Leider hat der Star der Stadt im letzten Moment absagen müssen. Wenn an diesem Samstag in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) die 7. Fahrzeugschau Elektromobilität eröffnet, dann ist E-Nessi noch nicht dabei.
E-Nessi ist der erste elektrisch betriebene Omnibus, der in der bayerischen Modellstadt für Elektromobilität schon bald auf einer der NESSI-Stadtbus-Linie verkehren soll. 485 000 Euro lassen sich die Stadtwerke das Prestigeprojekt kosten. Der E-Bus eines holländischen Anbieters wurde praktisch in Handarbeit in China produziert. Mittlerweile ist er im holländischen Stammwerk angekommen, aber es fehlen schlicht noch einige Teile für die Endmontage.
Die bayerische Modellstadt
„Nein, das Highlight der Fahrzeugschau sollte der E-Bus nicht werden. Er soll das Highlight im Verkehrs-Alltag der Stadt Bad Neustadt werden“, rückt Jörg Geier die Verhältnisse gerade. Geier ist der Leiter der Stabstelle für Kreisentwicklung am Landratsamt Rhön-Grabfeld. Den Weg der Modellstadt Elektromobilität hat Geier seit Juli 2010 intensiv begleitet.
Und dass sich eigentlich der gesamte Landkreis Rhön-Grabfeld mit kleinen, aber vielen Schritten der Elektromobilität verschreibt, freut den Landratsamts-Mitarbeiter.
Viel Elektroverkehr in der Rhön
An der Schrankwand seines Büros klebt eine Deutschlandkarte. Eine Handvoll blauer Flecken in den Ballungsräumen zeigt die Schwerpunkte der e-mobilen Fortbewegung im ansonsten weiß gezeichneten Deutschland. Einer der Flecken umfasst den Landkreis Rhön-Grabfeld. Jörg Geier lächelt, wenn sein Blick die Karte streift. „Die Grafik zeigt, dass im Landkreis überproportional viel privater e-mobiler Verkehr herrscht“, erklärt der Fachmann. Zum Beispiel hat der Pflegedienst von Reinhold Roßbach aus Bad Neustadt seine Fahrzeugflotte mit sieben Pkw komplett auf Elektromobile umgestellt.
Ein wenig unterhalb des Kreuzbergs, im Gasthaus Roth, hat Wirt David Roth 2015 eine Ladestation für sich und seine Gäste eingerichtet. Nichts steht also einer Fahrt mit dem Elektrofahrzeug von Würzburg auf den heiligen Berg der Franken im Wege. Roth selbst nutzt ein E-Mobil zum Ausliefern von Gerichten. Und selbst am anderen Ende des Landkreises, im Grabfeld, findet man Ladestationen.
„Der Landkreis hat die Förderanträge von sechs Kommunen für Ladestationen in Berlin eingereicht“, sagt Geier. In der Modellstadt Bad Neustadt gibt es derzeit fünf Schnellladestationen, in Würzburg ist es lediglich eine. Rund 40 000 Euro kostet ein solcher Ladeplatz.
Geier: Dauerhafte Strukturen
Das große Deutschland mag zum Beispiel im Vergleich zum kleinen Norwegen in Sachen E-Mobilität ganz schön hinterherhinken. Innerhalb Deutschlands kann man Rhön-Grabfeld durchaus als kleinen Pionier sehen.
„Wir haben hier mittlerweile dauerhafte Strukturen geschaffen“ sagt Geier. Der Titel Modellstadt Elektromobilität wurde 2010 auch als Folge einer längeren Standortkrise vor allem von Siemens verliehen, um dem ländlichen Raum Entwicklungsperspektiven zu verschaffen. Neben Bad Neustadt gibt es in Bayern noch das Projekt E-Wald im Bayerischen Wald.
