Nach 44 Jahren darf sich auch ein Daimler Benz 911 eine kleine Schwachstelle erlauben. Eine Roststelle an der linken Seite, die schnell ausgebessert und neu verspachtelt sein wird. 44 Jahre gehen nun einmal nicht spurlos vorüber, auch an einem legendären Lkw-Modell der deutschen Qualitätsschmiede Mercedes nicht. Ansonsten: Die Front mit den kugelrunden Scheinwerfern lacht den Betrachter freundlich an. Der gelbe Aufkleber "Oldtimer" vorne rechts an der Stoßstange zeigt, dass man das Älterwerden auch mit Humor nehmen kann. Das Tannengrün der Lackierung hat noch Glanz. Die Silberdisteln als Symbol des Naturparks strahlen an den Türen.
Die Augen von Friedrich Heß glänzen nicht minder beim Anblick der historischen Lkw-Persönlichkeit. Seit 1995 steht der Lkw in Diensten des Naturparks. Bis zu seiner Pensionierung 1999 hat ihn Friedrich Heß gefahren. Zusammen haben sie den Naturpark Rhön gestaltet, Spielplätze gebaut, Wege hergerichtet oder Bohlen für den Moorsteg in die Lange Rhön gekarrt, damit Bewohner wie Gäste ihre Freizeit genießen können in dieser einzigartigen Natur.
Ein Schnäppchen vom Bundesgrenzschutz
"Den Mercedes habe ich persönlich in Oerlenbach abgeholt", erinnert sich Friedrich Heß, der vor einigen Tagen erst seinen 80. Geburtstag feierte und mit seiner Frau Heidi in Stetten wohnt. Er durfte das Wunschfahrzeug selbst auswählen. "Ich habe einen Bocksbeutel mitgebracht, das Geschäft war schnell perfekt", schmunzelt Heß. Der Naturpark, vom Landkreis getragen, war stets auf Sparsamkeit bedacht. "Die Lkw waren abgeschrieben und damit praktisch ein Schnäppchen", erzählt Heß. Als der Lkw 911 zum Naturpark kam, war er schon beinahe 20 Jahre alt. Mit Baujahr 1977 ist er gerade einmal zehn Jahre jünger als der Naturpark Bayerische Rhön selbst.
Friedrich Heß kennt die Anfänge des Naturparks. Nach einigen Jahren als Straßenwärter beim Kreisbauhof wechselte er Ende der Siebzigerjahre zum Naturpark. Das war ein Zwei-Mann-Betrieb. Dazu kamen in jedem Jahr zehn ABM-Kräfte, die Abkürzung stand für Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme. Fritz Amthor und Josef Reder waren damals die Männer der ersten Stunde. Zum Einsatz kam in den Anfangsjahren ein Hanomag-Fahrzeug. Für den Naturpark arbeitete Heß von März bis Dezember, dazwischen wurde er im Winterdienst eingeplant.
Spaß in der Loipe
Der Daimler-Lkw hatte seinen Einsatzort zwischen Bad Neustadt und der Hochrhön. "Damit fuhren wir die Wanderwege ab, setzten sie instand, das Gleiche galt für die Radwege", erzählt Friedrich Heß. Eine Luxuslimousine war der Daimler 911 keineswegs. Er hat zum Beispiel keine Doppelkabine. Drei Mann passten auf die Sitzreihe, der Rest musste auf der Pritsche vorlieb nehmen, wenn ein Großeinsatz angesagt war.
Ein Thema, für das sich auch Friedrich Heß einsetzte, war die verlässliche Loipenpräparierung in der Rhön. "Am Anfang hatte die Bergwacht in Bischofsheim sporadisch die Loipen gespurt. Wir wollten das fest geregelt haben und übernahmen das Spurgerät", erzählt das Naturpark-Urgestein aus Stetten. Heute sind für einheimische Wintersportler und Rhön-Gäste gespurte Loipen praktisch eine Selbstverständlichkeit.
Auf den Daimler war immer Verlass
Auf den 911-er Lkw lässt Friedrich Heß nichts kommen. Und auch sein Nachfolger Thomas Städtler hat erfahren, wie zuverlässig die Allrad-Arbeitsmaschine ist. "Dafür bekommt man noch nach 50 Jahren Ersatzteile, denn die Fahrzeuge sind in der Dritten Welt noch im Einsatz", sagt Friedrich Heß. Und in der Sammlerszene komme man immer an das eine oder andere Verschleißteil.
