
Der Impfstart gegen das Coronavirus ist hierzulande im Schneckentempo angelaufen. In den letzten Wochen geht es nun schneller vorwärts: Seit 6. April wird auch flächendeckend bei den Hausärzten geimpft. In der Praxis von Ute Schloe, Fachärztin für Innere Medizin und Hausärztin in Mellrichstadt, steht das Telefon derzeit nicht still. Die Nachfrage nach Impfungen bei ihren Patienten ist immens – im Gegensatz zu den Mengen an Impfstoff, die in den Hausarzt-Praxen ankommen. Sie können den Bedarf derzeit noch nicht decken. Und doch ist jede Woche, in der Ute Schloe mitimpft, ein Erfolg, ein Schritt weiter auf dem Weg zur Normalität. Dafür nimmt sie auch die Doppelbelastung neben dem Praxisalltag in Kauf. Und zeigt sich energisch: "Wir müssen jetzt anpacken, damit bei der Pandemiebekämpfung endlich etwas vorwärts geht."
In ihrer Praxis gab es in der ersten Woche der Impfkampagne gleich eine freudige Überraschung: Statt der zugesagten 48 Dosen Impfstoff wurden 60 geliefert. Hochmotiviert ging das ganze Praxisteam an die Arbeit, obgleich bei einigen Mitarbeiterinnen dadurch der geplante Urlaub ausfallen musste. Auch bei Ute Schloe. Impfen hat jetzt definitiv Priorität: "Wir wollen alle mithelfen, um den Corona-Impfschutz an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen." Bei den Patienten, die in der Praxis die ersehnte Spritze erhalten, fließen dann auch schon mal Freudentränen.
Der Umgang mit dem Impfstoff erfordert Fingerspitzengefühl
Der Umgang mit dem Impfstoff, insbesondere dem Vakzin von Biontech/Pfizer, erfordert Fingerspitzengefühl, sagt die Internistin. "Den muss man wie ein rohes Ei behandeln." Nach mittlerweile über 150 Impfungen in drei Wochen hat sie ein Gespür für die Aufbereitung des Impfstoffs entwickelt – ein Grund, warum sie derzeit die einzige von vier Ärzten in der Praxis ist, die Spritzen verabreicht. Die meisten Patienten wollen mit Biontech geimpft werden, verrät sie, doch einige Patienten, die laut Priorisierung noch auf den Impftermin warten müssen, lassen sich auch für Astrazeneca vormerken.
Die Listen mit Impfwilligen in der Praxis werden von Tag zu Tag länger. Viele Patienten hoffen, beim Hausarzt schneller zum Zug zu kommen als im Impfzentrum. Doch solange der Impfstoff noch so knapp ist, gilt auch für die Hausärzte eine festgelegte Reihenfolge. Natürlich gibt es insoweit Spielraum, dass Ute Schloe entscheiden kann, dass ein 65-jähriger Patient mit einer schweren Erkrankung vor einem gesunden 70-Jährigen geimpft wird. Insbesondere Tumorpatienten hat sie dabei im Fokus.
Listen für Impfungen: Der Biontech-Stapel ist am höchsten
Um den Überblick über all die Impfwilligen zu behalten, führt die Ärztin eine Vielzahl von Listen, die täglich ergänzt und aktualisiert werden müssen – eine logistische Meisterleistung, die analog erfolgt, weil es kein Computerprogramm gibt, das auf Knopfdruck die erforderlichen Daten zur Priorisierung ausspuckt. Je nachdem, wie viele Dosen und welche Impfstoffe in der Praxis eintreffen, werden Patienten zur Impfung eingeteilt und telefonisch informiert. Dazu wird eine Liste mit Ersatzleuten erstellt, die einspringen können, wenn ein Impftermin kurzfristig abgesagt wird. Ein Fläschchen Biontech, aus dem sechs Einzeldosen gewonnen werden, muss nach Anbruch innerhalb von sechs Stunden verimpft werden. Entsprechend müssen die Termine gut koordiniert werden. "Eine Mitarbeiterin ist derzeit ausschließlich damit beschäftigt, Patienten anzurufen", beschreibt Ute Schloe das Procedere.
