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Bad Neustadt
Obdachlos in Bad Neustadt: Seit über einem Jahr lebt ein Rentner in der verlassenen Tankstelle in der Stadt
Er hatte einst große Pläne mit der Tankstelle in Bad Neustadt. Heute ist sie sein Zuhause. Was macht der 67-Jährige jetzt ohne Wohnung im Winter?
Obdachlos in Bad Neustadt: Ein 67-jähriger Rentner sucht verzweifelt eine Wohnung. Nun steht wieder ein Winter vor der Tür.
Foto: Ines Renninger | Obdachlos in Bad Neustadt: Ein 67-jähriger Rentner sucht verzweifelt eine Wohnung. Nun steht wieder ein Winter vor der Tür.
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 27.11.2024 02:45 Uhr

Raureif in den Saaleauen, Nebelschwaden in der Schweinfurter Straße: Gespenstisch ruht an diesem Novembermorgen Bad Neustadts verlassene Tankstelle am südlichen Stadteingang. Es ist einer jener Tage, an denen Finger und Zehen nach kürzester Zeit unterkühlt sind.  

"Gleichzeitig leer – das ist böses Schicksal", Anton R. sitzt in Vorraum der früheren Tankstelle und wärmt sich an einem Heizstrahler. Der wird von einer Gasflasche gespeist, die er eben im Baumarkt neu hat auffüllen lassen. Eigentlich hat der 67-Jährige, der eigentlich anders heißt, eine zweite Gasflasche als Reserve. "Hat die Arbeit verweigert." Weshalb er frühmorgens als Erstes zu Obi musste. Die Nacht war kalt. 

Der 67-Jährige lebt von einer kleinen Rente und ist obdachlos

Anton R. ist bekannt in Bad Neustadt. Bekannter noch ist seine Bleibe. Anton R. ist obdachlos. Seit Mai 2023 lebt er phasenweise in der verlassenen Tankstelle in der Schweinfurter Straße. Der 67-Jährige bezieht eine kleine Rente von rund 700 Euro und sucht verzweifelt nach einer Mietwohnung. Auch ein gerichtlich bestellter Betreuer konnte ihm bislang nicht dazu verhelfen, sagt der Rentner. Das Angebot, vorübergehend im Heimathof Simonshof in Bastheim, Unterfrankens größter Einrichtung für Wohnsitzlose, unterzukommen, hat Anton R. ausgeschlagen. Nun steht sein zweiter Tankstellen-Winter vor der Tür.

Nicht gerade unauffällig: Zahlreiche Pendler und Bad Neustädter fahren täglich an der verlassenen Tankstelle vorbei.
Foto: René Ruprecht | Nicht gerade unauffällig: Zahlreiche Pendler und Bad Neustädter fahren täglich an der verlassenen Tankstelle vorbei.

Den Eingangsbereich seines Unterschlupfs hat Anton R. mit Planen abgespannt. Gestrüpp versperrt den Zugang. Unauffällig ist die Bleibe auf dem vernachlässigten Grundstück am Stadteingang nicht gerade: Zahlreiche Pendler und Bad Neustädter fahren täglich an der verlassenen Tankstelle vorbei.

Nachbar Nico Koch: "Ein äußerst netter Mensch, durch tragische Umstände obdachlos"

Wer lebt in der Tankstelle? Warum? Im Juni hatte diese Redaktion erstmals an den ramponierten Tankstellen-Eingang geklopft, lange mit Anton R. gesprochen. Doch seine Hoffnungen, durch die Veröffentlichung seiner Geschichte eine Wohnung zu finden, waren mindestens so groß wie seine Ängste vor anderen Folgen.

Ende Oktober machte Anton R.s Nachbar, Nico Koch, vom Wohnmobilverleih nebenan, das Schicksal des 67-Jährigen in den sozialen Medien öffentlich: In der "verlassenen Tankstelle" lebe "ein äußerst netter Mensch, welcher durch tragische Umstände obdachlos wurde" und der "seit langer Zeit eine Bleibe" suche, in der er wenigstens warm schlafen könne. Auf "das Amt" könne er sich leider nicht verlassen, da er "von Berater zu Berater weitergeschoben wird", schrieb Koch in seinem Post. 