"Der Laster ist nie stehen geblieben, aber wir sind schon mal stecken geblieben", lacht der langjährige Naturpark-Vorarbeiter Heß. Zum Beispiel an der Schornhecke Richtung Schwarzes Moor, als man an einem Wanderweg gearbeitet habe. "Mit Brettern, Hölzern und Stecken haben wir es geschafft, den Lkw aus dem Morast zu befreien", erinnert sich der Mann. Auch als Rentner ist sein Wissen um den Daimler begehrt. "Mir freeche mal den Friedrich", hieß es auch in den letzten Jahren, wenn der 911-er Zicken machte.
Hunderte Bohlen für das Schwarze Moor
Der Lkw-Oldtimer hat sich auch um das Schwarze Moor verdient gemacht, einem der touristischen Hotspots der Rhön mit tausenden Besuchern in jedem Jahr. "Die ganzen Bohlen für den Weg durch das Moor haben wir mit dem Mercedes nach oben gebracht", weiß Friedrich Heß. Auf der Pritsche gab es viel Platz, auf der anderen Seite wurden auch mal Gerätschaften durcheinander gewirbelt, wenn es über holprige Wege ging. Im letzten Jahr wurde begonnen, die Bohlenwege am Schwarzen Moor zu erneuern, heuer sollen die Arbeiten abgeschlossen werden. "Das ist dann die dritte Erneuerung der Wanderwege im Schwarzen Moor", weiß Heß.
Über 20 Jahre hat Friedrich Heß für den Naturpark gearbeitet und dabei die eine oder andere "Mode" kommen und gehen sehen. "Unser Lkw hat in den Anfangsjahren immer wieder Teile von Waldspielplätzen transportiert, die waren einmal sehr beliebt", weiß Heß. Mittlerweile unterhält der Naturpark keinen solchen Spielplatz mehr. Die Zeit der Trimm-Dich-Pfade, die von Mitarbeitern des Naturparks in Schuss gehalten wurden, ist vorbei. Und auch das Kreiskrankenhaus gibt es nicht mehr, wo für den Bau einer Mauer das Naturpark-Gefährt ebenfalls gute Dienste leistete.
Was es auch nicht mehr gibt: Schon vor Jahren wurden die Mülleimer zum Beispiel an Wanderparkplätzen abgeschafft. "Die haben wir früher einmal die Woche angefahren und auf den Pritschen-Lkw geleert. Dann hat man auch gesehen, wo etwas zu reparieren war. Als die Abfallbehälter abmontiert wurden, mussten wir schauen, dass niemand illegal seinen Müll entsorgt hat", erzählt Ex-Vorarbeiter Heß. Dafür sind zum Beispiel Mountainbike-Wege hauptsächlich in der oberen Rhön hinzugekommen, um die sich der Naturpark kümmert. So wandelte sich das Bild des Naturparks im Laufe der Jahrzehnte.
Eine Frage der Wirtschaftlichkeit
Die Aufgaben des Naturparks sind vielfältiger geworden. Mittlerweile sind im neuen Bauhof des Naturparks, der Ende Oktober 2020 eingeweiht wurde, sieben hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt. Kosteneffizienz ist auch hier ein Thema. Deshalb passt ein Diesel-Lkw aus dem Baujahr 1977 nicht mehr recht ins Bild. "Mit 90 PS ist er eigentlich schwach motorisiert, für die Strecken zwischen Bad Neustadt und der Hochrhön ist er eigentlich zu langsam", sagt Thomas Städtler. Der Benzinverbrauch ist ebenfalls nicht mehr zeitgemäß. Zwischengas und eine fehlende Servolenkung sind weitere Gründe, dass für den Daimler 911 im Nordheimer Naturpark-Bauhof die Zeit des Abschieds gekommen ist. Ein neuer Iveco-Lkw ist bereits bestellt. Der Aufbau des Fahrzeugs entspricht genau den Anforderungen der Naturpark-Bautruppe. Und er ist zeitgemäß mit einer Doppelkabine ausgestattet, damit für alle Mann auch Platz ist.
Friedrich Heß und seine Lieblingsorte
Um die 15 000 Kilometer wurde der Daimler Lkw in jedem Jahr bewegt, um den Naturpark Bayerische Rhön in Schuss zu halten. "Ein wirklicher Lieblingsplatz war da nicht dabei, aber zum Beispiel die Kalte Buche oberhalb von Weisbach habe ich gerne aufgesucht", erzählt Friedrich Heß. Bis heute liebt der 80-Jährige Spaziergänge in der Rhön. Wenn am kommenden Mittwoch die Bieterfrist abläuft, ist eines klar. "Nein, beworben habe ich mich nicht", lächelt Heß. Ihm genügen die Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre mit dem tannengrünen Daimler im und für den Naturpark. An den 230 000 Kilometern Naturpark-Geschichte auf vier Rädern mit Allrad-Getriebe sollen sich andere erfreuen.
lange.