
Diese Umfrage hat ein Tabuthema aufgerührt: Laut der "Organisation Plan International Deutschland" gaben 33 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren in einer Umfrage an, es "akzeptabel" oder "eher akzeptabel" zu finden, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin gelegentlich "die Hand ausrutscht". 34 Prozent räumten ein, gegenüber Frauen "schon mal handgreiflich" zu werden, um ihnen Respekt einzuflößen.
Mit den Opfern eines solchen Handelns hat Evi Bindrim zu tun: Sie ist Geschäftsführerin im "Haus am Kurpark" in Bad Königshofen, in dem Mutter-Kind-Kuren durchgeführt werden. Sie wird täglich mit vielen Schicksalen konfrontiert. Zusammen mit der Psychologin Rebecca Scheuring und Sozialpädagoginnen aus der Vorsorge- und Rehaeinrichtung ordnet sie die Ergebnisse dieser Umfrage ein.
Halten sie die Umfrage für realistisch, ist die Dunkelziffer vielleicht noch höher?
Die Umfrage wurde bezüglich ihrer Erhebungsmethode und fehlender Qualität bereits öffentlich ausführlich kritisch diskutiert. Die Ergebnisse sollten daher nicht verallgemeinert werden. Allerdings weisen andere Studien auf ähnliche Ergebnisse hin: Rund ein Drittel der Frauen in Deutschland habe ab dem 15. Lebensjahr bereits körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Häufig geschehe dies im persönlichen Umfeld der Frau, insbesondere in einer Partnerschaft oder Beziehung. Es ist also definitiv davon auszugehen, dass häusliche Gewalt – welche körperliche, psychische und sexuelle Gewalt beinhaltet – häufiger auftritt als man vermutet.

Wird heutzutage mehr über häusliche Gewalt gesprochen als früher?
Häusliche Gewalt ist nach wie vor ein Tabuthema. Betroffene Frauen haben häufig starke Gefühle von Schuld und Scham und verschweigen das Thema nach außen hin komplett oder verharmlosen es.
Frauen, die zur Kur in ihr Haus kommen, sind oft mehrfach belastet mit Krankheit und Anforderungen durch Familie und Job. Begegnen ihnen dort Fälle von häuslicher Gewalt?
Es gibt immer wieder Patientinnen, die häusliche Gewalt erlebt haben – sowohl in der Vergangenheit als auch noch aktuell – und darunter leiden. In einem vertrauensvollen Gespräch mit den Bezugstherapeuten gelingt es ihnen teilweise, sich zu öffnen und von ihrer Situation zu erzählen. Aber auch hier gibt es vereinzelt Fälle, in denen wir eine Vermutung haben, die Patientin dies aber verneint. Wir unterstützen die Frauen bei der Aufarbeitung des Erlebten und ermutigen sie, das Thema offen anzugehen. Außerdem unterstützen wir im Rahmen der Nachsorge beim Finden von entsprechenden Hilfsangeboten zu Hause.
Bei welchen Gelegenheiten rasten Männer am meisten aus?
Ein "Ausrasten" an sich ist eine starke emotionale Reaktion infolge intensiver Belastungen. Es hat sich häufig längere Zeit einiges an Emotionen, wie Frust und Stress angesammelt, das Fass ist förmlich voll und läuft dann manchmal über. Auslöser kann schon ein "kleiner Tropfen" sein, eine eigentliche nebensächliche Aussage oder Handlung der Frau. Das Ausrasten ist abhängig von Faktoren wie der individuellen Persönlichkeit und den bisherigen Lernerfahrungen wie Gewalterfahrungen gegen sich selbst oder gegen andere. Außerdem spielen auch das soziale und kulturelle Umfeld und Kompetenzen in der Stressbewältigung eine Rolle. Dazu kommen die vermeintliche Bedrohung der Grundbedürfnisse, wie Verlust von Kontrolle und Sicherheit, Einschränkung der Autonomie oder Erfahrungen, die den Selbstwert bedrohen .
Ist es so, dass Frauen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen oft die Schuld bei sich selbst suchen?
Ein ganz klares Ja, definitiv! Betroffene geben sich häufig selbst die Schuld daran, was außerdem mit Schamgefühlen und Angst einhergeht sowie den Selbstwert der Frau massiv beeinträchtigt.
Warum verlassen misshandelte Frauen ihre Männer nicht einfach?
Betroffene Frauen haben häufig Angst vor der Trennung, Angst davor, was mit den Kindern wird, Ungewissheit, wo und wie sie leben werden, Angst allein dazustehen. Teilweise werden die Betroffenen bedroht, bis hin zur Morddrohung. Auch die tatsächliche oder gefühlte Abhängigkeit vom Mann ist häufig ein Grund.
Frauenhäuser sind an ihrer Kapazitätsgrenze. Wo finden betroffene Frauen Hilfe?
Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (116 016) ist ein niedrigschwelliges Angebot, das rund um die Uhr in 18 Sprachen zur Verfügung steht, kostenlos und anonym berät. Auf der zugehörigen Website gibt es eine E-Mailberatung sowie einen Online-Chat. Vor Ort gibt es manchmal Beratungsstellen, Netzwerke gegen häusliche Gewalt und die Polizei.