Der 38-jährige Marius Ciszak hat schon alles gesehen: Ausbrüche, Abplatzungen, Risse. Durch UV-Strahlung, Frost-Tauwechsel und Regen gealterte Straßen, aber natürlich auch ebene, standfeste und ermüdungsresistente Untergründe. In ganz Deutschland war der Straßengutachter, der ursprünglich einmal Archäologie studierte, schon auf Spurensuche. Kürzlich hat er Rhön-Grabfelds Kreisstraßen unter die Lupe genommen.
Fünf Tage lang fuhr der aus Polen stammende Mess-Ingenieur für das Erfurter Ingenieurbüro „Lehmann und Partner“ mit einem Spezial-Messfahrzeug namens „STIER“ 340 Kilometer kreuz und quer durch Rhön-Grabfeld. Der Landkreis hatte die Zustandsbewertung seiner Kreisstraßen in Auftrag gegeben.
Den Sanierungsbedarf ermitteln
Ziel des Unterfangens ist es, den Zustand der Fahrbahnen zu bestimmen und so letztlich den Sanierungsbedarf zu ermitteln. Denn je früher beispielsweise kleine Risse erkannt werden, umso einfach und kostengünstiger sei in der Regel die Reparatur.
Der fast eine Million Euro teure orange Spezial-Transporter der Firma, mit dem Ciszak durch den Landkreis kreuzte, ist mit jeder Menge Technik ausgestattet: Kameras, Blitzlichter, GPS-System und Laserscanner fotografierten, leuchteten und tasteten das Profil der Straßen ab. Was früher noch manuell, mit Block, Stift und Fotoapparat erledigt werden musste, ist inzwischen nahezu komplett automatisiert. Weshalb Ciszak die Messungen auch gut ohne weitere Kollegen vor Ort durchführen kann.
Solo-Arbeitsplatz im Transporter
Seine Hauptaufgabe ist es, den Transporter dem Routenplan entsprechend durch Rhön-Grabfelds Straßen zu steuern. Nebenbei muss er checken, ob alle System zuverlässig arbeiten und prüfen, ob die Kamera-Aufnahmen gut genug sind. Ob alles funktioniert – das kann der Spezialist am Monitor erkennen. Ein Rechner steht im Fond des Fahrzeuges, einen Monitor hat er am Fahrerplatz. Rote Balken warnen ihn vor Fehlfunktionen.
Langweilig werde ihm bei seiner Arbeit nie. „Ich komme viel rum.“ Unterschiedlichste Landstriche habe er schon vermessen, Nationalparke ebenso durchfahren wie militärisches Sperrgebiet. Nicht immer sind die Menschen erfreut, wenn sie seinen Hightech-Transporter sehen. Manch einer glaube, dass er Straßen und Grundstücke für Google durchleuchte. Ein Missverständnis, das sich meist schnell aufklären lasse.
Vom Leben auf der Straße
Abgesehen von derartigen Gesprächen. Nachfragen über seines kurioses Gefährt und den Sinn seiner Tätigkeit, seien es allerdings oft einsame Arbeitstage. Weshalb Ciszak durchaus eingesteht, dass so ein Leben auf der Straße nichts für immer ist. Eines fernen Tages wolle er sich einmal niederlassen. Derzeit allerdings passe der Beruf prima zu seinem anderen Herzensprojekt: Seiner Promotion in Politischer Wissenschaft, für die ihm glücklicherweise auf, neben und nach den Straßen genug Zeit bleibe.
Auch in Rhön-Grabfeld sinnierte er über das Politikverständnis in Polen, während sein „Stier“ Daten über die Kreisstraßen sammelte. Circa vier Terabyte Datenvolumen kamen in den fünf Mess-Tagen in Rhön-Grabfeld zusammen. Eigentlich wollte Ciszak in zwei, drei Tagen durch sein. Doch Regenschauer hatten ihm zwischenzeitlich einen Strich durch die Messung gemacht. Nasse Fahrbahnen können nämlich die Ergebnisse verfälschen. Letztlich blieb er also länger als geplant vor Ort. Gespeichert waren alle Daten zunächst auf den diversen Computern im Innenraum des „Stiers”.
Komplizierte Auswertung
Erst nach Abschluss des Projekts wurden die protokollierten Messungen am Firmensitz in Erfurt übertragen, die kommenden Monate werden sie dann von circa zehn bis 15 Mitarbeitern ausgewertet. Am Ende gehen die gesammelten Infos – Karten, Daten und Fotos – in das Eigentum des Landkreises über.
Ciszaks persönlich hat schon vorab eine Meinung zu Rhön-Grabfelds Kreisstraßen: „Die Qualität ist gut“, erklärt der polnische Ingenieur auf Englisch. Auch wenn er das Deutsche gut versteht, das Sprechen bereitet ihm mitunter noch Probleme.
So steht es um Rhön-Grabfelds Fahrbahnen
Was den Zustand von Rhön-Grabfelds Kreisstraßen angeht, hat er den Vergleich. Europaweit habe er bereits Straßen vermessen. Die bayerischen Straßen spielten, so findet er, ganz klar in der ersten Liga mit. Natürlich sei die Situation im Norden Bayerns nicht ganz so gut wie rund um München. Aber immer noch deutlich besser als im Norden Deutschlands, lautet die erste optimistische Einschätzung von Ciszak nach zwei Tagen Messung in Rhön-Grabfeld.
Was natürlich nicht heißt, dass es nicht hier und da im Landkreis bröckelt. Wo genau, das verrät dann am Ende das detaillierte Gutachten. Bis das vorliege, vergehen in der Regel sechs Monate, erklärt Kai Weltzien, Fachbereichsleiter Zustandserfassung und Bewertung bei „Lehmann und Partner“. Sollten sich neue Erkenntnisse ergeben, werden diese in die Prioritätenliste bezüglich der geplanten Baumaßnahmen einfließen, hat Rhön-Grabfelds Landrat Thomas Habermann schon angekündigt.