"Keine menschenwürdigen Zustände": So lebt Anton R. in der Tankstelle

Nico Koch kennt R. seit über einem Jahr. Ab und an spendiert er ihm einen warmen Kaffee, gewährt ihm Internetzugang. "Es tut einem weh, das anzuschauen", sagt Koch gegenüber dieser Redaktion. In der kalten Jahreszeit seien das "keine menschenwürdigen Zustände", in denen R. lebe. Seit längerem begleitet er dessen Wohnungssuche: "Die Leute sehen das Äußere, einen Mann mit Sprachfehler, die sehen nicht den wahren Menschen. " Die Resonanz auf Kochs Veröffentlichung im Internet war enorm.  Eine Lösung fand sich nicht. Anton R. selbst sagt jetzt: "Man muss die Sache in die Zeitung bringen." 

Die Redaktion trifft ihn erneut, am nasskalten Novembermorgen. Anton R. lädt ins provisorische Zuhause. Handwerklich nicht ungeschickt hat er die Innenwände mit Styropor gedämmt.  Läuft der Heizstrahler, wird's erträglich. Warm, muffig, ein großes Durcheinander. Im Vorraum Kleider, die an einer Leine baumeln, Gegenstände des täglichen Bedarfs, Lebensmittel, Abfall, alles auf engstem Raum.

'Besser als unter der Brücke', immerhin habe er in der verlassenen Tankstelle ein Dach über dem Kopf, sagt der obdachlose Rentner.
Foto: René Ruprecht | "Besser als unter der Brücke", immerhin habe er in der verlassenen Tankstelle ein Dach über dem Kopf, sagt der obdachlose Rentner.

Er nutze die Toilette am Busbahnhof und fülle regelmäßig dort seine Wasserkanister auf, sagt der 67-Jährige. Zum Duschen besuche er das Triamare. Strom bezieht er vom Nachbarn, indem er dort eine Autobatterie lädt. Im früheren Leben war er Elektrotechniker oder Lagerist oder beides, ganz klar wird das aus seinen Erzählungen nicht. 

Was Anton R. über sein Leben preisgibt

Ein chronologischer Lebenslauf ist nicht seins. Anton R. gewährt nur punktuell Einblicke, lässt Leerstellen, bügelt Widersprüche nicht glatt. In "Ostpreußen geboren", sei er 1988 nach Rhön-Grabfeld gekommen. Verheiratet sei er gewesen, drei Kinder habe er, der Kontakt sei abgebrochen.  "Zu besseren Zeiten" habe er die Tankstelle pachten wollen. Es ergab sich offenbar nicht. 

Vor über zehn Jahren brannte sein Haus ab. Danach sei das Leben nie mehr gewesen, was es war. Im Mai 2023, er lebte wieder einmal auf der Straße, erinnerte sich Anton R. an die Tankstelle. Die Besitzerin habe er in all den Monaten, die er dort campierte, nie persönlich angetroffen. Auch diese Redaktion hat die Eigentümerin im Zuge der Recherche nicht erreicht.

Das sagt die Stadt Bad Neustadt zur Situation 

Die Stadt Bad Neustadt habe Interesse an der Entwicklung des Tankstellen-Grundstücks, teilt der städtische Geschäftsleiter, Maximilian Pfister, auf Anfrage mit. Doch seitens der Eigentümerin gebe es "kein Gesprächsinteresse".

'Privatgrundstück. Befahren, Aufenthalt verboten', steht auf einem der Tankstellenpfeiler. Wer das dorthin geschrieben hat, ist unklar. 
Foto: René Ruprecht | "Privatgrundstück. Befahren, Aufenthalt verboten", steht auf einem der Tankstellenpfeiler. Wer das dorthin geschrieben hat, ist unklar. 

Hunderte Wohnungen im Umkreis von 30 Kilometern habe er in den vergangenen Monaten besichtigt, erzählt Anton R.. Vergebens. Enttäuscht von Behörden, allein gelassen von der Gesellschaft – so fühlt er sich. Zurecht? 

