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Eine Wasserwelle von Cornelia Dahinten: Warum die Bürgermeisterin aus Saal jeden Freitag zur Friseurin wird
Die Friseurmeisterin versprach ihren Stammkunden, auch nach der Wahl noch mit Lockenwickler und Trockenhaube für sie da zu sein. Freitags heißt es: Salon statt Rathaus.
Es macht noch Spaß: Bürgermeisterin Cornelia Dahinten frisiert Lydia Dippert alle 14 Tage. Die 86 Jahre alte Kundin aus Saal war seit den frühen 50er-Jahren bis auf wenige Ausnahmen nie in einem anderen Friseurgeschäft. 
Foto: Michael Petzold | Es macht noch Spaß: Bürgermeisterin Cornelia Dahinten frisiert Lydia Dippert alle 14 Tage. Die 86 Jahre alte Kundin aus Saal war seit den frühen 50er-Jahren bis auf wenige Ausnahmen nie in einem anderen ...
Michael Petzold
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:10 Uhr

Immer wieder freitags erwacht der Salon 33 in der Hauptstraße in Saal aus dem Dornröschenschlaf. Dann schließt Cornelia Dahinten in aller Früh die Tür zum Friseurgeschäft auf. Ein ganz normaler Tag in einem Friseurgeschäft, sollte man meinen, wenn nicht die Friseurmeisterin auch gleichzeitig Bürgermeisterin im Markt Saal wäre, der zusammen mit dem Ortsteil Waltershausen 1571 Einwohner zählt.

Es ist nicht so, dass die Ladeninhaberin als Rathauschefin zu wenig zu tun hätte. Aber als sie 2020 für das Amt kandidierte, waren viele Stammkundinnen und -kunden traurig. Und so versprach sie bei einem Erfolg, ihre Selbstständigkeit nicht ganz aufgeben zu wollen.   

Früh übt sich: Enkelin Cornelia hatte sichtlich ihre Freude daran, ihrer Großmutter Veronika die Haare zu waschen.
Foto: Dahinten | Früh übt sich: Enkelin Cornelia hatte sichtlich ihre Freude daran, ihrer Großmutter Veronika die Haare zu waschen.

Nachdem die Zöpfe abgeschnitten waren, gab es eine Dauerwelle

Manche von ihnen kommen seit über 60 Jahren in den Laden, der 1935 von Cornelia Dahintens Großvater Oswald Neunhöfer gegründet worden war. Wie etwa Lydia Dippert, die sich alle 14 Tage eine Wasserwelle gönnt. Seit Anfang der 50er-Jahre ist sie Kundin hier. Seither hat sie, bis auf ein-, zweimal, nie einen anderen Friseursalon betreten, wie sie erklärt.

Die Frau ist 86 Jahre alt, was man ihr überhaupt nicht ansieht, mit Haaren, die nur ganz langsam ergrauen wollen. Färben komme nicht infrage, wie sie betont. Gut 20 Jahre jünger könnte man sie schätzen. "Zuerst hatten wir nur Zöpfe, dann sind wir zum Friseur und dann hatten wir Dauerwelle", erinnert sich Lydia Dippert an ihre ersten Friseurbesuche.

Gelernt ist eben gelernt: Bürgermeisterin und Friseurmeisterin Cornelia Dahinten heute beim Haarwaschen. 
Foto: Michael Petzold | Gelernt ist eben gelernt: Bürgermeisterin und Friseurmeisterin Cornelia Dahinten heute beim Haarwaschen. 

Aber was für Dauerwellen. "Das war ein Kraushaar", sagt die Seniorin, "so wie ein Afrolook". Daheim habe das nicht jedem gefallen. Von heute aus gesehen wirken die damals gebräuchlichen Utensilien, um in strähniges Haar Locken zu modellieren, geradezu vorsintflutlich.

Wie in einem Museum sind in Holzkästchen, die an die Wände des Salons montiert sind, Haarwickler aus den vergangenen Jahrzehnten ausgestellt, wobei Cornelia Dahinten genau erklären kann, wie und wann die Dinger angewendet wurden. Regelrecht "gekocht" habe man in den Anfängen der Dauerwelle das mit viel Chemie behandelte Haar.              

