Ein heißer Frühsommertag in der Berliner Straße 31. Jetzt auf den Balkon, um sich etwas Abkühlung zu verschaffen bei einem kühlen Getränk mit Blick auf den grünen Rasen und die hochgewachsenen Bäume. Brigitte R. kann das nicht. Der Hausmeister hat die Balkontür zugenagelt.
Eine schwarze MDF-Platte, fest ans Mauerwerk geschraubt und 1,20 Meter hoch, versperrt den Weg. Seit Ende Mai hat sie die schwarze Platte vor Augen, wenn sie Richtung Garten blickt. Sie nimmt ihr einen Teil der Sonne. Und greift ihre Nerven an.
Fast 60 Jahre lebt Frau R. in der Wohnung
Bald 60 Jahre lebt Brigitte R. in der Wohnung. Die gebürtige Ostpreußin, die in Kassel aufgewachsen ist, war mit ihrem Mann Adalbert und den Kindern Matthias und Beate nach Bad Neustadt gezogen. Gebaut hatte die Mietwohnung seinerzeit die Post, der Arbeitgeber ihres Mannes.
Heute gehört die Immobilie zur Dawonia Real Estate in München, die aus der Wohnungsbaugesellschaft GBW hervorgegangen ist, an der der Freistaat über die Landesbank beteiligt war. Anfang der 2010er Jahre hatten die politischen Entscheidungen rund um die Gesellschaft immer wieder für Schlagzeilen gesorgt.
Brigitte R. wohnt alleine in der Wohnung. Vor sieben Jahren ist ihr Mann Adalbert gestorben, erst im November vergangenen Jahres ihre behinderte Tochter Beate. Zusammen mit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie sind es also schwierige Zeiten, die Frau R. gerade durchlebt. Die plötzliche Sperrung ihres Balkons setzt allem noch die Krone auf. "Ich fühle mich all dem ausgeliefert und nicht wie ein Mensch behandelt", schimpft die Seniorin.
Ende Mai lag ein Schreiben der Dawonia aus München in ihrem Briefkasten. Weil die Balkone der Mietwohnung "leider einsturzgefährdet" seien, müssten diese mit besagten MDF-Platten abgesperrt werden. Kaum war der Brief gelesen, hatte der Hausmeister wenig später die sechs Balkone der Berliner Straße 31 sowie drei Balkone der Nachbar-Hausnummer 33 verbarrikadiert.
"Da hätte es doch eine Mieterversammlung geben müssen oder ein anderes Gespräch", klagt die bald 85-Jährige. Sie könne sich auch nicht erinnern, dass Fachleute wie Statiker die Balkone überprüft hätten. Vor allem aber meint sie, dass die Balkone in unterschiedlich gutem Zustand seien. Teils seien sie schon saniert, diesen Eindruck hat man auch von außen.
Sanierungsbedarf an den Gebäuden ist offensichtlich
Bei anderen Balkonen erkennt man an rieselndem Sand aus der Zwischenschicht oder größeren abgeplatzten Flächen den Sanierungsbedarf wiederum recht schnell. "Die Balkongeländer sind noch die gleichen wie bei unserem Einzug 1963", sagt Brigitte R. Dass etwas geschehen muss an dem Baubestand, erkennt ein Laie.
Die große MDF-Platte in Schwarz nimmt nicht nur Licht und wirkt in dem Wohnzimmer beengend. "Im Sommer lasse ich meine Wäsche auf dem Balkon trocknen, das geht jetzt nicht", sagt Brigitte R. Einige der Gegenstände vom Balkon hat sie aus Platzgründen im Treppenaufgang deponiert. Die Blumentöpfe, die sonst den Balkon und das Balkonfenster zieren, sind in den Zimmern verteilt, auch in dem der verstorbenen Tochter.
Brigitte R. ist die letzte der Altmieter. In den anderen Wohnungen herrsche eine gewisse Fluktuation. Oft gebe es auch sprachliche Barrieren, um gemeinsam gegen das Verhalten der Vermieter vorzugehen.
In besagtem Brief der Münchner Dawonia wurde zwar erwähnt, dass in einem späteren Schreiben über eine mögliche Mietminderung informiert werde, doch das ist nicht das eigentliche Thema für Brigitte R. "Eigentlich will ich Zugang zu meinem Balkon, vor allem aber möchte ich menschlich behandelt werden", sagt die Mieterin.
Mittlerweile hat sie in der Sache ihren Rechtsschutz in Anspruch genommen. Zur Hilfe kommt ihr auch Sohn Matthias, der jeden Tag einmal in der Berliner Straße 31 nach dem Rechten schaut.
Dawonia verweist auch Sicherungspflicht
Julia Braun von der Dawonia in München betreut die Anlage und ist Ansprechpartnerin für die Mieterinnen und Mieter. "Die Sanierung der Balkone ist immer noch in der Planung", sagt sie gegenüber dieser Redaktion, man könne noch keinen Zeitplan für eine Instandsetzung nennen. "Aber wir haben eine Fürsorge- und Verkehrssicherungspflicht und mussten handeln", so Julia Braun, die auf gleichlautendes Gutachten verweist.
Es kann also gut sein, dass die Balkone bis in den Winter gesperrt bleiben werden. Wenn es aber schlecht kommt, noch länger, wenn man die aktuellen Rohstoff- und Personalprobleme im Baugewerbe mit einkalkuliert.
Sind noch weitere Häuser in Bad Neustadt betroffen?
Mit den Anwesen 31 und 33 ist es nicht getan. Julia Braun bestätigt, dass weitere Dawonia-Immobilien in Bad Neustadt betroffen sind, auch wenn sie keine detaillierten Zahlen nennen kann. Stand 2019 vermietete die Dawonia sozusagen als GBW-Erbe knapp 600 Wohnungen im Landkreis, 400 davon in Rhön-Grabfeld. In ganz Unterfranken werden rund 4000 Mietobjekte betreut.
wenn Heuschrecken am Wohnungsmarkt beteiligt sind...
Empathie und Menschlichkeit findet da nicht statt...
Der Balkon ist i.d.R. zur Hälfte Wohnfläche d. h. um diesen Betrag kann die Miete gekürzt werden. Bei alten Verträgen ist aber oft der Balkon nicht angerechnet. Nachlesen. Hausgemeinschaft, Interessenvertretung bilden, gemeinsam zum Anwalt.
Der Vermieter kommt hier sehr wahrscheinlich nur seiner Sicherungspflicht nach, um Unfalle zu verhindern. Man kann sich gut vorstellen, was los wäre, wenn hier berichtet werden würde, das so ein Balkon abgestürzt, und dabei jemand zu Schaden gekommen wäre...
In vielen Fällen besteht die Sanierung in der Maßnahme, dass die Balkone durch Stützen, die durch alle Balkone laufen, abgefangen werden. Doch auch das Problem mit dem derzeitig nicht verfügbaren Baumaterial ist nicht von der Hand zu weisen.
Ob eine Mietminderung möglich ist, müsste man prüfen lassen: Wird der Balkon im Mietvertrag anteilig zur Wohnfläche angerechnet, oder nicht...
Ist es nur eine vorübergehende Maßnahme... u.s.w.