Ein Aushängeschild der Modellstadt ist dabei das Technologie-Transfer-Zentrum (TTZ) in den Räumen der Jakob-Preh-Berufsschule. Es ist ausgestattet mit einer Stiftungsprofessur, die erst im März um weitere fünf Jahre verlängert wurde. 40 Mitarbeiter sind am TTZ, einer Außenstelle der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, beschäftigt, davon 30 direkt in der Saalestadt. 121 000 Euro lassen sich die Stifter aus Wirtschaft und Politik die Professur kosten, die Ansgar Ackva innehat.
Innovationen der Autoindustrie
„Wir zeigen, das wissenschaftliches Arbeiten auch im ländlichen Raum erfolgreich sein kann“, sagt Geier. Die Studenten arbeiten in Bad Neustadt an Themen wie Leistungselektronik-Produkten oder dem Batteriemanagement. Profiteure der Forschung sind nicht nur klassische E-Mobil-Hersteller. Die Ergebnisse werden auch in andere Produkte wie akkubetriebene Rasernmäher oder Staubsauger umgesetzt.
„Das ist uns hier auch besonders wichtig. Der Mittelstand soll hier profitieren, neben den Global Playern wie Siemens ein wichtiges wirtschaftliches Standbein der Region“, sagt Wirtschaftsförderer Geier. „In Zusammenarbeit mit dem TTZ wird zum Beispiel beim Autozulieferer Jopp an induktiver, also kabelloser Ladetechnik geforscht“, nennt Geier ein Beispiel. Somit gelangt nicht nur technisches Know how in die Betriebe Nordunterfrankens. Auch qualifizierter Nachwuchs findet ein attraktives Arbeitsumfeld auch im Ländlichen.
250 Arbeitsplätze sind entstanden
Geier rechnet vor, dass in den letzten Jahren etwa 250 Arbeitsplätze in der Region rund um das Thema Elektromobilität entstanden sind. In einer Bad Neustädter Siemens-Werkhalle werden Motoren für Volvos Hybrid-Fahrzeuge gefertigt. Der Autozulieferer Jopp hat an der Entwicklung der Mittelkonsole für das neue Zustellfahrzeug der Post mitgewirkt, den e-mobilen Street-Scooter. „Und Batteriemanagement und Bedienelektronik vieler BMW-i-Modelle stammen aus dem Hause Preh“, zählt Geier mit einer Portion Lokalpatriotismus auf. Keine Spur jedenfalls von einer leicht destruktiven Grundstimmung, die in Deutschland zum Thema Zukunft der E-Mobilität nach Geiers Meinung herrscht.
Zusammenarbeit mit China
Unterdessen streckt die Modellstadt Elektromobilität schon ihre Fühler nach China aus. Geier und Professor Akva waren im November in der Sonderwirtschaftszone Shenzen und knüpften Bande zur E-Mobil-Branche. In Shenzen fährt schon jedes zehnte Taxi als Stromer.
Dieser Tage nun war Gegenbesuch der Wuhan-Universität in Bad Neustadt zu Gast. „Wir waren auf Einladung des Wirtschaftsministeriums dort, unsere Expertise wird geschätzt, wir werden unserer Pionierrolle als Modellstadt gerecht“, gibt sich der Wirtschaftsförderer ganz unbescheiden.
„Unser Traum? Wir wollen hier in der Stadt und im Landkreis weiter gesund wachsen und Schritt für Schritt weiterkommen“, sagt Geier. „Wenn hier in zehn Jahren dann die ersten Oberseminare zur E-Mobilität gehalten werden, dann wäre auch akademisch ein wichtiges Ziel erreicht“.
Von einem verflixten siebenten Jahr des Modellstadt-Status scheint in Bad Neustadt also keine Rede zu sein. Verflixt waren die letzten sechs Jahre nur, was das Wetter zur Fahrzeugschau auf dem großen Festplatz betraf. Mit etwas Glück ist aber auch hier die Entwicklung zum Positiven nicht aufzuhalten. Das Wochenende wird es zeigen.