
Reinhold Albert wurde 1953 in Sternberg geboren – einem Dorf nur wenige hundert Meter von der ehemaligen DDR-Grenze entfernt. Als Kind war diese für ihn etwas ganz normales. Auch als Grenzpolizist in Maroldsweisach erlebte er die Geschehnisse am "Eisernen Vorhang" hautnah. "Die Zeit seit der Grenzöffnung rennt – 40 Jahre war Deutschland geteilt und mittlerweile sind wir fast genauso lang wiedervereint", sagt Albert. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung berichtet er, wie er diese Zeit wahrnahm und welche Bedeutung die Wiedervereinigung für ihn hat.
Reinhold Albert: Mein Heimatort Sternberg liegt nur 500 Meter von der Grenze entfernt und als ich geboren wurde existierte die Grenze schon. Deswegen hat mich die Teilung mein ganzes Leben begleitet – von meiner Geburt bis zur Grenzöffnung 1990. Sie war also fester Bestandteil meines Lebens und die unmittelbare Nähe war manchmal auch etwas Unheimliches. Wenn wir als Kinder beim Spielen in die Nähe der Grenze kamen, hatten wir Angst. Auch dass die Leute aus Ost und West nicht miteinander gesprochen haben, war furchteinflößend. Hinter der Grenze hat dich niemand gegrüßt, das durften die einfach nicht. Man hat manchmal auch detonierende Minen gehört, wenn Flüchtende oder Tiere durch den Grenzstreifen gelaufen sind. Selbst unser Hund mied das Gebiet. Über die Jahre habe ich mitbekommen, wie die Grenze immer dichter geworden ist. Und auch in meiner Arbeit als Grenzpolizist merkte ich, wie die Grenzsicherung seitens der DDR immer drastischer wurde. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass frühestens meine Enkel einmal die Grenzöffnung erleben werden. Ich habe nie für möglich gehalten, dass eines Tages die Grenze fällt.
Albert: Ein Beispiel: Im Bereich unserer Grenzpolizeistation ist einmal ein DDR-Soldat geflüchtet. Dieser hatte seinen Kollegen angeschossen und flüchtete. Wir mussten ihn dann festnehmen. Später wurde er in Bamberg vor dem Landgericht zu einer Gefängnisstrafe wegen versuchten Totschlags verurteilt. So etwas bleibt einem in Erinnerung, wenn Menschen so weit für die Flucht gehen. Es gab auch viele andere Erlebnisse, die einem teilweise sogar unwirklich vorkamen.

Albert: Am Tag der Grenzöffnung ist die Meldung zunächst an mir vorbeigegangen, weil ich keine Nachrichten geschaut hatte. Erst als ich am nächsten Tag vermehrt Trabbis auf den Straßen sah und Ostdeutsche beim Einkaufen traf, wurde mir die Situation bewusst. Der erste Weg führte dann in ein Nachbardorf, um das Geschehen hinter dem Eisernen Vorhang zu beobachten. Die Grenzöffnung war für mich völlig überwältigend. Das Gefühl war einfach sensationell. Es gab gigantische Feste, das kann man im Nachhinein gar nicht beschreiben. Diese Freude und Atmosphäre vergisst man seinen Lebtag nicht. Die Grenzeröffnung war nach der Geburt unserer drei Kinder das schönste Erlebnis in meinem Leben.
Albert: Für mich ist die Grenzöffnung heute noch ein Wunder. Es ist immer wieder etwas Besonderes für mich die ehemalige Grenze auf dem Weg nach Thüringen zu überqueren. Ich habe Vorträge über die Grenzgeschichte gehalten und Bücher über die Geschichte der Grenze geschrieben – Die Erinnerung ist mir ein Anliegen. Man sollte ein vereintes Deutschland nicht als selbstverständlich betrachten. So haben wir vom Verein für Heimatgeschichte im Grabfeld in Bad Königshofen in der Schranne ein sehenswertes Nachbarschaftsmuseum aufgebaut, das die Grenzgeschichte eindringlich schildert.
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Albert: Der Gedanke der Teilung ist teilweise immer noch zu spüren. Willy Brandt hat damals gesagt, es dauere zwei Generationen bis die Grenze auch gedanklich überwunden ist. Ich glaube, es wird noch länger dauern. Die Thüringer und Franken waren schon immer unterschiedlich in ihrer Mentalität und sind es immer noch. Das hat nichts mit Ost und West zu tun. Aber die Grenze hat unterschiedliche Entwicklungen noch verstärkt. Die Grenzregionen erinnern vor allem mit ihren alten Häusern und Kirchen immer noch an die vergangene Zeit. Diese werden vor allem auch in Thüringen aufwendig saniert. Auf dem Kolonnenweg entlang der Grenze sieht man heute viele Wanderer, so wird die Geschichte dort auch weitergegeben. Das Interesse für die Geschichte ist auf jeden Fall enorm.
Albert: Ich wünsche mir, dass es nie wieder zu einer deutschen Teilung kommt und die Politik an einem einheitlichen und demokratischen Denken festhält. Gerade die Generation, die die Teilung miterlebt hat, muss die Geschichte auch weiter an die nächsten Generationen geben. So etwas wie die deutsche Teilung darf nie wieder passieren. Es ist wichtig immer wieder daran zu erinnern.