"Frau Scheler, störe ich gerade beim Bücher abstauben?" Das ist keine Frage, die man zurzeit an die Leiterin der Stadtbibliothek richten sollte. Unterstellt sie doch, dass Claudia Scheler in Zeiten des Lockdowns in Ermangelung anderer Aufgaben die Muse hätte, mit dem Staubwedel durch die Regalreihen zu streifen. Das Gegenteil ist der Fall. In der Stadtbibliothek ist gerade richtig viel zu tun.
Seit 25. Januar bietet die Stadtbibliothek Click & Collect an. Das Angebot wird sehr gut angenommen. Jeden Tag arbeiten Scheler und ihre Mitarbeiterinnen Listen mit Bücherbestellungen ab, die per Mail ankommen oder telefonisch durchgegeben werden, verpacken sie in durchsichtige Plastiktaschen und übergeben sie an die Kundschaft.
Jedes zurückkommende Buch muss zum Reinigen
Die Frage nach dem Abstauben ist in diesem Zusammenhang gar nicht so abwegig. Denn jedes Buch, das seit dem ersten Lockdown im März 2020 aus der Ausleihe zurückkommt, muss gereinigt werden. Allerdings nicht mit einem Staubwedel, sondern mit einem Tuch und Desinfektionsmittel. Danach kommt es für 72 Stunden in Quarantäne und darf erst dann wieder ausgegeben werden.
Was Claudia Scheler im ersten Lockdown beobachtet hat, gilt auch für den zweiten: Die Leselust ist in Corona-Zeiten ungebrochen und nimmt sogar noch zu. In einem Gespräch mit dieser Redaktion präsentierten sie und Christoph Neubauer, Geschäftsführer der Stadt Bad Neustadt, die Ausleihzahlen des vergangenen Jahres. Die Stadtbibliothek hat derzeit 2495 aktive Leser. 2020 kamen 301 dazu. 27000 Ausleihen hatte man vergangenes Jahr. Dazu kommen jeden Monat 575 Leser, die sich ihre Lektüre aus dem Portal "Franken-Onleihe" holen.
Kinderbücher waren der Renner
Am beliebtesten waren Kinderbücher, Romane und Zeitschriften. Und, nicht zu vergessen, die "Tonies". Das sind Tonträger, die besonders für kleine Kinder geeignet sind. Hörspiele, Bücher oder Musik werden aus dem Internet von Servern geladen und über Spielfiguren, die man Tonie nennt, aktiviert. Davon hat die Stadtbibliothek 173 - alle, die auf dem Markt sind.
Vor den beiden Lockdowns hatten sie und ihre Kolleginnen besonders viel zu tun. Die Leserinnen und Leser kamen in Scharen, um sich noch schnell mit Lektüre einzudecken. Richtig hart war der Tag nach dem ersten Lockdown. Da standen die Leser Schlange. Auf einen Schlag wurden 1500 Bücher zurückgegeben und ebenso viele neu ausgeliehen. An den folgenden Tagen es auch nicht viel anders. "Ich bin richtig stolz auf meine Mitarbeiterinnen", sagt Scheler. Zwei von ihnen hätten tagelang von 8 bis 18 Uhr ausschließlich Bücher geputzt.
Bibliothek als Treffpunkt
Und dennoch fehlt etwas. Stadtbibliothek, das ist mehr als nur Bücher ausleihen. Die Bibliothek ist in normalen Zeiten auch ein Treffpunkt und ein Ort, an dem Beratung stattfindet. Zum Beispiel für Schüler, die ein Referat schreiben und Hilfe bei der Auswahl der Fachliteratur brauchen. Manche Bücher gibt es nur per Fernleihe - und da sah es in den vergangenen Monaten ziemlich mau aus, berichtet Scheler. Viele Universitätsbibliotheken haben nichts mehr geliefert.
Auch als Treffpunkt ist die Stadtbibliothek nicht zu unterschätzen: Die bei den Kindern so beliebten Märchenstunden mussten ausfallen, Flohmärkte, Ausstellungen und Lesungen ebenfalls. Und dann gibt es noch die Menschen, die gerne für ein paar Stunden in die Leseecke der Bibliothek kommen, weil sie einerseits schmökern wollen und andererseits kein Geld haben für die Heizung daheim. Auch diese Besucher vermisst die Leiterin der Stadtbibliothek.
Ziel: Open Library
Die Corona-Pandemie mag das Team der Stadtbibliothek in seiner täglichen Arbeit ständig ausgebremst haben, untätig ist man nicht geblieben. Wie Christoph Neugebauer berichtet, haben Claudia Scheler und ihr Team in den vergangenen Monaten viel geleistet, um die Stadtbibliothek fit für die Zukunft zu machen: Der Bestand der Bücherei wurde inventarisiert und in Teilen digitalisiert. Damit werden die Voraussetzungen für eine "Open Library" (offene Bücherei) geschaffen.
Das Konzept der "Open Library" sieht vor, dass die Nutzer außerhalb der regulären Öffnungszeiten ohne Personal Zugang zur Bibliothek bekommen. Grundlage für die offene Bibliothek ist, dass Rückgabe und Ausleihe selbständig möglich sein müssen. Dafür müssen die Bücher selbst präpariert werden, es braucht Kartenlesegeräte und automatische Türen, die Bibliotheksnutzern Zugang gewähren.
Die offene Bücherei sei nicht nur ein modernes Angebot an die Leserschaft, es ermögliche längere Öffnungszeiten ohne steigende Personalkosten. Sie sei auch letztlich ein Angebot an Leser, die wegen ihrer Arbeitszeiten nicht die Möglichkeit haben, traditionelle Bibliotheken zu nutzen.