Personen, denen Obdachlosigkeit drohe, werde eine Notunterkunft angeboten, erläutert Maximilian Pfister. Bei Anton R. sei das auch der Fall gewesen. Zwischenzeitlich, das bestätigt der Rentner, lebte er in den Wohncontainern in der Saalestraße. "Dieses Angebot hat er nach längerer Abwesenheit nicht mehr in Anspruch genommen", erklärt der Geschäftsleiter der Stadt. Im Frühjahr 2023 habe R. die Unterkunft verlassen und sich in anderen Kommunen aufgehalten.

"Ich war zu Weihnachten nach Osten gefahren, um meine Eltern zu besuchen", ist R.s Version. Als er im Januar wiedergekommen sei, habe er seine Sachen "ausquartiert"gefunden.  

Auch ein gerichtlich bestellter Betreuer konnte Anton R. bislang nicht vermitteln

Anton R. hat einen gerichtlich bestellten Betreuer. Den bekommen Menschen zur Seite gestellt, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht selbstständig regeln können. Wie beurteilt dieser Mann die Situation?  Anton R. wünscht sich, dass er mit dieser Redaktion spricht, der Betreuer will jedoch nicht zitiert werden.

Die verlassene Tankstelle in Bad Neustadt bietet einem obdachlosen Mann Unterschlupf. Lange hat er gezögert, seine Geschichte öffentlich zu machen.  
Foto: Ines Renninger | Die verlassene Tankstelle in Bad Neustadt bietet einem obdachlosen Mann Unterschlupf. Lange hat er gezögert, seine Geschichte öffentlich zu machen.  

Aus Anton Rs. Erzählung wird klar: Erst jüngst hatte der Betreuer versucht, den 67-Jährigen an eine Wohnungsgesellschaft in Bad Neustadt zu vermitteln. Am Ende scheiterte die Mietvertragsunterzeichnung an einem Schufa-Eintrag, so R. 

Warum sich Anton R. gegen den Simonshof in Bastheim entschied

Zur Wahrheit gehört auch: Im Spätsommer hatte Anton R. einen Besichtigungstermin im Heimathof Simonshof in Bastheim. Dort hätte der Rentner offenbar unterkommen können. "Ich wollte nicht!", erklärt er. Seine Begründung klingt drastisch: "Ich lebe. Wenn ich im Simonshof lande, bin ich tot."

Für die Aufnahme im Simonshof muss ein Sozialhilfeantrag gestellt und dafür im Vorfeld die individuelle finanzielle Situation offengelegt werden, erklärt Einrichtungsleiter Stefan Gerhard. Zum konkreten Fall möchte er sich nicht äußern. Generell seien die Regeln im Simonshof überschaubar: keine Drogen, keine harten Alkoholika, keine Gewalt. Auch Urlaub sei möglich – wenn zuvor ein entsprechender Antrag gestellt werde.

Das Gesetz sichert größtmögliche Selbstbestimmung zu

Wunsch und Wille einer betreuten Person muss im Vordergrund jeden Betreuerhandelns stehen, das besagt das seit Januar 2023 reformierte Betreuungsrecht. Es sichert betreuten Menschen größtmögliche Selbstbestimmung zu.

"Einfach Miete zahlen und keine Verpflichtungen haben" ist, was Anton R. sich wünscht. Vorerst lebt er weiter in der Tankstelle: "Besser als unter der Brücke."

 
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Kommentare
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  • Hubertus Kiesel
    Ich kann die Befindlichkeiten von Herrn R. nicht nachvollziehen. Zumindest bis er eine Wohnung gefunden hat könnte er nach Simonshof ziehen.
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  • Jutta Nöther
    Sie haben das nicht verstanden. Der Mann möchte sich noch ein letztes bisschen Würde bewahren, und der Simonshof ist für ihn einfach ganz einfach ganz unten. Ob das jetzt der Realität entspricht oder nicht - für ihn ist das so.
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  • Hubertus Kiesel
    Dann schauen Sie sich bitte bei einem Tag der offenen Tür einmal die Wohnungen an.
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  • Helmut Vierneusel
    @ Hubertus Kiesel
    Nun, wenn ich den Bericht richtig verstanden habe, geht es diesen Herrn darum, daß er sich seine persönliche Freiheit soweit wie möglich erhalten kann.
    Das er nicht einen „Urlaubsantrag“ für etwaigen Besuch von Angehörigen etc. stellen muß und Ihm kein bestellter Betreuer größtenteils hinein redet.
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