Am Donnerstagabend um 19 Uhr gehen in der Zentrale der Stadtbücherei im Falkenhaus die Lichter aus. Die Zweigstelle am Hubland ist um diese Zeit jedoch noch hell erleuchtet. Ein junges Paar mit Kind hält eine Karte vor einen Sensor, und die Eingangstür zum Hubland-Tower schwingt auf.
Über hundert Stunden in der Woche ist die Bücherei geöffnet, so lange wie keine andere Zweigstelle. Denn mit dem Büchereiausweis hat jeder Nutzer der Stadtbibliothek seinen eigenen Schlüssel zum Hubland-Tower, jeden Tag von sieben bis 22 Uhr.
Bücherei ist geöffnet, auch wenn kein Personal dort ist
Das Paar setzt den Sohn unter der Kuppel des weiß-gelben Fesselballons ab, der das Erdgeschoss prägt. Der Kleine krabbelt auf der weichen Matte im Korb des Ballons, während Mama und Papa sich in der neuen Bibliothek umschauen. Außer ihnen ist noch eine Gruppe Studenten da.
An diesem Abend ist kein Mitarbeiter der Bücherei dort, die Studenten und die junge Familie haben die Räume für sich. "Open Library" nennt sich das Konzept. Kann das gut gehen? Gelegenheit macht Diebe, sagt man, und die Bücherei ist aufwendig eingerichtet und ausgestattet mit 3D-Drucker, Spielkonsole, Virtual-Reality-Brille und etwa 8000 Medien. Die Bilanz von Eva Eichhorn, Leiterin der Zweigstelle im Tower, fällt nach rund sechs Monaten Betrieb jedoch positiv aus.
Das 360-Grad-Bild zeigt die Bücherei. Bewegen Sie ihr Smartphone oder ziehen Sie am PC mit der Maus im Bild, um sich umzusehen.
Gäste fühlen sich verantwortlich für die Bücherei
"Die Gäste fühlen sich geehrt, dass wir ihnen die Bücherei anvertrauen, und dieses Vertrauen wollen sie nicht ausnutzen", sagt sie. Die Leute hätten sich von Anfang an so verantwortlich für "ihre" Bücherei gefühlt, dass Eichhorn nach einem Tag ohne Personal schon mal Zettel auf dem Ausleihtresen gefunden hat mit Botschaften wie: "Es war ein bisschen unordentlich, deswegen haben wir aufgeräumt." Die Räume im Tower seien für einige Hubländer ein Ort der Identifikation geworden, so Eichhorn.
Das ist Teil des Konzepts: Die Bücherei versteht sich nicht nur als Ort zum Bücher leihen und lesen, sondern als soziales Zentrum für den Stadtteil. Die Studenten, die an diesem Abend dort sind, tragen dazu bei: Ihr Studiengang Mensch-Computer-Systeme arbeitet an einem digitalen Tool für die Bürgerbeteiligung im Stadtteil. Dafür haben die Studenten beim "Hubland-Treff", der regelmäßig in der Bücherei stattfindet, mit den Teilnehmern Ideen gesammelt, die sie nun auswerten.
Stadtteilbücherei versteht sich als zweites Zuhause
Im Erdgeschoss gibt es eine Küchenzeile, in der Besucher Kaffee kochen oder Essen aufwärmen können. Dienstags trifft sich hier eine Krabbelgruppe. Im Untergeschoss lädt ein großer Tisch zu Gruppenarbeiten ein, außerdem gibt es eine Gaming-Ecke mit Fernseher und Sitzsäcken. Anja Flicker, Leiterin der Stadtbücherei, erklärt: "Wir wollen den Leuten Zugang verschaffen zu Informationen und Technologien."
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Die Bücherei will ein "Dritter Ort" sein. Der Erste Ort im Leben eines Menschen ist sein Zuhause, der Zweite zum Beispiel sein Arbeitsplatz oder die Schule. "Am Dritten Ort sollen sich die Leute willkommen und zugehörig fühlen", so Anja Flicker. Eine Bücherei sei dafür besonders geeignet: "Ich muss mich nicht für einen Sportverein oder eine Religionsgemeinschaft entscheiden, um deren öffentlichen Räume zu nutzen. Die Bücherei steht allen offen."
Mitarbeiter sind das Gesicht der Stadtteil-Bücherei
Der Kontakt zwischen Besuchern und Mitarbeitern ist in der Hubland-Bücherei anders, als Eichhorn es etwa aus dem Falkenhaus kennt: "Hier fühle ich mich mehr in der Rolle eines Gastgebers, der Freunde empfängt." Dazu trägt auch das Raumkonzept bei: Es gibt zum Beispiel kein Büro für die Mitarbeiter. Stattdessen sind sie immer ansprechbar an dem runden Tresen am Eingang, der sich hoch- und runterfahren lässt. "So sind wir mehr auf Augenhöhe mit den Gästen", sagt Eichhorn.
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Die Bücherei-Besucher scheinen das zu schätzen. Auffällig nach den ersten sechs Monaten ist, dass die schwächsten Besuchstage die sind, an denen kein Personal da ist. "Wir haben den Eindruck, dass für die Leute dann das Gesicht der Bibliothek fehlt", so Flickers Interpretation.
Das 360-Grad-Bild zeigt die Leseecke der neuen Bücherei. Bewegen Sie ihr Smartphone oder ziehen Sie am PC mit der Maus im Bild, um sich umzusehen:
Lautstärke sorgt für Konflikte
Das neue Konzept hat auch seine Kinderkrankheiten. Auf einer Pinnwand können Besucher Kritik äußern: Ein Ort könne nicht Ruheoase, Raum der Begegnung und Kinderspielplatz gleichzeitig sein, schreibt dort jemand. "Das Konzept hinkt", pflichtet ein anderer anonymer Gast bei. Eva Eichhorn und ihr Team versuchen in diesen Fällen zu vermitteln. "Wir planen aber auch bauliche Veränderungen, mit denen Lärm weniger im ganzen Raum zu hören ist."
Eichhorn und Flicker sehen die Hubland-Bücherei als Labor. Langfristig wollen sie das Konzept der offenen Bücherei als Dritter Ort im Stadtteil auf alle Standtorte der Bücherei übertragen. Negative Erfahrung, etwa mit Vandalismus, haben sie noch keine gemacht. Das bestätigt auch die Studentengruppe, die für ihr Projekt regelmäßig bis spät abends im Tower ist: "Ich habe es hier noch nie chaotisch oder dreckig erlebt", so die Masterstudentin Anna Hohm.
Jeden Abend um 22 Uhr schaltet eine Zeitschaltuhr die Lichter aus, ein Wachmann kommt später um sicher zu gehen, dass niemand über Nacht eingeschlossen ist.
Nun testet das Team die Grenzen der offenen Tür aus: An Silvester bleibt das Gebäude ab 15 Uhr verschlossen. An Heiligabend aber steht die Stadtteilbücherei allen Hubländern offen.