Jan Ulrich wurde Tour-de-France-Sieger in Paris, Boris Becker zwickte die Wade in Stuttgart. Und in Nürnberg fing sich die DJK Waldberg in der DFB-Pokal-Hauptrunde 16 Treffer ein vom FC Bayern München. Die Sport-Schlagzeilen vom Sommer 1997 hallen allenfalls noch bei Sporthistorikern nach. Und in der Rhön.
Im Nürnberger Frankenstadion erlebten 35 000 Zuschauer am 15. August vor 23 Jahren das Rhöner "Jahrhundert-Spiel". Der damalige Landesliga-Klub vom Dorf am Fuße des Kreuzbergs hatte den amtierenden Deutschen Fußballmeister FC Bayern München als Gegner zugelost bekommen - ein Sechser im Lotto.
Euphorie über das Glückslos
Wobei, ob das wirklich ein Lotto-Gewinn war, darüber gehen die Meinungen in der Rückschau auseinander. Auch bei Wilhelm Söder. Damals war der Technische Zeichner aus Waldberg 47 Jahre alt, stand mitten im Leben - und das fand hauptsächlich auf und neben dem Fußballplatz statt. "Anfangs war die Euphorie über dieses Glückslos natürlich groß bei uns DJKlern, im Dorf und in der ganzen Rhön", erinnert sich der damalige Fußball-Abteilungsleiter der DJK. "Danach aber hat es auch für einigen Ärger gesorgt."
Rückblick: 29. Juni 1997, Köln, WDR-Studio. In der Sportschau läuft die Ziehung der ersten Pokalhauptrunde. Als 14. Paarung wird der DJK Waldberg der FC Bayern München zugelost. Die Kamera schwenkt in die Zuschauerränge. Sie fokussiert den damaligen DJK-Vorsitzenden Eddi Arnold mit seinem Abteilungsleiter Wilhelm Söder, Hauptkassier Volker Zehe und Mannschaftskapitän Alfons Arnold. Sie jubeln, umarmen sich. In der Reihe dahinter ist der erst kürzlich gestorbene Schorsch Volkert zu sehen. Der gebürtige Franke und Vertreter des HSV gratuliert den Rhönern zu diesem Traum-Los. Daheim In Waldberg läuten derweil die Kirchen-Glocken. Pfarrer Alois Schlör verbreitet damit am Abend die frohe Kunde rund um den Kreuzberg.
Tags darauf im BR-Studio in München: Vorsitzender Eddi Arnold packt sich den Pokal und posiert profihaft mit der Trophäe. "Den kann keiner mehr stoppen", gibt DJK-Spielertrainer Werner Dreßel daheim in der Rhön zu Protokoll. Eine Erkältung hat den gebürtigen Schweinfurter ans Bett gefesselt, eigentlich hätte er als ehemaliger Profi und Fußball-Promi bei den TV-Terminen dabei sein sollen.
Und Dreßel, der beim 1. FCN und beim HSV gekickt hatte, sollte recht behalten. Schon auf der Heimfahrt aus Köln ist Eddi Arnolds Marketing-Maschinerie angelaufen. Sein Plan: Dieses Top-Spiel muss in ein großes Stadion. Er hat sich - schon vor der Auslosung! - die Arenen in Nürnberg, Fulda und Würzburg freihalten lassen. Vorsorglich. "In Schweinfurt", das weiß er, "geht's nicht, da finden die süddeutschen Leichtathletikmeisterschaften statt."
10 000 Karten im Nu weg
Und die Nachfrage nach Karten zu diesem Top-Spiel ist enorm. Nach Bekanntwerden gehen an die Tausend Anrufe ein - täglich. Da braucht es ISDN-Telefonie für die schleunigst eingerichtete DJK-Geschäftsstelle in Arnolds Kachelofen-Betrieb, ein schlagkräftiges Organisations-Team und viel Zeit. 10 000 Karten sind im Nu weg.
Von Null auf Hundert ist der "Kachel-Eddi", wie er damals in der Rhön gerne genannt wird, zum Sport-Vermarkter geworden. Er tritt mit DJK-Spieler Danny Metz in der Kult-Sendung Blickpunkt Sport bei Gerd Rubenbauer auf. Sonderzüge aus der Rhön zum auserkorenen Spielort nach Nürnberg werden organisiert, eine Musik-CD wird eingespielt, Rhön-Diesel und diverse Fan-Devotionalien werden auf den Markt gebracht - Arnolds Werbezug rollt unaufhaltsam.
