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Bad Neustadt
Dem Landkreis vergeht der Bon-Appetit
Der Kreisausschuss schwingt die symbolische Keule: In einer Resolution fordert er die Abschaffung der umstrittenen Bon-Pflicht. Aber einstimmig erfolgte das Votum nicht.
Kreativer Protest: Kassenzettel schmücken die Wände in der Bäckerei Lehnhard in Oberelsbach.
Foto: Sonja Demmler | Kreativer Protest: Kassenzettel schmücken die Wände in der Bäckerei Lehnhard in Oberelsbach.
Gerhard Fischer
 |  aktualisiert: 19.10.2020 10:29 Uhr

Wenn dem gelernten Juristen und Landrat Thomas Habermann Gesetze sauer aufstoßen, dann kann er rhetorisch zu Höchstform auflaufen. Ganz aktuell hat er die "verpflichtende Belegausgabepflicht für alle elektronischen Aufzeichnungssysteme im Sinne des § 146a Absatz 1 AO" ins Visier genommen.  

Für Habermann das am schlechtesten gemachte Gesetz

Damit steht er nicht allein. Unter dem Kurzbegriff "Bon-Pflicht" rührt das Gesetz derzeit mächtig an der Volksseele - und bringt Kleinstbetriebe und den Mittelstand zur Weißglut. "Das ist das am schlechtesten gemachte Gesetz, das ich kenne. Und ich werde namentlich herausfinden, wer im Bundestag dafür gestimmt hat", schimpfte ein aufgebrachter Landrat bei der Kreisausschusssitzung am Mittwoch im Landratsamt.  

Schon spät im Sitzungsverlauf, unter Punkt 13 "Anschaffung von Registrierkassen auf Grund von §146a Abgabenordnung", kam es zur Tirade des Landrats gegen die Bon-Pflicht. Er wisse nicht nur die Bürger hinter sich, sondern vor allem die kleinen Betriebe in Rhön-Grabfeld und das mittelständische Gewerbe. "Kein Wunder, wenn sich durch immer mehr Bürokratie in kleinen Betrieben kein Nachfolger findet oder Geschäfte aufgegeben werden", meinte Habermann. Gesetze wie dieses sorgten dafür, dass "Kleinstrukturen kaputtgemacht werden", sagte der Landrat.  

Ein Brief an Angela Merkel & Co.

Und genau deshalb nahm er diesen Tagesordnungspunkt zum Anlass, eine Resolution vorzustellen. Sie soll in Briefform nicht nur an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch an Finanzminister, Bundestagsabgeordnete und andere Entscheidungsträger gehen.

Kämmerin Heidrun Vorndran hatte im Vorfeld einen Arbeitstag damit verbracht, wichtige Punkte zu dem Themenkomplex zusammenzutragen. Die Fleißarbeit brachte einige interessante Zahlen zutage. So sei man bei den Vorbereitungen des Gesetzes von 30 Geschäftsvorfällen pro Tag ausgegangen. "Da könnte der Bäcker Schmitt zumachen", kommentierte das der Landrat. Für 2,3 Millionen Kilometer zusätzliches Kassenpapier müssten 12,5 Millionen Kilogramm Holz verbraucht werden, so das ökologische Argument des Resolutionsentwurfs. Der schließt sich Expertenmeinungen an und geht nicht davon aus, dass durch die Bon-Pflicht weniger manipuliert werde.     

Fleißarbeit der Kämmerin

Die Resolution erinnert unter anderem daran, dass im ursprünglichen Gesetzesentwurf nur von einer verpflichtenden Bon-Ausgabe auf Verlangen des Kunden die Rede war, was völlig ausreichend wäre.  

Unter anderem Kreisrat Eberhard Streit befürwortete die Resolution. "Wir haben schon zu viel entfernteren Themen Resolutionen verabschiedet, diese hier ist nahe an unserer Bevölkerung und unserem Handwerk", so der Mellrichstädter Bürgermeister.

Widerstand aus der SPD-Fraktion

Alleine aus der SPD-Fraktion regte sich Widerstand gegen die Resolution. Egon Friedel hat durchaus seine Meinung zu dem Gesetz. Deswegen aber eine Landkreis-Resolution zu verabschieden, hielt er für unverhältnismäßig. Überhaupt könnten Gewerbetreibende um eine Ausnahmegenehmigung nachsuchen bei den Finanzämtern. Friedel wies auch darauf hin, dass das Gesetz unter dem CDU-Finanzminister Schäuble entstanden ist. "Es geht um einen Protest gegen das Gesetz jenseits aller Parteigrenzen", erwiderte der Landrat. 

SPD-Kollege Thorsten Raschert, am 15. März Herausforderer von Landrat Thomas Habermann um den Chefsessel im Landratsamt, ging ebenso auf Gegenposition zu Habermann. Er wüsste nicht, wo eine Bonausgabe nicht sowieso praktiziert werde. Er kenne aus seinem Umfeld weder Bäcker, Metzger noch Friseurbetrieb, wo nicht schon längst Bons ausgegeben würden. Er sah sachliche Mängel im Entwurfstext, zum Beispiel bei zugrunde gelegten Tarifsätzen.

