer eingefunden. Allesamt sind sie historisch eingekleidet, im schwarzen Gehrock und mit Zylinder.
Noch wird gelacht und gescherzt, als in einem Hoftor die Waffen ausgegeben werden, darunter Hellebarden und Gewehre, wobei es sich hierbei um hölzerne Attrappen handelt. Wem kalt ist, dem schenkt Jürgen Moller etwas "Wärmendes" aus. Von dem Angebot wird reichlich Gebrauch gemacht.
Dann wird es ernst, die 47 Herren der Bürgerwehr stellen sich in Reih und Glied auf der abgesperrten Straße auf. Dazu weitere 18 Männer, die Pioniere, Korporale und Fähnrich darstellen. Zahlreiche Interessierte beäugen das Schauspiel.
Bürgerwehr erwacht für zwei Stunden zum Leben
Als Bürgerhauptmann Frank Wagner mit seinen Offizieren die Reihen abschreitet, sind alle in Habachtstellung gegangen, es ist mucksmäuschenstill. Das Sebastiani-Pestgelübde hat zum 413. Mal begonnen.
Alljährlich um den 20. Januar herum feiert die Gemeinde ihren höchsten Festtag: Für etwas mehr als zwei Stunden erwacht dann die Bürgerwehr zum Leben und erneuert auf diese Weise das Pestgelübde zu Ehren des Heiligen Sebastian, dem Schutzpatron von Oberschwarzach.
Das Spektakel erinnert an das schlimmste Ereignis der Ortsgeschichte, als 1611 der "Schwarze Tod", die Beulenpest, unter der Bevölkerung wütete. Bürgerhauptmann Wagner, der im Vorjahr erstmals dieses Amt ausführte, spricht in seiner Rede von 158 Menschen, die damals mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Die Vorfahren hielten zusammen, unterstützten sich, wo sie nur konnten, so Wagner weiter. Als sie Hilfe beim Heiligen Sebastian suchten, seien sie durch ihr Gebet erhört worden. Aus diesem Grund und als Dank legt die Bürgerwehr jedes Jahr aufs Neue das Pestgelübde ab.
Ehemalige Oberschwarzacher reisen bis aus München an
Es findet im Rahmen eines Festgottesdienstes in der Kirche St. Peter und Paul und mit einem Totengedenken am Ehrenmal statt. Vor vier Jahren wurde der "Sebastiani-Tag" in das Bayerische Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
Für viele Oberschwarzacher ist es eine Selbstverständlichkeit, Teil der Bürgerwehr zu sein. Manche nehmen dafür weite Wege in Kauf. So die beiden Theß-Brüder Albrecht (65) und Matthias (55), die in dem Winzerort aufgewachsen sind. Der Ältere lebt seit 1980 in München, Matthias im Nürnberger Umland. Doch das Gelübde wollen sie sich nicht entgehen lassen. "Wir kommen jedes Jahr, wenn es irgendwie möglich ist", sagt Albrecht Theß.
Für seinen Bruder ist Sebastiani ein Stück Heimat. Für sie ist die Bürgerwehr auch ein persönliches Dankeschön an den Heiligen: "Dass unsere Mutter mit 90 Jahren immer noch alleine hier lebt."
Einige müssen sich richtig warm anziehen
Beide haben sich bei den eisigen Temperaturen warm angezogen, ebenso zwei andere Bürgerwehrler: Richard Lehmeyer hat sich Skiunterwäsche angezogen. "Und dicke Socken, nachdem ich im Vorjahr kräftig gefroren habe."
Fast die gesamte Zeit müssen die Herren im Stehen verbringen. Sein Freund Matthias Geiling zeigt bei der Frage nach seinem Wärmetipp dezent unter seinen Gehrock – es deutet sich darunter eine dicke Winterjacke an. Letztes Jahr, berichtet Geiling, habe er "böse gelitten".
Beide sind keine gebürtigen Oberschwarzacher, doch auch für sie ist die Bürgerwehr ein Pflichttermin. Geiling stammt aus dem Ebracher Ortsteil Großgressingen. Lehmeyer lebt zwar seit seiner Heirat hier, kommt aber aus Dettelbach.
Festprediger musste krankheitsbedingt absagen
Sein Beweggrund: "Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Traditionen gepflegt wurden", so Lehmeyer. Nur wenn die Bürgerwehr genau am Sebastiani-Tag, also dem 20. Januar reaktiviert wird, dann muss er leider passen. Der Geburtstag seiner Tochter geht in diesem Fall immer vor.
Bereits am Vorabend von Sebastiani beginnen die Feierlichkeiten, mit einem Zapfenstreich beim Bürgerhauptmann. Sonntagmorgens um 6.30 Uhr erschallt der Weckruf der Steigerwaldkapelle, später zieht sie dann mit ihrem "klingenden Spiel" und der "bewaffneten Mannschaft" zur Kirche.
Dort wird die Fahne des Heiligen abgeholt, mit der dann die Bürgerwehr ins Gotteshaus einzieht. Den Festgottesdienst zelebriert Pfarrer Stefan Mai. Ursprünglich war dafür Festprediger Monsignore Günter Putz vorgesehen, doch den muss Mai krankheitsbedingt entschuldigen.
In seiner Rede am Ehrenmal, wo ein Kranz abgelegt wird, mahnt der Bürgerhauptmann zu Frieden, der aufgrund aktueller Krisen "bitter notwendig" sei. Wagner bedauert, dass der Ausnahmezustand zum Dauerzustand geworden sei.
Gedenken an alle Opfer früherer und aktueller Kriege
Die Bürgerwehr engagiere sich alljährlich, um die Erinnerung an die Pestzeit und Opfer der Weltkriege wachzuhalten; hierbei schließe man alle Opfer, insbesondere den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, mit ein.
Menschen bräuchten im Leben "Halt, Hoffnung und Zuversicht" und vor allem Liebe. In Bezug auf das Pestgelübde stellt er fest: "Sebastian kann uns auch heutzutage Vorbild sein."
Mit einem letzten Appell endet die Zeit der Bürgerwehr kurz vor zwölf Uhr. Die Männer geben ihre Waffen zurück. Erst im nächsten Jahr wird sie wieder aufgestellt. Dann am 19. Januar 2025.
Auch Tiersegnungen am Franziskus-Tag oder Segnen für Verliebte am Valentinstag, Geschenke an Nikolaus für die Kleinen, all diese Tage im Jahr sind groß in Ehren zu halten.
Was man aber nicht braucht sind Tage wie Tag des Kusses oder sonst andere neuen besonderen Tage wo in den letzten Jahren eingeführt worden sind. Was ist morgen für ein Gedenktag?