TV-Team stoppt Bulldog-Fahrer
Und das Ereignis bringt etliche Journalisten in das 680-Einwohner-Dorf. Kamerateams, Zeitungs- und Hörfunk-Reporter überschwemmen Waldberg. "Ich bin damals mit meinem alten Bulldog zum Dreschen aufs Feld gefahren", erinnert sich Wilhelm Söder, "und wurde gestoppt für Fernseh-Bilder!" Der Grund: der große FCB-Aufkleber auf Söders grünem Traktor. Er prangt dort bis heute. Dem Hype um das Jahrhundert-Spiel kann sich keiner entziehen.
"Eddi hätte damals vielleicht etwas offener auf die Bayern zugehen sollen, anstatt das Ganze allein zu machen", blickt Söder zurück und kommt auf den Ärger ums Geld zu sprechen. Denn Eddi Arnold hatte nicht nur das komplette Nürnberger Stadion gemietet, sondern auch die Flächen davor. Die nutzen in der Bundesliga sonst Gastgeber und Gastverein gerne gemeinsam, um Fanartikel zu verkaufen. An diesem Maria-Himmelfahrts-Tag 1997 aber dürfen die Bayern ihre Schals und Trikots nur mit Kachel-Eddis Erlaubnis vermarkten - und nicht gratis. Den großen Uli Hoeneß soll das auf die Palme gebracht haben. Gut unterrichtete Journalisten aus München wollten gar aus Hoeneß' Mund gehört haben, dass er die Flut von Toren aus Verärgerung von den Elbers, Baslers, Scholls eingefordert hatte. Das Spiel endet 1:16.
Wilhelm Söder bekommt an diesem Tag von all dem nichts mit. Sein Dorf ist an diesem Feiertag wie leergefegt. Sogar die Polizei fährt Streife. "Wir hatten ganz andere Herausforderungen auf dem Platz", berichtet Söder im Rückblick. Der Spielberichtsbogen, der nicht in die Schreibmaschine passt, ist da noch die geringste. "Das war so emotional, so ungewohnt, so beeindruckend. Bis wir alles um uns herum realisiert hatten, lagen wir schon 2:0 hinten!", lacht der Waldberger.
Wer das erste Tor der Bayern geschossen hat, kann der heute 70-Jährige auf Anhieb gar nicht mehr sagen. Nur soviel: "Wir waren ein gutes Team damals. Die damalige Mannschaft hat sich seither zu vielen Anlässen getroffen - und ihren Zusammenhalt immer wieder bewiesen."
Nicht vergessen ist der Ärger um die Abrechnung der Einnahmen bei diesem Top-Spiel. Der DFB und Bayern München waren nicht einverstanden mit der Schlussrechnung. Ihrer Ansicht nach hatte die DJK Waldberg zu viele Ausgaben abgezogen, bevor die restliche Summe - wie damals üblich - zwischen den beiden beteiligten Vereinen und dem DFB aufgeteilt wurde. "Wir mussten noch eine gewisse Summe an den FC Bayern zahlen. Die haben uns das aber als Spende für die Jugendabteilung wieder zurücküberwiesen", sagt DJK-Mann Söder.
Viele Sponsoren blieben weg
Eddi Arnold trat 1999 als Vorsitzender der DJK zurück. Wieder zwei Jahre später musste sich die DJK Waldberg wegen finanzieller Probleme aus der Landesliga Nord zurückziehen. Die Gründe dafür? Viele Sponsoren wendeten sich von der DJK Waldberg ab und sagten: "Jetzt habt Ihr durch das Spiel gegen Bayern viel Geld, da braucht ihr unseres nicht mehr!" Zwei Drittel des Etats für das Team fehlten plötzlich. Die Prämien für die Mannschaft mussten aber bezahlt werden, offensichtlich mit den Einnahmen aus dem Jahrhundertspiel. Die aufwändige und kostspielige Sanierung von Platz und alter Toiletten-Anlage tat ein Übriges.
Aktuell plagen die DJK wieder Sanierungssorgen. Unlängst hat ein Schwelbrand das altehrwürdige Waldberger Sportheim stark beschädigt. Es wird gerade repariert, das kostet viel Geld. Vom Jahrhundertspiel von 1997 ist dafür nichts mehr übrig - ein Sechser im Lotto käme jetzt also gerade recht.
P.S.: Anmerkung für die Sportchronisten: Das erste Tor des Spiels schoss damals Giovane Elber. Und das 1:2 der Waldberger DJKler Peter Haase.