
Für Lissi und Lotte gibt es nichts Schöneres als die Kindergartenzeit. Und das, obwohl sie in einem Kindergarten eigentlich nichts mehr zu suchen haben. Nicht nur wegen ihres Alters. Lissi und Lotte sind zwei Hunde. Aber wenn auf ihrem Bauernhof am Rande von Großbardorf der Kindergartentag beginnt und 15 Kinder einen Vormittag auf dem Hof verbringen, dann sind Action, Abwechslung und vor allem jede Menge Streicheleinheiten angesagt.
Die beiden quirligen Hofhunde sind ganz wichtige Akteure von Heidi Geßner, die mit ihrem Mann Sebastian den landwirtschaftlichen Betrieb betreibt. Heidi Geßner kümmert sich dabei mit einer Erzieherin und einem Kinderpfleger dabei auch um eine einzigartige Einrichtung: den Bauernhof-Kindergarten. Das heißt: 15 Kindergartenplätze der Kita Großbardorf wurden 2022 auf den Bauernhof ausgelagert. Hierfür wurden Räumlichkeiten geschaffen, die dem Alltag in einem konventionellen Kindergarten sehr ähneln. Zusätzlich steht den Kindern eine ganz andere Art der Betreuung zur Verfügung, nämlich inmitten von Kühen, Hühnern, Eseln und dem ganz besonderen Duft eines großen Misthaufens.
Dafür sind die 15 Vorschulkinder, die von Steffen Hauck an diesem Tag begleitet werden, passend angezogen. Knallbunte Gummistiefel und die wattierte Matschhose sind die richtige Kleidung für die Umgebung. Der eine oder andere Esels-Apfel liegt herum, und in manche Pfütze muss man einfach mal mit Schmackes hineintreten, dass es ordentlich spritzt.
Der Vorschulunterricht ist schon beendet. Er findet in umgebauten Bauwagen am Treffpunkt Bauernhof neben dem Geräteschuppen statt. Auch die Hühner wurden schon versorgt. "Die kriegen Wasser und Futter", weiß zum Beispiel Merle. Der kleine Philipp weiß noch etwas: "...und wir nehmen die Eier heraus!"
Die Kinder lernen also etwas ganz Wichtiges im Bauernhofkindergarten der Familie Geßner: Verantwortung. Heute für die Tiere und irgendwann einmal für ihr Leben oder ihren Beruf. Das gefällt auch der Bäuerin Heidi Geßner ganz besonders. Die 39-jährige hat 2021 den elterlichen Hof übernommen und im Folgejahr ihren Landwirtschaftsmeister gemacht.

Als der Großbardorfer Kindergarten im Ortskern Platzprobleme bekam, hatte Landwirtin Geßner die gute Idee: Warum nicht einen Bauernhof-Kindergarten ins Leben rufen? Ein solcher Bauernhof-Kindergarten ist eine Idee aus der so genannten sozialen Landwirtschaft. "Die Gesellschaft soll dabei wieder stärker an die Landwirtschaft und ihre Bedeutung herangeführt werden", erklärt Geßner. Neben Kindern sind dabei auch Menschen mit einer Behinderung oder Seniorinnen und Senioren angesprochen.

Die Großbardorfer Kinder erfahren im Sonnenhof-Kindergarten eine ganze Menge. Über die Natur, über den Jahreslauf in einem Bauernhof, über die Verantwortung für die Schöpfung und ihre Geschöpfe. Und sie lernen auf dem Hof mit seinen Ställen und landwirtschaftlichen Fahrzeugen auch, auf die Sicherheit zu achten. Dafür gibt es ein Ampelsystem, das Heidi Geßner immer wieder einmal abfragt. Es gibt grüne Bereiche, gelbe, aber auch rote Zonen. "Dorthin geht es nur mit einer Begleitung", betont Landwirtin Geßner. Auf dem eingefriedeten Spielplatz dürfen die Buben und Mädchen aber frei herumtoben.