Der Spengler wollte kein Geld als Lohn, sondern eine Gans 

Cornelia Dahinten weiß genau Bescheid über die Geschichte des Friseurgeschäfts, weil sie alle Einzelheiten zusammengetragen und in einer kleinen Chronik mit vielen Fotos festgehalten hat. Da erfährt man dann zum Beispiel, dass Opa Oswald nach dem Krieg mit einem Schinken im Rucksack nach Würzburg gefahren ist, um ihn gegen einen Kanister mit Shampoo einzutauschen.

Oder dass die erste Trockenhaube vom ortsansässigen Spengler eingebaut wurde. Sie bestand aus einem Motor, der an der Außenwand angebracht war und der ein Gebläse im Salon in Gang setzte. Auch diese Investition wurde in Naturalien beglichen. Der Handwerker wollte kein Geld, sondern eine Gans.   

Cornelia Dahinten ist im Salon Ursula quasi aufgewachsen

Als Kind ist sie im "Salon Ursula", wie ihre Mutter Ursula Rink den Friseurladen nach der Übernahme 1977 getauft hatte, quasi aufgewachsen. Hier hat sie Wickler sortiert, der Oma auch einmal die Haare gewaschen oder nebenan im dazugehörigen Gemischtwarenladen geholfen, in dem es von der Wolle über Schnürsenkel, Schürzen und Hosenträgern alles gab, was man an Textilien und Kurzwaren im Alltag auf dem Dorf gebrauchen konnte. Wenn Cornelia Dahinten heute daran denkt, kommt sie ins Schwärmen: "Das war eine tolle Zeit, da war immer was los." 

Vorsintflutlich: Mit diesen Utensilien wurden Anfang der 50er Jahre die ersten Dauerwellen auf Frauenköpfen kreiert. Das Ergebnis gefiel nicht jedem.
Foto: Michael Petzold | Vorsintflutlich: Mit diesen Utensilien wurden Anfang der 50er Jahre die ersten Dauerwellen auf Frauenköpfen kreiert. Das Ergebnis gefiel nicht jedem.

Kommunalpolitik zwischen Waschbecken und Trockenhaube

Am Freitagvormittag darf aus dem Rathaus keiner bei ihr anrufen. "Höchstens wenn die Hütte brennt", was bisher aber noch nicht passiert sei, schmunzelt Cornelia Dahinten, die zwar mit Leib und Seele Friseurin ist, aber natürlich auch am Freitag Bürgermeisterin bleibt. Was heißen soll, dass zwischen Waschbecken und Trockenhaube auch schon über die Kommunalpolitik gesprochen wird, die im Rathaus gemacht wird.

So viel Neues erfahre man im Laden seit der Einführung der Terminvergaben aber nicht mehr, sagt sie. Früher, als die Männer samstags zum Haareschneiden kamen und im Vorraum auf einer Bank warteten, bis sie an der Reihe waren, sei natürlich auch viel mehr erzählt worden. Männer zählen jetzt aber auch zu ihrer Kundschaft, wenngleich Frauen den weitaus größeren Anteil ausmachen.       

Im Winter musste die Kundinnen früher Holz oder Brikett zur Friseurin mitbringen

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Cornelia Dahinten ihren erlernten Beruf nicht vollends an den Nagel hängt, sondern als zweites Standbein begreift. Schließlich ist das Bürgermeisteramt ein Wahlamt, was bedeuten kann, dass sie beim nächsten Mal, im Frühjahr 2026, nicht wiedergewählt wird. Dann wäre die jetzt 56-Jährige noch viel zu jung, um sich schon aufs Altenteil zu setzen.

Auch wenn sie ihr Friseurgeschäft nicht mehr die ganze Woche über geöffnet hat, so spürt sie doch die hohen Energiekosten. "Der Gaspreis ist doppelt so hoch" und auch der Strom sei teurer geworden, sagt die agile Frau. Deshalb werde sie nicht anders können, als im Januar die Preise zu erhöhen. Früher, nach dem Krieg, hat man solche Probleme im Friseursalon noch anders gelöst. Da mussten die Kundinnen ihr eigenes Handtuch und im Winter zusätzlich ein paar Briketts oder Holzscheite für den Ofen mitbringen.      

 
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  • G. H.
    Super: Gratulation an die Gemeinde, die so eine Bürgmeisterin hat; und natürlich Lob für Frau Dahinten
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