In Gefängnissen und, fünf Monate lang, im Konzentrationslager Ravensbrück kämpfte die gläubige Christin ums Überleben – und darum, nicht wahnsinnig zu werden. Am 27. Januar 1945 kam, noch während der Haftzeit, Tochter Konstanze zur Welt. Das jüngste von fünf Kindern des Hitler-Attentäters lernte den Vater niemals kennen.
„So pathetisch es klingt, er ging bewusst den Weg eines Heldenlebens“, schrieb Nina von Stauffenberg über ihren Mann. Helden sind nur in schlechten Filmen einsame Kämpfer. In Wirklichkeit haben sie die Familie oder Freunde hinter sich. Stauffenberg-Tochter Konstanze, die seit ihrer Heirat von Schulthess heißt, ärgert sich, wenn – ob in Filmen, Büchern oder der Presse – die Beteiligung ihrer Mutter am Hitler-Attentat verniedlicht oder verschwiegen wird. „Sie war nicht die kleine Hausfrau, die von nichts eine Ahnung hatte. Sie war eine starke Persönlichkeit, die voll und ganz ihrem Mann den Rücken gestärkt hat“, sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung.
Die heute 63-Jährige hält Lesungen in Buchhandlungen und Veranstaltungssälen, jüngst war sie auch bei Hugendubel in Würzburg, stellt ihr Porträt der Mutter („Nina Gräfin von Stauffenberg“, Pendo-Verlag) vor, diskutiert mit dem Publikum, spricht mit der Presse, geht mit kultivierter Stimme an gegen „Projektionen, Mythen und historische Unwahrheiten“. Die Mutter habe von den Plänen ihres Mannes gewusst, erklärt sie, „sie war einverstanden mit dem, was er gemacht hat. Sie hat ihm bedingungslos vertraut“. So will die Autorin das Bild ihrer Mutter zurechtrücken.
Vom Widerstand im „Dritten Reich“ werde viel gesprochen, sagt sie, „aber von der großen Tapferkeit meiner Mutter und all der anderen Frauen der Widerständler fast nicht“. Die Mutter wie der Vater, „beide setzten ihr Leben aufs Spiel“. Nach dem gescheiterten Attentat vor den Nazi-Häschern zu fliehen, sei für Nina von Stauffenberg nie in Frage gekommen – obwohl sie zwei Tage Zeit gehabt hätte. Wohin auch mit vier Kindern? Ganz Europa lag im Krieg.
Mag das Erstlings-Buch der seit 1965 in der Schweiz lebenden Konstanze von Schulthess auch eine Porträt der Mutter sein, der Vater steht fast immer im Hintergrund. „Das ist klar: Ohne seine Geschichte wäre die Geschichte meiner Mutter nicht die, die sie ist.“ Im Leben der Familie, erzählt von Schulthess, sei der Vater auch nach seinem Tod präsent gewesen. Immer wieder fragte die kleine Konstanze die Mutter nach dem unbekannten Vater. Aber Claus Schenk Graf von Stauffenberg habe sie nicht als Figur der Zeitgeschichte interessiert oder als Held.
„In erster Linie hat er mich als Mensch, als Privatperson, als Papi interessiert. Seine Rolle beim Anschlag des 20. Juli habe ich mir erst später erlesen“, sagt sie und sucht kurz nach der richtigen Formulierung, um das Verhältnis der Familie zu Graf von Stauffenberg zu charakterisieren: „Es gab keinen ,Stauffenberg-Altar‘ im Haus. Aber er war präsent in Unterhaltungen, es ging darum, was der Papi gemocht und was er nicht gemocht hat. Das waren die Dinge, die mich interessiert haben, danach habe ich gefragt.“ Dass der Vater nun, von Tom Cruise dargestellt, zum Hollywood-Helden wird, hat voriges Jahr für Diskussionen in Deutschland gesorgt. Konstanze von Schulthess sieht das nicht zwangsweise negativ. „Ich warte ab, wie's wird. Wenn ich den Film gut finde, finde ich ihn gut. Wenn ich ihn schlecht finde, finde ich ihn schlecht.“
Konstanze von Schulthess erinnert sich an einen früheren Stauffenberg-Film, der die „Mutter als unzufriedene, nörgelnde Ehefrau im Hintergrund“ gezeigt habe. Das sei historisch falsch, das habe sie ebenso geärgert wie die Mutter, erzählt sie. Generell hat die Tochter des Hitler-Attentäters nichts gegen Verfilmungen der Ereignisse rund um den 20. Juli 1944. „Der Widerstand soll im Gedächtnis bleiben. Wenn er durch einen Film mit Tom Cruise auch im Ausland bekannter gemacht wird, ist das gut.“ Vielleicht könne der Film auch zeigen, „dass nicht alle Deutschen Nazis waren, dass es auch andere gab“. Ein Film mit dem Superstar könne zudem junge Leute mit dem Thema vertraut machen. Das möchte Konstanze von Schulthess auch mit ihrem Buch erreichen, möchte, wenn sie vom Mut ihres Vaters und ihrer Mutter berichtet, zu mehr Zivilcourage ermuntern.
Das Buch sei „vielleicht eine verspätete Liebeserklärung an die Mutter“, überlegt Konstanze von Schulthess, selbst Mutter von vier Kindern. Es ist aber auch ein Dokument vom Erfolg des Attentats auf Hitler – mag das zunächst auch gescheitert sein, mag es auch Tod und Leid über die Attentäter und ihre Familien gebracht haben. Fast 60 Jahre nach dem 20. Juli 1944 drängten sich 43 Mitglieder der von Hitler mit dem Tod bedrohten Familie Stauffenberg auf einem Foto. Sie hatten sich um Nina von Stauffenberg gruppiert, die ihren 90. Geburtstag feierte. Die Frau des Hitler-Attentäters starb 2006 im Alter von 92.