"Deshalb sind wir hier, um etwas zu bewegen", verkündete ein Bad Neustädter am Ende des dreistündigen Bürger-Workshops im Alten Amtshaus. 80 Teilnehmer – Alte, Jüngere, Mobile, Bewegungseingeschränkte, Einzelhändler, Mandatsträger, Otto Normalbürger – waren am Dienstagabend zum zweiten Bürgerworkshop im Rahmen des Integrierten Mobilitätskonzepts (IMK) gekommen, um die Zukunft ihrer Stadt aktiv mitzugestalten. In ein- und dieselbe Richtung steuern wollen diese Menschen ihre Stadt aber deshalb noch lange nicht.
Um eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, stellten die Verantwortlichen des beauftragten Planungsbüros R+T aus Darmstadt, Ralf Huber-Erler und seine Kollegin Jenny Büttner, zunächst die in den vergangenen beiden Jahren erarbeiteten Ergebnisse, über 50 Maßnahmenvorschläge für die Bereiche Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV, Kfz-Verkehr und verkehrsmittelübergreifend, im Plenum vor. Dann ging es in vier Einzelgruppen in die inhaltliche Auseinandersetzung. Ausdauernd, kontrovers, emotional, aber höflich und respektvoll, tauschten sich die Teilnehmer aus.
Eine der Hauptfragen des Abends: Wie bringen wir Frequenz in Bad Neustadts Innenstadt?
Prinzipiell wird im Mobilitätskonzept der Verkehr im gesamten Stadtgebiet betrachtet, die Diskussionen hatten aber einen klaren Schwerpunkt: "Altstadt, Altstadt, Altstadt!", fasste Ralf Huber-Erler am Ende die Quintessenz zusammen. Die beiden Leitfragen des Abends gingen denn auch weit über die eigentliche Verkehrsfrage hinaus: Womit helfen wir der Altstadt und wie bringen wir Frequenz in Bad Neustadts Innenstadt, darauf fokussierten sich die Gespräche immer wieder.
Vonseiten des Planungsbüros war für den Kfz-Verkehr vorgeschlagen worden, die Altstadt in Zukunft komplett verkehrszugberuhigen. Würde das umgesetzt, dürften Autos in der Altstadt nicht mehr schneller als Schrittgeschwindigkeit fahren. Autos und Fußgänger wären gleichberechtigt, Parken wäre nur noch in markierten Flächen möglich. Auch die Parkplätze am Marktplatz würden entfallen, so zumindest die bisherige Empfehlung des Planungsbüros.
Teils heftige Gegenwehr seitens der Einzelhändler
Vor allem aus den Reihen der Einzelhändler kam diesbezüglich heftige Gegenwehr. Es bräuchte mehr, nicht weniger Kurzzeitparkplätze mitten in der Altstadt, so eine Rückmeldung. Für viele Geschäfte sei es entscheidend, dass Bürger in der Altstadt kurz halten und Bestellungen abholen könnten.
"Ganz ehrlich, ich war zehn Jahre nicht da und bin erschrocken, wie leer der Bad Neustädter Markplatz ist. Ich weiß nicht, was man in der Innenstadt noch beruhigen soll", so eine weitere Rückmeldung. "Durchgangsverkehr ist nicht nur negativ, an der Hohnstraße sieht man, was passiert, wenn die Autos raus sind." Im Gegenzug schlugen Bürger vor, die Hohnstraße wieder zu öffnen und/oder Hohn- und Spörleinstraße zu Einbahnstraßen zu machen. "Wenn Sie alles einschränken, gibt es irgendwann keine Mobilität mehr. Dann wird alles immobil", so eine Sorge.
Rund um die Altstadt gebe es so viele Parkmöglichkeiten. "Jeder, der gesund ist, kann die fünf Minuten in die Altstadt laufen", lauteten gegenteilige Wort-Meldungen. "Bad Neustadt liegt auf dem Hügel, für Ältere ist das schon anstrengend", kam Widerspruch von der Gegenseite.
Der Online-Handel, nicht die Verkehrsberuhigung, lasse Geschäfte sterben
Moniert wurde auch die Lärmbelastung für Anwohner durch Fahrzeuge, die mit überhöhter Geschwindigkeit über das Kopfsteinpflaster sausen. Andere stellten infrage, dass es einen Zusammenhang zwischen Verkehrsberuhigung und Geschäfte-sterben gebe. "Liegt das nicht eher am Online-Handel?". Wieder andere würden sich über weniger CO₂-Ausstoß am Marktplatz und mehr Spielmöglichkeiten für Kinder freuen.
Probleme, die im Bereich Fußverkehr aufschlugen: An Knotenpunkten und Querungen seien die Wartezeiten oft zu lang. Gefährlich werde mitunter das Queren der Mühlbacher Straße Richtung Feuerwehr unterhalb des Hohntors in den Dämmerungsstunden. Konflikte sehen viele eher in der Begegnung zwischen Radfahrern und Fußgängern als mit dem Kfz-Verkehr.
Weitere Kritikpunkte: Radwegesituation in der Gartenstraße und desolates Bahnhofsumfeld
Beim Thema Radverkehr wurde immer wieder die mangelhafte Radwegesituation in der Gartenstraße und Otto-Hahn-Straße angesprochen. Neben den priorisierten Radrouten zur Anbindung von Stadtteilen, Bahnhof und Schulen müsse auch ein genauer Blick auf die Altstadt geworfen werden, so eine weitere Forderung.
Im Bereich ÖPNV wünschen sich viele Bürger eine bessere Kommunikation zu Fahrplänen und Umstiegsmöglichkeiten und auch eine bessere Verknüpfung von Bahn- und Busverkehr. Auf Kritik stieß erneut das desolate Umfeld am Bahnhof. Prinzipiell werde aber der Wert der Nessi für Bad Neustadt gesehen, so die Planer zusammenfassend.
Wer entscheidet, welche Vorschläge am Ende umgesetzt werden?
Die Idee, das Einrichten zusätzlicher Bahnhaltepunkte in Bad Neustadt (Kurpark) oder im Umland (Salz, Heustreu) anzustoßen, hielten viele für gut, ebenso wie eine Machbarkeitsstudie für ein autonomes Shuttle in Auftrag zu geben, das in Dauerschleife die Parkmöglichkeiten außerhalb der Altstadt abfahre und mit der Altstadt verbinden könnte.
"Was sie uns mitgeben, soll wieder in den Planungsprozess integriert werden", versprach Ralf Huber-Erler den Bürgern. Im Frühjahr werde sein Büro dem Bad Neustädter Stadtrat den Schlussbericht des Integrierten Mobilitätskonzepts vorlegen. "Der Stadtrat muss dann entscheiden, welche Maßnahmen in den nächsten 10 bis 15 Jahren umgesetzt werden sollen."
Die Stadt Bad Neustadt stellt die Maßnahmenvorschläge in Kürze auf ihrer Internetseite ein. Dort findet sich dann auch eine Kontakt-Mailadresse, damit Bürger auch in den nächsten Tagen noch schriftlich Anregungen und Wünsche melden können.