Verschiedene Papierstapel machen den logistischen Aufwand sichtbar. Um den Andrang auf die Impflisten zu verdeutlichen: Rund 30 Seiten füllen zurzeit allein die Namen der 74- bis 71-Jährigen, die sich in der Praxis impfen lassen möchten. Dazu kommen noch persönliche Vorlieben, die geäußert werden. "Am höchsten ist der Stapel für Biontech", sagt die Internistin. Daneben gibt es eine Liste für Patienten, die sich mit Astrazeneca impfen lassen wollen, in der Hoffnung, dann früher an die Reihe zu kommen, und auch eine Sputnik-V-Liste, obwohl der russische Impfstoff in der EU bislang noch gar nicht zugelassen ist.
Impfen mit Astrazeneca: Viele Patienten sind verunsichert
Sie hofft darauf, dass in nächster Zeit größere Mengen Impfstoff bei den Hausärzten eintreffen. Derzeit werden nur die Vakzine von Biontech und Astrazeneca geliefert. Letzteren lehnen viele Patienten aus Angst vor Thrombosen ab. Das heiße aber nicht, dass er schlecht sei. "Das Hin und Her der Politik im Umgang mit Astrazeneca hat die Patienten sehr verunsichert", kritisiert die Ärztin. Sie hätte sich eine Werbekampagne auch in den Medien gewünscht, die Bedenken zerstreut statt neue schafft. "Denn viele Menschen entscheiden sich sehr emotional, aus dem Bauch heraus, für einen Impfstoff", weiß sie aus vielen Gesprächen.
In der Regel sind die Patienten, die zum Impfen kommen, gut informiert, sagt Ute Schloe. Rückfragen gibt es wenige, Hauptsache, die Spritze kommt endlich in den Arm. Die Patienten verlassen sich dabei auf das Urteil ihrer Ärztin, die den individuellen Gesundheitszustand ihrer Patienten genau kennt. Hier spielt das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Hausärzten und ihren Patienten eine große Rolle. Und Ute Schloe freut sich, wenn die Patienten mit einem guten Gefühl und neuer Zuversicht ihre Praxis verlassen.
Normaler Praxisbetrieb und gleichzeitig Impfen ist nicht zu stemmen
Die Impfkampagne wirkt sich natürlich auf den ganzen Praxisablauf aus. Die gewohnten Sprechzeiten mussten reduziert werden, da ein Team komplett mit Impfen beschäftigt ist. Ausgeklügelte Dienstpläne sind vonnöten, um Sprechstunden, Hausbesuche und Impfungen zu meistern. "Doch für einen normalen Praxisablauf mit parallel verlaufenden Impfungen reichen die Ressourcen nicht aus", macht sie deutlich. Donnerstags und Freitags ist Ute Schloe ausschließlich mit Impfen beschäftigt, während die Kollegen die Sprechstunden übernehmen.
Zudem investiert die Ärztin noch jeden Abend ein bis zwei Stunden in die Recherche auf den Online-Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung und des Robert Koch-Instituts, um sich über die neuesten Empfehlungen und Vorgaben zu informieren. Freie Zeit bleibt da nicht übrig. "Man kommt an seine Grenzen – körperlich und mental", sagt sie. Dennoch krempelt sie Tag für Tag aufs neue die Ärmel hoch: "Damit wir bei der Impfkampagne endlich vorankommen!"
Die Pandemiebekämpfung hat absoluten Vorrang
Wenn mehr Impfstoff eintrifft, will die Ärztin auch samstags impfen. Bis zu 200 Dosen kann das Praxisteam in einer Woche verabreichen, das lässt sich stemmen. Dann will sich Ute Schloe auch mit den Kollegen beim Impfen abwechseln, um die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen.
Für diese Woche hat die Praxis über 150 Dosen Impfstoff bestellt. Ob sie die auch bekommt, weiß die Ärztin noch nicht. "Lassen wir uns überraschen – wir sind ja mittlerweile für alle Eventualitäten erprobt und sehr flexibel", sagt Ute Schloe mit feiner Ironie. Es geht nun darum, den Corona-Impfschutz so schnell wie möglich an viele Menschen zu bringen, gibt sie als Ziel aus. "Die Pandemiebekämpfung und die Rückkehr zur Normalität haben bei uns absoluten Vorrang."