Der Balkon von Brigitte Dietz in der Martin-Luther-Straße ist vielen Menschen ein Begriff. Jedes Jahr zieht er im Sommer aufgrund seiner Blütenpracht die Blicke der Vorbeigehenden auf sich. In diesem Jahr jedoch nicht. Heuer ragen nur leere Blumenkasten-Halterungen am Geländer hervor. Auch die gewohnten Balkonmöbel fehlen, ebenso wie die zwei bunten Sonnenschirme. Der Balkon ist leer. Dafür sieht man eine schwarze Platte, die die Balkontür über mehr als die Hälfte der Fläche verdeckt. Brigitte Dietz ereilte das gleiche Schicksal wie Anwohnern der Berliner Straße: Auch ihr Balkon-Zugang wurde vom Vermieter, dem Münchner Wohnungsunternehmen Dawonia Real Estate, versperrt, weil er einsturzgefährdet sei.
Der tägliche Anblick der schwarzen, 1,20 Meter hohen Holzfaser-Platte kann schon für einen jüngeren Menschen, der tagsüber an der Arbeit ist, belastend sein. Für Brigitte Dietz ist es aber besonders bitter. Die 78-Jährige ist stark gehbehindert und damit nur sehr eingeschränkt mobil. "Der Balkon ist mein Draußen gewesen", sagt sie in einem Gespräch mit dieser Redaktion. "Meine Freiheit ist weg, ich fühle mich eingesperrt." Darüber hinaus mache die Platte das Wohnzimmer spürbar dunkler. "Wenn ich höre, dass das bis in den Winter dauern kann, kriege ich die Krise. Eigentlich habe ich sie schon."
Brigitte Dietz war sechs Jahre, als sie von einem Lkw überfahren wurde
Brigitte Dietz hat schon einiges mitgemacht in ihrem Leben. Sie war sechs Jahre alt, als sie von einem Lkw überfahren wurde. Acht Jahre, nur einmal unterbrochen von wenigen Monaten, verbrachte sie danach in einem Krankenhaus. Ihr linkes Bein wurde versteift, außerdem ist es deutlich kürzer als das andere Bein. Daran reihten sich Erkrankungen und Operationen. Vor acht Jahren starb ihr Ehemann, den sie zuvor viele Jahre gepflegt hat. "Ich habe immer 'Hier' geschrien, wenn es etwas gab." Trotz der Schicksalsschläge hat sie ihren Humor nicht verloren. "Ich stehe auf der Erde - sofern man von Stehen reden kann."
Seit 1983 wohnt Brigitte Dietz in dem 1951 errichteten Haus in der Martin-Luther-Straße. Hier lebten einst Siemens-Beschäftigte, zu denen sie und ihr Mann gehörten. Als ihr Sohn zur Welt kam, hörte die Ehefrau auf zu arbeiten. Später war sie im Büro der Diakonie tätig.
Am 27. Mai diesen Jahres erhielt sie ein Schreiben von der Dawonia, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihr Balkon aus "verkehrssicherungstechnischen Gründen" vorerst gesperrt werden müsse. Eine interne Überprüfung habe ergeben, dass er einsturzgefährdet sei. Eine Frage umtreibt die Bad Neustädterin seitdem: "Was genau ist mit meinem Balkon nicht in Ordnung?" Sie habe nie einen Menschen bemerkt, der ihn sich angeschaut hat. In dem Gebäude wohnen sechs Partien, vier mit Balkon. Nur die zwei unteren wurden versperrt. "Warum kann ich nicht auf meinen Balkon?"
Die Balkonpflanzen für den Sommer waren bereits gekauft
Brigitte Dietz rief bei ihrem Vermieter in München an, um auf ihre besondere Situation hinzuweisen und um nähere Informationen zu erhalten. Dabei habe sie zur Antwort bekommen, dass alles in Planung sei und man nichts Genaues sagen könne. Inzwischen wurde ihr von der Dawonia eine Mietminderung angeboten. Ihre Anwältin kümmert sich um die Angelegenheit. "Ich würde das Ganze ja verstehen, wenn es zeitlich begrenzt wäre und vielleicht nur einen Monat dauern würde."
Der Balkon musste leergeräumt werden. Die Bank fand einen Platz im Wohnzimmer, der Tisch und die Stühle im ehemaligen Kinderzimmer. Die Frühjahrsbepflanzung wanderte in den Mülleimer und die bereits gekauften Sommerpflanzen erhielt eine Bekannte. "Es ist mir sehr nahe gegangen, als ich die Blumen weggeben musste", sagt Brigitte Dietz. "Mein Balkon ist normalerweise sehr heimelig und wunderschön bunt. Ich sitze so gerne draußen. Der Balkon ist wichtig für mich."
