"Mal etwas Neues ausprobieren" – das hatte sich Bürgermeister Michael Kraus vorgenommen, und die Corona-Zwangspause dazu genutzt, den Neujahrsempfang von Mellrichstadt mit einem geänderten Ablauf zu versehen. So ersetzte das Stadtoberhaupt das seit ewigen Zeiten gepflegte, stets gleiche Ritual von Rückblicken politischer Würdenträger der Region durch ein Podiumsgespräch von Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Bildung. Die Moderation in der Oskar-Herbig-Halle übernahm Main-Post-Redaktionsleiterin Julia Back.
Teilnehmer der Runde waren neben Kraus noch Landrat Thomas Habermann, Gymnasiums-Schulleiter Robert Jäger, Tobias Herzog (Vorstandsmitglied VR-Bank Main-Rhön), Überlandwerk-Geschäftsführer Joachim Schärtl und Carl-Christian Bittorf (Kreisvorsitzender des bayerischen Einzelhandelsverbands). Die Moderatorin forderte die Akteure eingangs zu Statements auf, wie sie die vergangenen zwei Jahre aus der Sicht ihres jeweiligen Tätigkeitsbereichs beurteilen.
Thomas Habermann: Jahr der Krisenstäbe
Schon nach den ersten Äußerungen wurde deutlich, dass in den beiden vergangenen Jahre eine Entwicklung stattfand, die durchaus positive Aspekte beinhaltet. Landrat Thomas Habermann umschrieb mit dem Begriff des "Jahres der Krisenstäbe" die erste Phase der Pandemie mit seinen gesamtgesellschaftlichen Auswirkung wohl am plakativsten. Das Jahr 2022 stellte dabei in vielen Bereichen eine langsame Rückkehr in die Normalität dar, die allein durch den Ukraine-Krieg erneut ins Wanken geraten sei.
Michael Kraus: Zeichen der Solidarität
In der Tragödie des Krieges haben viele Helferkreise ein starkes Zeichen der Solidarität gesetzt, fügte Michael Kraus an. Aus kommunalpolitischer Sicht markiere das abgelaufene Jahr mit dem Eingang der herbeigesehnten Förderbescheide für die Schwimmbadsanierung und den Bau des Spielplatzes an der Stadtmauer den Beginn zur Lösung von zwei mächtigen Problemen. Nun stehe die Stadt jedoch vor der gewaltigen Herausforderung der Umsetzung.
Joachim Schärtl: Wirtschaftlichkeit und soziale Gerechtigkeit
Die Verwerfungen auf dem Energiesektor konfrontierten Joachim Schärtl nach eigenen Worten mit einer Entwicklung, die ihm bisher noch nicht begegnet sei. Der Ausbau erneuerbarer Energien habe ein Tempo angenommen, das dem Stromnetz seine Grenzen aufzeige. Die Neuausrichtung müsse daher auch die Bereitschaft zur Finanzierung beinhalten, dabei sehe er aber noch Defizite. Das Überlandwerk versuche dagegen, in seiner Preisgestaltung die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialer Gerechtigkeit zu halten.
Tobias Herzog: Zurückhaltung bei Geldanlagen
Auch im Finanzsektor haben laut Tobias Herzog die beiden vergangenen Jahre erhebliche Auswirkungen hinterlassen. Zuletzt habe die Inflation die Kunden verunsichert und zur Zurückhaltung bei Geldanlagen geführt. Die Unternehmen haben sich zwar abgesichert, es wird sich aber bald zeigen, wie sich der Anstieg der Zinsen auf die Investitionsbereitschaft auswirkt.
Robert Jäger: Pandemie hat die Kinder verändert
Als einschneidendes Ereignis skizzierte auch Schulleiter Robert Jäger die Pandemie, relativierte allerdings kritische Aussagen über die Einschränkungen im Schulalltag. "Die Schüler sind besser damit klar gekommen, als vielfach behauptet". Allerdings habe die Pandemie die Kinder und Jugendlichen verändert. Nach der Senkung des Leistungsdrucks durch Wegfall von Prüfungen, falle Schülern die Rückkehr in die Normalität nun recht schwer.
Carl-Christian Bittorf: Die Kunden kehren zurück
Carl-Christian Bittorf sieht nach den Einbußen im Einzelhandel wieder Licht am Horizont. "Nach dem Boom im Online-Handel kehren die Kunden langsam wieder zurück". Allerdings seien nach Unterbrechung der Lieferketten nicht alle Artikel wie gewohnt sofort verfügbar. Noch sei etwas Geduld gefragt.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Sichtfelder zog sich ein Gesichtspunkt durch alle Wortmeldungen: Die Klage über einen ausufernden Regulierungswahn und eine überbordende Bürokratie bei gleichzeitigem zunehmenden Personalmangel. Da nimmt sich der Wunsch von Michael Kraus in seinem Schlusswort doch bescheiden aus, dass er sich für das Jahr 2023 Udo Lindenberg als Gast für das Stadtfest wünscht.