Bisher keine Ausnahmeregelung der Finanzämter

Kämmerin Heidrun Vorndran sah sich wiederum zu einem Einspruch genötigt, sie habe sich ausschließlich auf offizielle Bundesdrucksachen gestützt. Landrat Habermann schließlich entgegnete zum Thema Ausnahmeregelungen, dass vom zuständigen Finanzamt im Landkreis Rhön-Grabfeld bisher keinem Gewerbetreibenden eine solche Ausnahmeregelung gewährt worden sei.  

Am Ende wurde die Resolution bei zwei Nein-Stimmen der SPD verabschiedet. Der Brandbrief an Angela Merkel und andere kann die Poststelle des Landratsamtes bald verlassen. Und, nicht zu vergessen, zwei manipulationssichere Registrierkassen für das Kloster Wechterswinkel und die Kreisgalerie werden gesetzeskonform angeschafft. 

 
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  • G. Z.
    Wird dem Kunde kein Kassenzettel hingelegt, dann hat er den Betrag nicht eingegeben und beschissen! Entschuldigung für das unflätige Wort, aber das Geld nicht stinkt, wissen wir seit "NON OLET" . Das ist der einfach Grund für das Gesetz. Jeder der eine Befreiung von der BONpflicht will, soll das Finanzamt, dass ablehnt vom Steuergeheimnis befreien und die Begründung dort erfragen! Die wissen genau, wem und welchem Gewerbe sie befreien können, denn sie entscheiden nach § 148 AO nach pflichtgemäßen Ermessen. Gegen Ermessenfehlgebrauch gibts Widerspruchsmöglichkeit - wir sind ein Rechtsstaat...Wir sind ja nicht am Landratsamt, wo man schon mal wie in Herbstadt ohne einen Bebauungsplan ein Haus, am Ende eine ganze Siedlung genehmigt. Da gibts übrigens kein Ermessen, da gibts nur ein NEIN für eine Siedlung die der bayerische Verwaltungsgerichtshof schon seit 1984 als verbotene Splittersiedlung bezeichnet hat und den gesamten Bebauungsplan als nichtig festgestellt hat.
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  • S. R.
    Der Vorschlag der Grünen, die Registrierkassen erst mal nicht anzuschaffen (Übergangsfrist bis September) und ein bißchen zivilen Ungehorsam zu zeigen, wurde leider nicht angenommen.
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  • W. T.
    Den Bundestag verkleinern dann kommt viel weniger unsinn beim Bürger an.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Dann sollte der Herr Landrat bei sinnlosigkeit in seinem Kreis Anfangen.
    Die Sinnlosbauten die da durchgeführt werden dienen doch auch stellenweise nur der Steuergeldvernichtung. z.b. Kreisverkehr in Brend, Ampelkreuzung bei der Fa.Geis.
    Oder ist da jemand auf Stimmenfang ?
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  • R. B.
    Amazon zahlte in Deutschland für einen Gesamtumsatz von 6,8 Milliarden Euro nur 3 Mio. Euro Körperschaftssteuer. Im gleichen Jahr leitete Amazon Deutschland 118 Mio. der hier gemachten Gewinne nach Luxemburg – so wurden diese Gewinne steuerfrei. Deutschland sind dadurch 35,4 Mio. Euro verloren gegangen. 0 Euro Steuern? Für die US-Kaffeehauskette Starbucks ist das die angenehme Realität. Laut einem Bericht des Handelsblatts hat der Konzern seit 2002 in Deutschland und seit 2004 in Frankreich noch nie Ertragssteuern gezahlt. Auch hier funktioniert der Trick über die Zahlung von Lizenzgebühren an eine Zentrale in den Niederlanden, um den zu versteuernden Gewinn zu drücken. Das sind nur zwei Beispiele von zig Großkonzernen, welche Milliarden € am deutschen Fiskus vorbei führen. Aber da wäscht eben eine Hand die Andere. Da konzentriert man sich lieber auf den Bäcker, Metzger und Friseur und gaukelt dem dummen Bürger Aktionismus vor.
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  • H. E.
    Wenn wir schon beim Verfassen eines Briefes sind, wäre eine Buchempfehlung

    sinnvoll: -Geopferte Landschaften: wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört-
    von Georg Etscheit, ISBN 878-3-453-20127-9

    Begründung: Auch hier wird viel Müll -mit oder ohne Sinn- auf Kosten von Ressourcen und -Allgemeinwohl- produziert
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  • C. H.
    Die SPD, mal wieder WEITab der Realität. Lieber Herr Raschert: natürlich KONNTEN Bäcker, Metzger, Frisör einen Beleg drucken. WENN der Kunde das gewollt hätte. Das wollte aber keiner. Wozu auch? Garantie auf ein Brötchen oder den Haarschnitt?
    Ich komme ja viel herum, aber gerade bei den "kleinen" Geschäften hat KEINES einen Bon gedruckt, ausser ich wollte den haben!

    Und Herr Friedel soll dann bitte mal dafür sorgen, dass Ausnahmegenehmigungen auch erteilt werden !

    Vorne Umweltschutz und CO2-Vermeidung auf die Fahne schreiben und hinten per Gesetz Rohstoffe direkt in die (Sonder!)Mülltonne schaffen. Ein Wahnsinn!
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