Ihre Beweglichkeit würde immer mehr abnehmen, so Brigitte Dietz. Sie fährt zwar noch Auto in einem umgebauten Fahrzeug, sagt aber: "Das Fahren ist nicht das Problem. Das Ein- und Aussteigen fällt mir schwer. Außerdem bin jedes Mal froh, wenn ich es bis zum Auto geschafft habe."
Etliche Gespräche über das Balkongeländer hinweg
Dementsprechend gewinne vor allem im Sommer der Balkon für sie immer mehr an Bedeutung. "Er ermöglicht es mir, dass ich raus, die Sonne nutzen und an der frischen Luft sein kann." Brigitte Dietz nahm auf ihrem Balkon das Frühstück, das Mittag- und das Abendessen ein. Sie las hier und saß auch noch spät am Tag bei Kerzenlicht draußen. Dabei genoss sie vor allem den ein oder anderen Plausch über das Balkongeländer hinweg. Zahlreiche der Passanten würden sie kennen, stehen bleiben und mit ihr ein paar Worte wechseln. "Es ist wichtig für mich, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und nicht einsam im dunklen Wohnzimmer zu sitzen."
Der Balkon sei eine der wenigen Freuden, die ihr noch geblieben seien, führt Brigitte Dietz weiter aus. "Mir ist schon viel genommen worden. Ich muss viel erdulden und jetzt auch noch das." Sie wolle am Leben teilhaben, dazu benötige sie jedoch auch ihren Balkon als Tor nach draußen.
Wie begründet die Dawonia die Maßnahme?
Was sagt ihr Vermieter, die Dawonia, dazu? "Der Balkon unserer Mieterin entspricht ausweislich eines von uns in Auftrag gegebenen Gutachtens nicht mehr den hohen Sicherheitsstandards, die für einen solchen Balkon gelten", antwortet Maren Holtermann, Abteilungsleiterin Mieterdialog/Kommunikation bei der Dawonia, auf eine entsprechende Anfrage dieser Redaktion. Deshalb sei eine Sperrung zum Schutz von Brigitte Dietz unverzüglich veranlasst worden.
"Wir bedauern die Einschränkungen, die damit für Frau Dietz verbunden sind und können nachvollziehen, dass sie diese aufgrund der beschriebenen Mobilitätssituation besonders treffen, gleichwohl ist die Sperrung aufgrund der beschriebenen Situation leider bis auf Weiteres alternativlos." Da es sich um eine sehr aktuelle Entwicklung handeln würde, könne die Dawonia zu den nächsten Schritten zurzeit noch keine Auskunft geben, führt Maren Holtermann abschließend aus.
Da kommt mir so vieles sehr seltsam vor, wenn ich das lese!
Da fehlt jedwedes kundenorientierte Verhalten!
Ansonsten stellt sich auch die Frage, ob der Vermieter einfach so jemanden in die Wohnung (auch der Balkon gehört zur Wohnung) schicken darf und da Türen verbrettern? Das wäre eine Sache für den Anwalt - eventuell auch für ein Gegengutachten, dass der Balkon sehrwohl verkehrssicher ist!
Man könnte das sogar nach oben fortsetzen: Vom Balkon der Frau Dietz weitere zwei Sprieße zu dem nächsthöheren Balkon, usw.
Und genauso werden heute viele Balkone aus der Zeit auch saniert. Hier kommen in der endgültigen Lösung freilich keine Sprieße zum Einsatz, sondern Beton-Säulen. Doch das Prinzip bleibt das Gleiche.
Das Problem dieser Häuser aus den 50ern ist, dass die superbillig gebaut wurden, weil nach dem Krieg. Der Balkon der Frau Dietz ist ein sogenannter auskragender Teil der Beton-Platte Ihrer Etage. Der hat bisher nur gehalten, weil darin Metallstäbe stecken, die aber mittlerweile stark verrostet sind. Daher droht die Gefahr, dass dieses auskrakende Teil der Platte ganz plötzlich abbrechen kann. Da braucht es kein großes Gutachten: Die Baupläne, und das Wissen über die Bauweise des Gebäudes, und die Lebensdauer von Stahlbeton reichen da aus, um die bestehende Gefahr zu erkennen.
Sollte man lieber auf den worst case warten???