"Ich achte auf einen Wechsel zwischen angeleiteten Angeboten und freiem Spiel", sagt Steffen Hauck. Dem Erzieher macht die Arbeit auf dem Sonnenhof derart Spaß, dass ihm die tägliche Anfahrt von Willmars nach Großbardorf gar nichts ausmacht. Auch der Geruch des dampfenden Misthaufens stört nicht. "Das kommt aufs Feld und gibt guten Dünger!", hat Theresa sofort eine Antwort parat.

Im Kuhstall werden die Kinder plötzlich leise, so haben sie es gelernt. Denn die Tiere sollen nicht aufgeschreckt werden. Die Hollsteiner Schwarzbunten fressen genüsslich vom Heu. Für die elf Kinder ist Stallreinigung angesagt. Für sie gibt es kleine Schubkarren oder Mistgabeln in Kinder-Ausführung, die mit Spenden finanziert wurden. "Die Kinder wissen, dass sie vorsichtig sein müssen, um kein Tier zu verletzen", weiß Heidi Geßner. "Meine Lieblingskuh ist die 20331", sagt Philipp und übt so ganz nebenbei die Zahlen. Namen gibt es für die Tiere nicht immer. Die Kinder wissen, dass die Tiere nur für eine kurze Zeit auf dem Sonnenhof zu Gast sind, bevor sie dann auf einem anderen Hof zur Milchkuh werden.

"Das Angebot ist einmalig für die Kinder, ich habe nur positive Eindrücke. Und auch von den Eltern kommt nur positives Feedback", sagt Steffen Hauck. Auch die Eltern würden lernen, ihren Kindern mehr zuzutrauen. Das stärkt auch deren Persönlichkeiten, so der Erzieher weiter. Auf die Sicherheit wird im Stall Wert gelegt. "Die Berufsgenossenschaft hat verschiedene Maßnahmen speziell für Kinder zur Unfallverhütung gefordert", erklärt Landwirtin Geßner.

Sie freut sich, dass auch ihr Vater Winfried den Bauernhof-Kindergarten gut findet. "Anfangs war er etwas skeptisch, aber jetzt freut er sich über das zusätzliche Leben auf dem Hof", sagt die Tochter, während ihr Vater durch den Stall spaziert. Dieweil turnen einige Kinder schon auf den großen Heuballen. Auch Hündin Lissi hat ihren Spaß beim Springen zwischen den Ballen.

Dann geht es für die Gruppe weiter zu einem kleinen Außenstall. Dort haben die Esel, ein Pony und ein Pferd ihr Zuhause. Heidi Geßner hat die Tiere mehr zum Spaß angeschafft. Doch für den Bauernhof-Kindergarten sind sie genau die richtigen Tiere für etwas Abwechslung. Hier endet freilich die Verantwortung noch nicht. Denn die Hinterlassenschaften der Tiere im Stall und auf der Freifläche müssen entsorgt werden. Besen und Schaufel stehen für die Kinder bereit.
Nach der anstrengenden Arbeit heißt es erst einmal etwas Chillen für Merle, Philipp, Theresa und all die anderen Kinder. Ein großer Haufen mit Heu ist da genau das Richtige. Glücklich wirken die Kinder jedenfalls alle bei der kurzen Pause.

Landwirtin Geßner bereut ihre Idee mit dem Bauernhof-Kindergarten jedenfalls nicht. "Ich plane auch, etwas Ähnliches für Senioren anzubieten oder Menschen mit Demenz." Die Kinder freuen sich in der Zwischenzeit auf das beginnende Frühjahr. Dann können sie auch bald wieder den Garten bewirtschaften und sich um Tomaten, Erdbeeren, Kürbis oder Radieschen kümmern. Ja, es ist verantwortungsvoll und ganz, ganz bunt, das Leben auf dem Bauernhof.